Deutschland 2017 · 101 min. · FSK: ab 12 Regie: Julia Langhof Drehbuch: Thomas Gerhold, Julia Langhof Kamera: Michal Grabowski Darsteller: Jonas Dassler, Lucie Hollmann, Peter Jordan, Eva Nürnberg, Barbara Philipp u.a. |
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Ein Film der Fragmente |
Er heißt Karl, und auch bei näherer Betrachtung würde man ihn wohl als Sohn aus gutem Hause bezeichnen. Das Elternhaus ist wohlhabend. Man könnte sagen: Ihm steht die Welt offen. Karl macht bald Abitur, in seiner Klasse ist er als Sonderling und Rebell verschrien, und um die Lehrer kümmert er sich nicht:
Doch auch das interessiert Karl nicht besonders, denn der Junge hat ganz im Gegensatz zu seiner Zwillingsschwester absolut keinen Durchblick, was er im Leben mal machen will. Statt sich mit der Welt auseinanderzusetzen, zieht er sich ins Schneckenhaus seiner privaten Emotionen zurück, und führt ein Doppelleben als Internet-Idol. In seinem supererfolgreichen Blog gefällt Karl sich als Wahrheitsgenerator für seine Umgebung.
Irgendwann aber wagt Karl einen Schritt raus aus der selbstgewählten Insolation. Er verliebt sich in seine Klassenkameradin Doro. Als Doro ihn nach einer kurzen Affäre scheinbar fallen lässt, rächt Karl sich grausam. Sein Blog wird zur Waffe, um Doro zu vernichten. Doch schnell gerät das Spiel außer Kontrolle.
Lomo – The Language of Many Others ist der Debütfilm von Julia Langhof, die an der Berliner Filmhochschule DFFB studiert hat. Die ist ein mitunter witziges Jugendmelodram um das Erwachsenwerden, aber auch um das böse Netz, die sozialen Netzwerke im Internet und was sie mit uns tun.
Es geht um jugendlichen Weltschmerz und um die geradezu totalitäre Macht der Anderen, der Gemeinschaften aus echten und falschen Freunden, aus Klassenkameraden und vor allem jener »Community«, der diffusen Netzgemeinde, die sich gerade darum unerbittlich alles raus nimmt, weil sie oft anonym bleibt.
Lomo ist ein hochinteressanter Film, der im Gewand eines klassischen Coming-of-Age-Films daherkommt, aber experimentelle Passagen nicht scheut, und den Mut hat, das unerforschte Terrain der Filterblasen und Echokammern zum Thema zu machen. Das wird dadurch noch schwieriger, dass man dies alles, weil es ja virtuell ist, auch nicht leicht darstellen kann.
Julia Langhof meistert diese Herausforderung. Immer wieder verwandelt Lomo sich für ein paar Sekunden in den Bildschirm eines Tablets oder Smartphones. Dann schieben sich zweite, dritte, vierte Ebenen in und über die Wirklichkeit. Der Bildsprache der digitalen Welt verknüpft sich mit echten Kinobildern – ein Beispiel, dass die klare Grenzziehung zwischen analog-digital, virtuell-real nicht mehr funktioniert.
Lomo ist ein Film der Fragmente und wird damit der fragmentarischen Welterfahrung seiner Hauptfigur sehr gerecht. Das alles ist virtuos, und so verdankt dieser Film den Einfällen des Kameramanns Michael Grabowski und der Montage sehr viel.
Lomo, in seiner Art ein Mix aus Matrix und Coming-of-Age-Movie steht nicht nur für den Einfluss, der längst nicht mehr so neuen Medien auf das analoge, gewohnte Leben. Sondern auch für einen gewissen Wandel im deutschen Kino: Es scheint, als ob deutsche Filmemacher gerade unterwegs sind zu etwas Neuem. Unabhängig voneinander und von fixierten Gruppenzusammenhängen wie »Mumblecore«, »Fogma« oder »Berliner Schule« (falls jemand davon schon mal etwas gehört hat) praktizieren ein Dutzend neuer Filmemacher eine neue Verbindung von Spaß und Erkenntnis. Es gibt auch neue Schauspieler-Gesichter: Zum Beispiel Jonas Dassler und Lucie Hollmann, die beiden jugendlichen Hauptdarsteller.
Was alle diese Filmmacher gemeinsam haben, und was auch Lomo prägt: Interesse und exquisiten Geschmack im Musikalischen, keine Angst vor Theorie und Lust am Spiel.