Deutschland 2017 · 73 min. · FSK: ab 12 Regie: Tilman Singer Drehbuch: Tilman Singer Kamera: Paul Faltz Darsteller: Luana Velis, Jan Bluthardt, Julia Riedler, Nadja Stübiger, Johannes Benecke u.a. |
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Die Großaufnahme als verlässliche Horror-Zutat |
»Vater unser, wieso bist du solch ein Wichser? Siehst du ein Mädchen, zeigst du dein wahres Ich. Dein Wille geschehe im Schritt eines Großvaters. Dein Reich stinkt. Lasst uns heute den Sohn der Maria ficken.«
Dieses blasphemische Gebet sagt die junge Chilenin Luz Carrara (gespielt von der Nachwuchs-Schauspielerin Luana Velis) auf Spanisch, bevor sie eines Nachts bei voller Fahrt aus ihrem Taxi springt. Sie beförderte gerade ihre ehemalige Schulkameradin Nora Vanderkurt (inszeniert von Julia Riedler), die ihren Mann in Deutschland besucht und mit der sie ein Jahr lang auf einer katholischen Mädchenschule in Chile war. Trotz eindringlichem Abraten Noras gibt Luz aber den gotteslästernden Ausspruch von sich, woraufhin der Fahrgast von einer Art Dämon besessen zu sein scheint. Dieses Böse bringt dann die Frau am Steuer anscheinend mittels mentaler Manipulation dazu, das fahrende Auto frühzeitig zu verlassen.
Später wird die potenzielle Selbstmörderin auf ein Polizeirevier bestellt, um die Ursachen des Vorfalls zu klären. Dabei versucht der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Rossini (Jan Bluthardt) zusammen mit der Polizistin Bertillon (Nadja Stübinger) und dem Dolmetscher Olarte (Johannes Benecke) in einem großen Konferenzraum mithilfe von Hypnose Luz' nächtliche Taxifahrt nachzustellen. Nachdem die Hypnose-Patientin aber erneut ihre sexuell-provokanten Gottesworte laut ausruft, tritt das schwer definierbare, dämonische Böse erneut in Erscheinung, das scheinbar den Körper bei Noras und Dr. Rossinis vorherigem zufälligen Treffen in einer Bar gewechselt hat.
»Willst du so dein Leben verbringen? Möchtest du das wirklich?« Diese Fragen stellt die Protagonistin Luz in spanischer Sprache gegen Ende des Filmprologs an den Polizisten am Revierempfang und während der Taxifahrt in den Rückspiegel blickend an Nora. Tatsächlich richtet die weibliche Hauptfigur diese kritisch-reflexiven Fragen aber an sich selbst, Luz scheint nämlich in einer Art Lebenskrise zu stecken. Sie fährt seit zwei Jahren – eigenen Angaben zufolge »vorübergehend« – in Deutschland Taxi, fernab ihrer Heimat Chile arbeitet die Frau ohne Mann oder Freund in einem Niedriglohn-Job ohne große Qualifikation und ohne Aussicht auf Verbesserung der Situation. Zudem scheinen Luz die sprichwörtlichen »Dämonen der Vergangenheit« zu plagen, allen voran ihre Kloster-Mitschülerin Margarita (Lilli Lorenz), die sich aus ungeklärten Gründen selbst das Leben nahm, nachdem Luz engeren Kontakt mit ihr pflegte.
Auch die Nebenfiguren Nora und Dr. Rossini befinden sich in kritischer Lebenslage, zieht sich doch Frau Vanderkurt gerne mal ein wenig weißes Pulver aus dem Anhänger ihrer Halskette durch die Nase und der Doktor nimmt hier und da eine Beruhigungsdroge aus seinem Pillendöschen zu sich. Als sich beide in der Bar treffen, trinken sie zudem ordentlich einen über den Durst und teilen ein merkwürdiges, sexuell-spirituelles Erlebnis auf dem Klo – übrigens die merkwürdigste Szene des Films.
Der Drehbuchautor und Jungregisseur Tilmann Singer hat nach seinen ersten beiden Kurzfilmen The Events At Mr. Yamamoto’s Alpine Residence (2014) und El fin del mundo (2016) mit Luz (2018) seinen ersten Langfilm kreiert und gedreht – auch wenn dieser mit 70 Minuten Spielzeit kürzer ausfällt als die meist 90-minütigen cineastischen Werke. Luz ist Singers mit Mitteln der Film- und Medienstiftung NRW geförderter Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien Köln und entpuppt sich in vielerlei Hinsicht als experimentelle Arbeit. Der Streifen scheut sich beispielsweise nicht davor, den Zuschauer im Dunkeln tappen zu lassen – sowohl inhaltlich als auch visuell. Während man sich im Verlauf der Geschichte öfters mal fragen muss, was das bitte soll – v.a. wenn sich zum Filmhöhepunkt hin die narrativen Ebenen der real-authentischen und irreal-hypnotischen Gegenwart und Vergangenheit überkreuzen –, sieht das Psychothriller-Horrormovie nicht davon ab, seinen Betrachter auch mal dem Blackscreen zu überlassen, zeigt undurchsichtige Szenen in weiß-grauem Nebel bei schwarzem Bildhintergrund und gibt ansonsten auch nur spärlich beleuchtete, eher dunkle Räume auf dem Polizeirevier, in einer Bar oder nachts im Taxi preis. Sechzehn (!) Beleuchter haben dabei ganze Arbeit geleistet.
Singer samt seinen sechs Kameraassistenten verwendete in einigen Sequenzen für das Horrorfilmgenre typische Einstellungsgrößen wie Nah-, Groß- und Detailaufnahme, z.B. wenn die teils blutverschmierten Gesichter von Dr. Rossini, Nora und Luz während der Therapiesitzung, des Barbesuchs oder auch der nächtlichen Taxifahrt ganz nah zu sehen sind. Zudem wird auch ein paar Mal langsam gezoomt. Zwar sind diese Kameratechniken optisch weniger experimentell, doch laufen in Luz auch zwei Darsteller (Mann und Frau) splitterfasernackt durchs Bild und Figuren blicken auch mal direkt in die Kamera. Untypisch!
Musikalisch untermalt werden ruhigere Filmmomente mit Instrumenten der Klassik wie Violine, Viola und Cello; schnellere, spannungsgeladene Handlungselemente werden mit Schlagzeug und/oder Percussion begleitet. Der gelegentliche Einsatz eines Synthesizers verstärkt dabei den nervenaufreibend-beunruhigenden Charakter von Luz, unterschiedliche (Stör-)Geräusche ergänzen zudem das asymmetrisch-akustische Hörspiel. Für den Film wurden eigens komponierte, stimmige Lieder und Themen verwendet – ein wohl nicht allzu üppiges Kapital für die Regiearbeit hat das Bezahlen von GEMA-Gebühren für bekannte Songs vermutlich nicht zugelassen.
Singers erster lange Spielfilm und Horrorstreifen kann sich sehen lassen, auch wenn da noch Luft nach oben ist. Mehr Drehbuch- und Regieerfahrung, sowie ein größeres Filmbudget können dabei helfen (zur Finanzierung von Luz musste u.a. eine Schleichwerbung von Splish Cola in den Film eingearbeitet werden – wer genau hinsieht, findet den Werbespot!). Ob Singer der nächste Eichinger, Emmerich, Fassbinder, Murnau oder Tykwer wird, bleibt abzuwarten – den Förderpreis von NRW für junge Künstler in der Kategorie Film hat er Ende letzten Jahres zumindest schon mal gewonnen.