Italien/F 2018 · 157 min. · FSK: ab 12 Regie: Paolo Sorrentino Drehbuch: Paolo Sorrentino, Umberto Contarello Kamera: Luca Bigazzi Darsteller: Toni Servillo, Elena Sofia Ricci, Riccardo Scamarcio, Kasia Smutniak, Euridice Axen u.a. |
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Römische Verhältnisse |
Am Anfang: ein ahnungsloses Schaf. Frisch geföhnt gerät es ganz und gar niedlich in eine Villa. Hypnotisiert bleibt es in der Eingangshalle vor dem riesigen Fernsehmonitor stehen, eine Quizsendung läuft. Zahnpastalächeln, schöne Frauen, ein ältlicher Moderator. Die Klimaanlage in der Villa kühlt auf Hochtouren. Das Schaf schaut. Der Fernseher tönt. Die Klimaanlage kühlt. Zack! Das Schaf klappt zusammen, schockgefrostet.
Ein verheißungsvoller Beginn des neuen Films von Paolo Sorrentino, der zuletzt mit Ewige Jugend sein Meisterschaft für surrealistische Momente bewiesen hatte. In Loro, was man schlicht übersetzen müsste mit »sie (3. Person Plural)« und zum Verleihtitel »Die Verführten« wurde, geht es um Silvio Berlusconi, kongenial mit Selbstbräuner und Haarimplantat von Toni Servillo verkörpert, der Sorrentino 2013 mit La grande bellezza den Oscar eingebracht hatte. Servillo gibt den Berlusconi als charmierendes Zentrum der Verführung. Von ihm verführt werden: die Frauen (sexuell), die Männer (finanziell), Italien insgesamt. »Sie«, das sind aber auch die Akteure. Die Politiker, die herrschende Klasse, die Superreichen, die Supermodels, die Dauerkoksenden, die Dauerpartymachenden, die Korrupten.
Ein Film zum Phänomen Berlusconi also, der als Medienmogul das Denken des gemeinen Volkes auf den Nullpunkt gebracht hatte, reichster Mann des Landes war, zudem ein Baulöwe, der ganze Siedlungen errichtete und so auch die Städte Italiens veränderte. Außerdem war er über einen Zeitraum von siebzehn Jahren der mächtigste Mann Italiens. Vier Mal war er Regierungschef: 1994 wurde er zum ersten Mal gewählt, 2011 war sein letztes Amtsjahr. Danach gehörte er noch der Abgeordnetenkammer und dem Senat an. 2017 wollte er im Alter von 81 Jahren noch einmal das Comeback als Präsident wagen, woran ihn aber die Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen Korruption hinderte. In einem Rechtsstreit wies er mit den besten Anwälten der Republik nach, dass seine Verurteilung nicht gültig war, im März 2018 zeichnet es sich ab, dass das Ämterverbot aufgehoben werde und Berlusconi wieder kandidieren könne, seit Mai ist es amtlich, aber zu spät, Italien hat gewählt.
Das ist der Hintergrund, den alle Italiener präsent hatten, als sie im April dieses Jahres Loro im Kino sehen konnten, der auf sie wie ein Kommentar auf das aktuelle Geschehen gewirkt haben muss. Paolo Sorrentino fokussiert auf die Episode im Leben Berlusconis, als dieser nach seiner kurzen Amtszeit 1994/95 im Jahr 2001 zum zweiten Mal zur Macht griff. Seine Rückkehr in die Präsidentschaft bereitete er in vertraulichen Gesprächen mit den Senatoren vor, die für diese äußerst lukrativ sein sollten. Die Ära der Bestechung im Amt war eingeleitet, die Italien zum »Korruptions-Europameister« (Der Spiegel) machen sollte.
Sorrentino lässt die Verführung der Staatsbeamten vor dem Berlusconischen Hochglanzleben verblassen, das dann sehr schnell eigentliches Hauptthema des Films wird – und zu dessen Problem. Denn Sorrentino selbst verfällt der Attraktion der gebauten Sets und gecasteten Akteure: die Kamera ergeht sich im Anblick der prachtvollen Partys und der schönen Frauen, die zu jeder Gelegenheit die Beine spreizen und den Popo in die Linse halten. Was eine satirische Überidentifikation mit der Perspektive Berlusconis sein könnte, verkehrt sich jedoch gegen sich selbst: Sexismus anzuprangern, indem man schöne Frauen in sexistischen Posen zeigt, ist zumindest sehr gewagt.
Die Satire hat da ungleich besser in La grande bellezza funktioniert, der ein morbides Italien der Oligarchen zeichnete, als Orgie der Dekadenz mit den schrulligen Protagonisten einer untergehenden Republik, die schönheitsoperiert an die ewige Jugend glauben. Oder eben auch in Ewige Jugend, der mit surrealistischen Mitteln in das Herz der eitlen und machtversessenen Männer Italiens zielte und sie als Sabbergreise jungen Models hinterherschmachten ließ, die sich meerjungfrauengleich in Pools räkelten.
So aber wiederholt Loro noch einmal die ausgelassene Bunga-Bunga-Dauer-Party mit Koks, Nutten und Models, für das die Ära Berlusconi berühmt wurde. Nur im Nebenstrang wird vom Politiker erzählt: wie er die Außenminister Europas erniedrigte und beleidigte, wie er die Monumente Italiens verkommen ließ. Loro hätte ein Film wie Il Divo werden können, mit dem Sorrentino 2008 international bekannt wurde. Auch damals hatte Toni Servillo die Hauptrolle inne, auch damals spielte er einen umstrittenen Politiker, den mutmaßlich mit der Mafia verstrickten Ministerpräsidenten Giulio Andreotti.
Den Politiker als Randfigur zu inszenieren und stattdessen den schleimigen Schwerenöter ins Zentrum zu stellen, ist eine Wahl, der auch die Sensationsblätter gefolgt sind und die letztlich Berlusconi nur wiederholt: Die Orgie beschäftigte auch ihn mehr als sein Versagen in der Politik, denn sie hatte und hat einfach mehr Unterhaltungswert. Und wieder einmal lässt die Farce der Geschichte die Tragödie dahinter vergessen.