USA 1997 · 137 min. · FSK: ab 16 Regie: Adrian Lyne Drehbuchvorlage: Vladimir Nabokov Drehbuch: Stephen Schiff Kamera: Howard Atherton Darsteller: Jeremy Irons, Dominique Swain, Melanie Griffith u.a. |
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Soll man in den Film Lolita gehen? Nein, absolut nicht. Ein kitschiger, überflüssiger schlechter Film, klischeebeladen, dumm und im schlechtesten Sinne voyeuristisch. Allenfalls Fans von Melanie Griffith, die in ihrem zwanzigminütigen Auftritt großartig ist, könnten auf ihre Kosten kommen, und all die Unverbesserlichen, die Jeremy Irons einfach alles verzeihen.
Lynes Film verschenkt sein Thema in jeder Hinsicht. »A short novel about a man who liked little girls.« – so beschrieb Vladimir Nabokov selbst sein berühmtestes Buch, »Lolita«. Der Roman über die Beziehung von Stiefvater und Stieftochter, 1955 erschienen, gilt als einer der provozierendsten Klassiker der modernen Weltliteratur. Eine Geschichte von Unschuld und Erotik, Intelligenz und Obsession; Stanley Kubrik hat ihn, wild umstritten, 1961 verfilmt. Adrian Lyne besitzt leider nicht einmal andeutungsweise das Talent Kubricks. Der Regisseur von Flashdance (1983), 9 1/2 Wochen (1986), Fatal Attraction (1987) und Indecent Proposal (1993) romantisiert in seinen Bildern. Er zeigt eine verführerische Hauptdarstellerin, die ihre Reize in aller Blüte auch dem Zuschauer offen darbietet. Und Jeremy Irons, ätherisch bis an die Grenze zum Erträglichen, wie er in den letzten Jahren spielt, romantisiert Humberts Leidenschaft durch das Zwingende, das irreal Notwendige, das er ihr verleiht. Wenn wir Irons heute auf der Leinwand sehen, wenn er zu unheilsschwangerer Musik Wendeltreppen heruntergeht, dann denken wir nicht nur an Humbert Humbert, sondern auch an den Irons in Louis Malles Verhängnis. Und mit derartigen Erinnerungen versucht Lyne seinem Film eine Dimension zu geben, die er selbst nicht einlösen kann.
So gesehen haben all jene Kritiker sogar recht, die in der neuen »Lolita«-Verfilmung die Verklärung des Sex mit Minderjährigen entdecken. Lolita erregte in den USA einen Skandal. Alle wichtigen Verleihfirmen lehnten den Film ab, und wiederholten so die Farce der Verlagsreaktionen auf Nabokovs Manuskript. Das derzeitige hypermoralische sozial-kulturelle Klima in den USA ist daran schuld. Man kann diese Atmosphäre bedauern, aber man muß deshalb Lynes Film, der mit den Zensur kühl kalkuliert, keinen Deut besser finden.
All das geht meilenweit am künstlerischen Potential und der eigentlichen Bedeutung von »Lolita« vorbei. Ein Klassiker, der Tabus bricht, existentielle Themen unserer Kultur thematisiert, von Leidenschaft und Qual, Eifersucht und Verrat, Kampf und Kapitulation handelt. Adrian Lynes Film kann auf dieser Höhe bei weitem nicht mithalten. Das ist kein Argument für die ewigen Kritiker von Literaturverfilmungen, sondern nur ein schlechter Film. Die brave, allzubrave, langweilige Inszenierung bleibt immer illustrativ, ohne tiefer zu dringen. Vor allem langweilt sie.