Love Lies Bleeding

GB/USA 2024 · 104 min. · FSK: ab 16
Regie: Rose Glass
Drehbuch: ,
Kamera: Ben Fordesman
Darsteller: Kristen Stewart, Katy M. O'Brian, Ed Harris, Dave Franco, Jena Malone u.a.
Filmszene »Love Lies Bleeding«
Wiedergängerinnen von Thelma und Louise
(Foto: Plaion Pictures)

Schmerzerfüllte Gigantinnen

Rose Glass verwandelt in Love Lies Bleeding eine queere Romanze in überragendes, brutales Körperkino und zeichnet ein abgründiges Porträt der USA

Die Hemmungen, die Thelma und Louise bei ihrer versuchten Revolte womöglich noch besaßen, sind hier gefallen. Bei der Britin Rose Glass geht es deutlich rabiater und wütender zur Sache, bis einem das Lachen und Trium­phieren im Halse stecken bleibt. Zwar muss ihr neuer Film gegenüber Ridley Scotts Klassiker von 1991 keines­wegs an Coolness, Lässig­keit und Schlag­fer­tig­keit zurück­ste­cken, doch der unter­schwel­lige Schmerz hat sich verändert. Er ist inten­siver, quälender geworden. Ein Vergleich zwischen Thelma & Louise und Love Lies Bleeding liegt jeden­falls auf der Hand und wurde seit der Welt­pre­miere schon diverse Male bemüht. Tatsäch­lich sind beide Filme in ihrem Ansteuern symbol­träch­tiger Abgründe, in ihrem Spiel mit Genre-Motiven eng verflochten. Beide eint die Trans­gres­sion und doch sind sie von unter­schied­li­chen Bewe­gungen und Tona­li­täten geprägt. Glass' zweiter Langfilm nach Saint Maud ist weniger ein flie­hender Roadtrip als ein perma­nentes Schlagen gegen die Gitter­s­täbe der gewohnten Umgebung. Ein düsterer psycho­lo­gi­scher Kampf, der ebenfalls vom Ausbruch zweier Frau­en­fi­guren erzählt, aber sein Publikum stärker auf Distanz hält und dauernd überlegen lässt, wie es sich zu den Figuren verhalten soll. Ein Ende, wie es Thelma und Louise fanden, ist hier nicht zu erwarten oder zumindest kompli­zierter gestrickt.

Der Femi­nismus von Love Lies Bleeding ist keiner, der sich mit Meme- und Pop-taug­li­chen Stand­pauken, Thesen und Senti­men­ta­li­täten à la Barbie begnügt. Er nimmt statt­dessen eine komplexe, durchweg ambi­va­lente Aufstel­lung von Figuren mit allerlei Ecken und Kanten vor. Kurz­zeitig dürfen sie sich vonein­ander entfernen, ehe sie von der Gewalt­logik ihrer Welt einge­fangen und auf Konfron­ta­ti­ons­kurs geschickt werden. Glass fordert ihr Publikum heraus, statt es einfach zu besänf­tigen. Wieder erzählt sie dabei eine Geschichte des Wahns. In Saint Maud war es der religiöse Wahn; nun ist es das wahnhafte Abrichten des eigenen Körpers. Schon die erste Sequenz ist grandios gelungen! Ein Faust'sches »Vom Himmel durch die Welt zur Hölle« insze­niert Glass als zyklische Abfolge und verschmilzt letztlich alle Sphären, um sie fort­lau­fend umzu­deuten. Die erste große, verblüf­fende Kame­ra­be­we­gung führt aus einer finsteren Fels­schlucht, einer Leichen­grube, hinauf in den glit­zernden Ster­nen­himmel und wieder herunter auf einen Parkplatz, wo die Kamera schließ­lich in die irdische Hölle einer ameri­ka­ni­schen Muckibude fährt. Und schon ist man mitten­drin in den 80er-Jahren, denen Rose Glass alle ober­fläch­liche Nostalgie von den Rippen schneidet.

Die Weis­heiten der Pumper

Kränk­liche Licht­stim­mungen, miefige Räume, bräun­liche und grünliche, später blutrot schim­mernde Farbtöne, eine siffige, verstopfte Toilette. Moti­vie­rende Sinn­sprüche und Floskeln prangen an den Wänden, während Menschen stöhnen, ächzen, schwitzen und ackern – im Wett­streit mit dem inneren Schwei­ne­hund. No Pain No Gain. Schmerz ist die Schwäche, die den Körper verlässt. Es gilt, Verstand und Körper zu bezwingen, um einer Norm zu entspre­chen. Oder: einer Norm, einem Durch­schnitt zu entfliehen, sich zu stählen, während man ignoriert, wie normal, farblos und durch­schnitt­lich das Wett­ei­fern um Riesen-Bizeps, Ausdauer und Sixpack eigent­lich gerät. Rose Glass grätscht mitten in diese von Männern domi­nierte Welt und holt zur Leidens- und Liebes­ge­schichte zweier junger Frauen aus, die sich an diesem abstoßenden Schau­platz entspinnt und hinterher Funken in der näheren und weiteren Umgebung schlägt. Alle Geschlech­ter­ste­reo­type sind derweil längst auf den Kopf gestellt.

Jackie (Katy O’Brian) und Lou (Kristen Stewart) versuchen, ihrem tristen Kaff in New Mexico zu entkommen. Es ist das Umbruchs­jahr 1989. Die eine träumt vom Ruhm als Body­buil­derin in Las Vegas, die andere will sich zuvor­derst von ihrem krimi­nellen Gangster-Vater lossagen, den Ed Harris als herrlich ekliges, Insekten fres­sendes Scheusal mit schau­der­haftem Haarteil verkör­pert. Für Rose Glass wird dieser Film hoffent­lich den Durch­bruch bedeuten. Er ist nicht nur dem Vorgän­ger­werk der briti­schen Regis­seurin überlegen, sondern versprüht so viel Kult­po­ten­tial und ästhe­ti­sche Raffi­nesse, dass man ihn so schnell nicht abschüt­teln kann. Er gehört zu den heraus­ra­gendsten Filmen des Jahres 2024, der auch bei wieder­holtem Sehen nicht an Reiz verliert. Love Lies Bleeding präsen­tiert eine offensiv sinnliche, enthemmte queere Romanze, bei der Zärt­lich­keit, Erotik, Ausbeu­tung, krank­hafte Eifer­sucht und Mord inein­ander übergehen. Zugleich zeichnet dieser pulpige Film ein kalt­schnäu­ziges, entlar­vendes Bild der USA, das zwischen Vergan­gen­heit und Gegenwart pole­mi­sche Brücken schlägt und einmal mehr beweist, wie gut sich die exzen­tri­schen, exzes­siven und exploita­tiven Seiten des Genre-Kinos eignen, um derlei kritische Töne anzu­schlagen. Mit einer schlichten Hommage oder nost­al­gi­schen Rück­be­sin­nung hat das nichts zu tun. Es ist ein Update, eine Aneignung, die Vertrautes neu produktiv werden lässt.

Rüsten für den Wett­be­werb

Was ist das nun? Ein Liebes­film, Horror­film, ein Thriller, eine Satire? Viel­leicht am ehesten ein Thriller, der seine Figuren als tickende Zeit­bomben begreift. Ihre Explosion erscheint erst als Befrei­ungs­schlag, bevor die nächste Unbe­hag­lich­keit einen grausamen Schluss­punkt dahinter setzt. Die USA von Love Lies Bleeding entpuppen sich als schmie­rige, korrupte Mythen­welt, in der sich Menschen auf erbit­terte Konkur­renz­kämpfe einstellen. Sei es in der Liebe, im Eifern um Schönheit und Begehren, in der Vorherr­schaft über Einfluss­ge­biete und Geschäfts­mo­delle. Sei es in der Abrich­tung der eigenen Physis oder im Umgang mit der Schuss­waffe. Mann und Frau trai­nieren hier auf Schieß­plätzen nicht anders als im Fitness­studio, um Macht und Stärke zu spüren und sich auf irgend­einen Ernstfall, drohende Krisen und Kurz­schlüsse vorzu­be­reiten. Rose Glass insze­niert deren Eska­la­tionen mit aller Härte. Die Stacheln ihrer Betrach­tungen zielen ganz unmit­telbar auf Haut, Knochen und Fleisch und das Körper­ge­dächtnis der Zuschauer ab. Die femi­nis­ti­sche Revolte von Love Lies Bleeding muss erst durch Blut waten, knackende und malträ­tierte Skelette, berstende, zuckende, schmer­zende Muskeln sowie von Steroid-Spritzen zersto­chene Glied­maßen als Schocks und Sensa­tionen ertragen, um zu ihrer zwei­schnei­digen Pointe zu gelangen.

Glass scheut dabei das Überhöhte und Zuge­spitzte nicht. Ihr Film pulsiert vor Lust an der poeti­schen Ausfor­mung, welche auch beinhaltet, Figuren in sinn­bild­liche Riesen zu verwan­deln oder in albtraum­hafte Hallu­zi­na­tionen driften zu lassen. Der Schmutz und Morast dieses Amerika-Zerr­bildes trifft auf groteske Eindrücke des Fantasy- und Super­hel­den­kinos. Dass sie sich irgend­wann so weit in das Fantas­ti­sche bewegen und riskieren, ihr Publikum zu verlieren, zeugt von einem notwendig irri­tie­renden Kontrast. Die märchen­haft irreale Fanta­sie­vor­stel­lung hier, das Unbehagen gegenüber den Figuren und ihren Grautönen dort. Ist das also eine aussichts­reiche, erlöste Rebel­linnen-Liebe oder nur ein abge­brühtes Schick­sals­bündnis? Wohin führen die verschlun­genen Straßen in diesem Filmland wirklich, die mal den Weg in niedersten Triebe und die Schwärze der Nacht und mal in den puren Eska­pismus ebnen? So ganz wird man sie jeden­falls nicht los, die Gewalt der Väter und Liebhaber, die man zu bekämpfen versuchte, aber längst verin­ner­licht und gegen andere gerichtet hat. Oder ist auch das nur eine weitere, verun­si­chernd grinsende Finte? Alles nur eine Spielfilm-Ausgeburt? Im Abspann tanzen Silhou­etten in einer Studio­ku­lisse. Utopien – eine Sache der (Des)Illusion.

»Autos und Schuss­waffen sind die zwei tragenden Säulen unseres natio­nalen Mythos, denn Auto und Schuss­waffe stehen beide für Freiheit und indi­vi­du­elle Ermäch­ti­gung, sie sind die faszi­nie­rendsten Möglich­keiten zur Selbst­dar­stel­lung, die uns zur Verfügung stehen: Drücke das Gaspedal mutig bis ganz nach unten durch, und plötzlich jagst du mit 150 Stun­den­ki­lo­me­tern dahin; krümme die Finger um den Abzug deiner Glock oder AR-15, und die Welt gehört dir.« – Paul Auster: »Bloodbath Nation« (2024)