USA 2012 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Matthew Akers Drehbuch: Matthew Akers Musik: Nathan Halpern Kamera: Matthew Akers Schnitt: E. Donna Shepherd |
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Marina Abramovic und Ulay |
Menschen, die mitten in New York vor einem Gebäude übernachten, nur um sie zu sehen. Menschen, die vor Aufregung beinahe kollabieren, nur weil sie ihr ein paar Minuten in die Augen schauen dürfen. Menschen, die auf einem Stuhl sitzen und vor Glück zu weinen beginnen. Ihnen gegenüber sitzt eine reife Frau, die das tut, was sie ihr ganzes Leben lang getan hat. Sie macht eine Performance.
Marina Abramovic hat sich für die Ausstellung im Museum of Modern Art in New York einmal etwas ganz anderes einfallen lassen. Sie lässt sich nicht aufschlitzen, rennt nicht gegen Wände und kein einziges Mal ist Blut im Spiel. Sie sitzt. Drei Monate lang, siebeneinhalb Stunden täglich. Die Ausstellungsbesucher tun fast alles, um ein paar Minuten auf dem einen Stuhl gegenüber Abramovic Platz nehmen zu dürfen und Augenkontakt mit der weltberühmten »Grandma of Performance Art« aufzunehmen. Das alles kann man nun in einer Dokumentation über eben diese New Yorker Ausstellung im Kino verfolgen. Ob der Zuschauer 2012 im Kinosessel dabei ebenso emotional berührt ist wie die Besucher 2010 auf dem Besucherstuhl im MoMa, ist jedoch fraglich.
Der Dokumentarfilm Marina Abramovic – The Artist is Present soll der großen Heroin der Performance-Kunst ein zusätzliches Denkmal setzen. »Zusätzlich« deshalb, weil diejenigen Menschen, die sich mit der Kunst des 20. Jahrhunderts und der bedeutenden Frage »Was ist überhaupt noch Kunst?« bereits auseinandergesetzt haben, kein weiteres Denkmal bräuchten, um sich die Bedeutung von Abramovics Schaffen ins Gedächtnis zu rufen. Mit Performances wie »Expanding in Space« im Jahr 1977 haben sich Marina Abramovic und ihr langjähriger Partner Ulay unsterblich gemacht. Warum rennen zwei Menschen hundertmal hintereinander mit ihren nackten Körpern gegen eine Mauer, bis sie völlig erschöpft und von Prellungen übersäht sind? Die Antwort lautete damals: weil’s provokant ist und nicht nur ein Gemälde oder ein Gedicht Kunst sind. Sowohl die kunstinteressierte Öffentlichkeit, als auch die kunstgeschichtlichen Institute der Universitäten erkennen die innovative Leistung Marina Abramovics inzwischen an. Eine Kunstrichtung, die aufgrund ihrer extremen und oft brutalen Körperlichkeit und ihrer Unmittelbarkeit gegenüber dem Betrachter lange Zeit dafür kämpfen musste, sich überhaupt als »Kunst« bezeichnen zu dürfen, hat das in Expertenkreisen offensichtlich erreicht.
Die Dokumentation scheint nun den letzten Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der Performance als Kunst machen zu wollen. Jetzt soll auch das breite Publikum, das von Performance vorher nur wenig bis gar nichts wusste, mit ins Boot geholt werden. Natürlich funktioniert das nur über das Medium dieses breiten Publikums: das Kino. An sich ist gegen diese Idee nichts einzuwenden. Wenn die Dokumentation wenigstens einige wenige Menschen dazu bringt, sich Performances nicht nur auf der Kinoleinwand, sondern in echt anzusehen, dann hat sie schon einiges erreicht. Doch an diesem Punkt erkennt man die Krux an der ganzen Sache: Eine Dokumentation über Performance zu machen, ist, als wolle man ein Lied mit Pinsel und Farbe auf die Leinwand bringen, um es zu erklären. Performance und Film sind zwei Medien, die wesentliche Merkmale voneinander trennen. Bei der Performance geht es darum, den direkten und unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum, das Sprengen der Grenzen zwischen Performer und Zuschauer zu erreichen. Die Unmittelbarkeit des Geschehens, die schockierende Wirkung der Körperkunst soll den Betrachter emotional angreifen, ihn aufschrecken. Es liegt daher auf der Hand, dass das Wort »Unmittelbarkeit« mit dem Medium des Dokumentarfilms, der die Performance in Form einer Videoaufzeichnung ja wortwörtlich »übermittelt«, nicht viel zu tun haben kann.
Der Film Marina Abramovic – The Artist is Present gibt uns viele interessante Informationen über die Künstlerin. Man sieht, wie sie kocht, wo sie wohnt und wie sie sich auf ihre Performances vorbereitet. Marina Abramovic erscheint als ruhige, nette und menschenfreundliche Dame, die gern nackt ist und im ersten Augenblick nichts von der Expressivität ihrer Kunst im eigenen Wesen trägt. Auch in die Geschichte ihres Kampfes für die Performance-Kunst bekommt man eine gute Einführung, die Aufzeichnungen zahlreicher Performances werden dafür bemüht. Doch eines schafft der Film nicht: die Zuschauer im Kino die Emotionalität der Performance im New Yorker Museum of Modern Art so nachempfinden zu lassen, wie die damals Anwesenden es taten. Selbst wenn sich der Betrachter im Kino durch das, was er sieht, berührt fühlt, ist es nicht eine Performance, die ihm nahegeht. Was ihm nahegeht, ist ein Film über eine Performance, der all seine Mittel ausspielt, vor allem das der anrührenden Musik, um den echten Affekt als bloßen Effekt hervorzurufen. Und das ist, leider, ein Unterschied.