GB/F 2001 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Marleen Gorris Drehbuch: Peter Berry Kamera: Bernard Lutic Darsteller: John Tuturro, Emily Watson, Geraldine James u.a. |
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Emily Watson und John Turturro |
Schach ist das Spiel der Könige. Das Spiel des Abstrakten, der virtuellen, möglichen Angriffe und Verteidigungen, des Denkens und Rechnens. Aber vielleicht ist es auch das Spiel der Königinnen, die hier »Dame« heißen. Die Erzählung von der wichtigsten Figur, eben dem König, und seinen Beschränkungen. Nur ein Feld darf er ziehen. Und braucht so sein weibliches Pendant, seine Dame, die ihn aus misslichen Situationen befreien, die das Spiel für ihn gewinnen kann in ihrer unendlichen Flexibilität. 64 Felder, schwarz an weiß und für Alexander Luzhin, russischen Großmeister und Hauptfigur, bedeutet dieser streng parzellierte Raum seit seiner Kindheit die Welt. Seit seine Tante ihm im heimischen St. Petersburg diese Geschichte erzählte, das Brett lebbar, übertragbar auf die äußere Welt, machte.
Der Schachspieler reist zu Beginn nach Italien, um hier Weltmeister zu werden. Alexander Luzhin ist ein Mann, der sich allein in seiner Kammer die Welt zurechtdenkt und dann seine Mitmenschen versucht zu positionieren, auf dass das Spiel Leben für ihn funktionieren möge. Natalia soll seine Dame werden. Zwei Tage nachdem er sie kennen gelernt hat, macht er ihr einen genau kalkulierten Heiratsantrag. Sie antwortet zunächst mit einem lakonischen »I have questions...«. Der Film folgt der kleinen Geschichte der Tante, montiert später Luzhins Siegeszug parallel mit den amourösen Erlebnissen zwischen ihm und Natalia im Hotelzimmer. Wichtig ist der König, aber ohne das Feminine ist er verloren.
Luzhin ist der unmöglichste aller Heiratskandidaten für die Tochter. Mutter Vera gibt sich keinerlei Mühe, ihren Argwohn, ihren Ekel zu verbergen. Sie hat das chaplineske an Luzhins Figur übersehen. Er mag ein Spinner, ein Außenseiter sein, fernab jeglicher Konvention, aber dennoch liebenswert. Nicht nur seine völlige Unfähigkeit zum Smalltalk und sein Äußeres – abgetragener Anzug, Stock und Hut – lassen ihn zu einer Stummfilmfigur, dem Tramp werden. Er findet sich auch schnell in den Themen Chaplins wieder. The Luzhin Defense (Lushins Verteidigung) ist auch ein Film über das Oben und Unten, Arm und Reich, den talentierten aber verwirrten Clown in seinem Kampf mit den aristokratischen Erwartungen seiner Umgebung. Und der Antagonismus zu dem etablierten, mondänen, chicen Santucci, dem anderen Großmeister, den es zu schlagen gilt.
Und so trägt sich auch das romantisch-traurige in die Verfilmung von Nabokovs Erzählung einer gescheiterten Initiation. Das Hotel in Italien ist gleichsam Verdichtungsort. Luzhin war als Kind schon einmal zur Kur hier, um sich von den Folgen seiner Schachleidenschaft zu erholen, die ihn mehr und mehr in den Wahnsinn treibt. History repeating. In Rückblenden erzählt der Film die frühen Jahre des Protagonisten, die Abhängigkeiten von den Eltern, später die von dem obskuren Valentinov, einem Übervater der vorgibt, das Genie des Kindes fördern zu wollen, ihn später einfach fallen lässt und dann plötzlich in Italien auftaucht. Nach seinen ersten Partien sorgt Valentinov dafür, dass sein ehemaliger Zögling irgendwo in den Bergen ausgesetzt wird. Wieder schafft Luzhin es nicht allein zurück, der Sohn verläuft sich in der Wüste und muss erneut gerettet werden. Die Freiheit scheint sich für ihn nur im Tod verwirklichen zu lassen.
The Luzhin Defense zeigt uns ein dekadentes Künstlerbild. Luzhin kann seiner Leidenschaft nur folgen, indem er sich selbst zerstört, die narrativen Muster aufhebt. Sein Denken zerfällt in eine Anreihung von Singularitäten, das Gestern, das Heute und das Morgen vermischen sich stärker und stärker, fließen zusammen in seinen Phantasma. Und ohne die Kausalitäten, die Sinn stiften würden zwischen den einzelnen Feldern des Schachfeldes, das hier das Leben ist, bleibt nur noch der dekadente Wahnsinn.