Deutschland 2005 · 74 min. · FSK: ab 0 Regie: RP Kahl Drehbuch: RP Kahl Kamera: Tanja Trentmann Darsteller: Laura Tonke, Katharina Schüttler, Inga Birkenfeld, Nicolette Krebitz |
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Halb Essay, halb Doku |
Geschwindigkeit pur, Gefahr und Abenteuer, Schönheit und Kraft – die ersten, rasanten Minuten von RP Kahls Mädchen am Sonntag enthalten alles, was das Kino ausmacht. Diese Bilder aus Wildheit und Verführungskraft stehen am Anfang eines dokumentarischen Filmessays.
Die Spielwütigen hieß vor zwei Jahren ein schöner Film von Andres Veiel: Das Portrait von vier Schüler der Berliner Ernst Busch-Schauspielschule. Ein Film voll vom Zauber des Anfangs, der Begeisterung, der Lust am Spielen. Der Berliner Regisseur RP Kahl, der selbst als Schauspieler begann, erzählt diese Geschichte in seinem dokumentarischen Essay Mädchen am Sonntag gewissermaßen fort: Vier Schauspielerinnen, drei von ihnen gehören zu bekanntesten des deutschen Films, erzählen von ihrer Arbeit, aus ihrem Leben, über Ängste, Hoffnungen und denken über die Zukunft nach.
Laura Tonke, Nicolette Krebitz, Katharina Schüttler und Inga Birkenfeld – das kann man als filmische Version der »Vier Jahreszeiten« begreifen: Während Birkenfeld noch am Anfang steht, und Schüttler gerade auf einer Woge des Interesses schwimmt, ist Laura Tonke um die 30, und hat erste Enttäuschungen erlegt, Nicolette Krebitz, vor ein paar Jahren ganz oben im deutschen Kino, steht kaum noch vor der Kamera, hat inzwischen ein Kind, und erste Regiearbeiten hinter sich.
Das ist eine Idee, auf die muss man erst mal kommen: Halb Essay, halb Doku stellt Kahl diese vier sehr unterschiedlichen Darstellerinnen vor. Sehr offen reden und erzählen sie, über Selbstzweifel, und über die Leute, die noch an einen glauben, über den Alltag als Schauspielerin in einer Landschaft, in der man zunehmend nicht mehr versteht, was Kino eigentlich ist und sein könnte, wo stattdessen quotenfixierte Fernsehredakteure den Ton angeben und über Regisseure, die zwar
nach Außen den starken Mann und großen Künstler geben, intern aber ihre eigene Unsicherheit auf die Schauspieler projezieren, und eine Darstellerin fünfmal zum Casting einladen – worauf sie dann erst Monate später erfährt, das der Film längst mit einer anderen gedreht wird.
Oder die Erfahrungen, die Katharina Schüttler gemacht hat: Sophiiiie! ist der Film, den sie als ihren »vielleicht
besten« einschätzt. Sie gewann für ihn Schauspielpreise. Aber ihre Agentin riet ihr, die Ausschnitte aus ihrem Demoband zu nehmen, zu gefährlich, zu wild, zu wenig angepasst war der Film – er würde ihr bei den TV-Redakteuren, die die wahren Entscheidungen treffen im deutschen Film, nur schaden. Diese Episode zeigt, wie Darsteller und Filmemacher in Deutschland zum Kuschen erzogen werden, anstatt zum Wagnis, zur Feigheit, nicht zum Mut. Sie zeigt, dass es den allermeisten längst
nicht mehr um Kunst geht im Kino,. sondern ums Geschäft. Wie sollte man mit dieser Mentalität auch Kunst machen?
Es hat auch ziemlich viel mit Genauigkeit zu tun. Irgendwann im Film erzählt Laura Tonke eine aufschlussreiche Anekdote: Während der 68er-Unruhen kam die französische Schriftstellerin Francoise Sagan einmal zu einer Kundgebung. Einige der Studenten gucken böse und fragten: »Was will denn die bourgoise Tussi hier mit ihrem Ferrari?« Worauf Sagan konterte: »Das ist kein Ferrari, das ist in Maserati.«
Die Haltung ist es, um die es geht. Und die Ungenauigkeit der Anderen. Dazu
passt die Rezension, die Johanna Adorján vorab über Mädchen am Sonntag in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« veröffentlicht hat, und ihre Kritik, die leider offensichtliche persönliche Gründe und nichts mit dem Film zu tun hat (s.u.), hängt sie an einer angeblichen »entsetzlichen Truffaut-Sicht« des Films auf: »Kino ist schöne Dinge mit schönen Frauen machen.« Zu ihren Gunsten (obwohl?) wollen wir mal hoffen, dass sie das nur hingeschrieben hat,
um ihrem Film-Redakteur eins auszuwischen. Der schrieb nämlich über den Film: »Wir brauchen mehr Mädchen am Sonntag« und meinte, er sei »geradezu französisch in seiner Art, einen liebenden Blick auf die Frauen zu werfen.«
Schwerer wiegt aber, dass der Satz – der übrigens vielleicht gar nicht von Truffaut stammt, sondern von Godard oder von Preminger, so genau lässt sich das nicht mehr feststellen – in Wahrheit ganz anders lautet: »Kino ist, wenn schöne Frauen schöne Dinge
tun.« Und das ist jetzt schon ein gewaltiger Unterschied, vielleicht der Unterschied von gutem und schlechtem Kino; Maserati eben, nicht Ferrari.
Kahl vermag es, die vier Darstellerinnen dem Publikum zu öffnen, Einblicke von entwaffnender und anrührender Offenheit zu geben, ein Klima der Intimität herzustellen, wie man es selten zu sehen bekommt, im deutschen Kino – eine genaue, manchmal sehr direkte und immer phantasievolle Annäherung an vier unverwechselbare Darstellerinnen, voll visueller Zärtlichkeit. Kahl zeigt, wie es mit der Spielwut weitergeht, und erweist sich in seinem zweiten Langfilm als der letzte wahre Erbe der »Münchner Schule« eines Rudolf Thomé, Eckardt Schmidt und Klaus Lemke: unverfälschtes, ungelacktes Pop-Kino zum Träumen und sich-Verlieren.
Schon der Titel ist vor allem eine Referenz auf die vergessene deutsche Filmgeschichte der Weimarer Republik jenseits von Metropolis, und damit auf die immer noch größten Jahre des deutschen Films. Und unaufdringlich ruft der Film einem Maximilian Schells vergessene Romy-Schneider-Doku aus den Sechzigern ins Gedächtnis. Was könnte heute eine Romy Schneider heute für Filme drehen? Könnte man sie sich in Weingartners Fetten Jahre vorstellen, oder als Sophie Scholl, oder in einem Doris Dörrie-Film? Dass man das nicht kann, dass man vielmehr laut auflachen muss bei der Vorstellung, was sagt uns das über den Stand der Dinge im deutschen Film?
Mädchen am Sonntag ist eine Sehnsuchtsreise ins Innere des deutschen Films. Kahls Essay handelt vor allem von den verpassten Chancen des deutschen Films, die auch die der vier Film-Mädchen sind. Man könnte hier andere Namen einsetzen: Jana Pallaske oder Marie Zielke, Bernadette Heerwagen und viele andere. Sie alle werden keine Romy Schneiders werden, weil die Bedingungen, unter denen hier Filme mehr gemanagt als gedreht werden, solche außerdurchschnittlichen Erscheinungen nicht zulassen.
Dabei bräuchten wir heute nichts mehr, als eine wie sie, doch eine Romy Schneider wäre eigentlich unmöglich, noch unmöglicher als zu der Zeit, in der sie vor den Spießbürgern des Betriebs nach Frankreich floh. In Deutschland gibt es heute kaum Kino, das Gefahr pur, Abenteuer pur, Schönheit pur sein will, dem Bilder voller Wildheit und Verführungskraft gelingen. Warum kann unser heutiges Kino mit Charisma, mit der Aura der Stars, mit Luxus und Glamour so wenig anfangen? Warum entsteht Qualität, wenn sie überhaupt entsteht, bei uns nur aus Strenge und Reduktion, nie aber aus Überfluss und Lust?
Viele Fragen, eine Antwort: Ästhetik und Glamour stehen bei uns immer unter Verdacht, Moral nicht. Umgekehrt wär’s aber besser. Soll unser Kino beim Publikum überleben, und nicht zur zeitgenössischen Variante der Oper degenerieren, dann braucht es weniger Puritanismus und hundert Mal mehr Einfälle – und mehr Filme, wie diesen, mehr Anekdoten wie die, die Laura Tonke hier erzählt über Francoise Sagan und ihren Maserati, mehr Leute, die denken, wie Nicolette Krebitz: »Es ist scheißegal, ob ein Film drei Akte hat. Oder ob er mal langweilig ist – wenn es dafür auch einen Moment gibt, an dem er richtig gut ist.«
Persönliche Nachbemerkung:
Normalerweise soll man ja nichts über Kollegen schreiben. Heißt es. Ich finde, man sollte viel mehr über Kollegen schreiben, nicht, weil Filmkritik sich ach so wichtig nehmen müsste – obwohl sie auch keinen Grund hat, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen –, sondern weil auch Filmkritik wiederum der Kritik unterliegen muss, nicht einfach so dastehen darf. Was wir brauchen ist mehr Diskussion, mehr Debatte, und darum auch
mehr »Nachkritik«, also Kritik der Kritik, die Diederich Diederichsen im letzten Jahr einmal eingefordert hat. Und damit fange ich jetzt einmal an.
Der oben bereits erwähnte FAZ-Text zu diesem Film ist nämlich nicht allein deswegen mies, weil die Autorin Johanna Adorján ein falsches Truffaut-Zitat verwendet, und Regisseur Kahl indirekt als Puffgänger bezeichnet (was vielleicht auch keine ehrenrührige Unterstellung ist, aber hier jedenfalls nicht nett gemeint) oder weil sie den Film mit einem Puffbesuch gleichsetzt, und auch nicht, weil der Text in diesem Lehrer- und Besserwisserimpetus geschrieben ist, den wir an der FAZ so lieben – so wie die FAZ immer statt Joschka Fischer Joseph Fischer schreibt, schreibt Fräulein Adorján »RP Kahl, dereigentlich Rolf Peter Kahl heißt«, was ja auch eine merkwürdige Form von Filmkritik ist.
Sie stört, dass Mädchen am Sonntag ein Film ist »voll Nachdenklichkeit, Wehmut, Selbstzweifeln und Herbstlaub.« Sie selbst mag wohl lieber »Feelgood-Movies«, die sie mal – bei einem Drehbesuch zu Almost Heaven, nicht ganz zufällig ein Film mit Heike Makatsch – so beschrieb: »Filme, die ein wenig märchenhafter sind als die Realität und einen mit einem warmen Gefühl aus dem Kino entlassen sollen. Viele werden in Deutschland davon nicht gedreht.« Tja, der Schlusssatz hinterlässt jetzt aber auch kein so richtig warmes Gefühl, wirkt eher voll Nachdenklichkeit, Wehmut und Herbstlaub.
Das wirklich Dreiste an ihrer Kritik ist aber die offensichtlich persönliche Motivation: Die Autorin ist nämlich die offizielle Busenfreundin von Heike Makatsch, und die war, was natürlich die meisten Adorján-Leser nicht wissen, in einem ganz frühen Stadium des Films einmal im Gespräch, eines der vier »Mädchen« zu werden. Wurde sie dann aber nicht – vermutlich, weil sie ein bisschen zu spießig ist, um auf einer Stufe mit den anderen vier zu stehen – und jetzt rächt
sich die Freundin mit diesem Text.
Adorján stört, dass Kahl mit den Schauspielerinnen Interviews über ihren Beruf geführt hat, seine Fragen herausschnitt, und dass »der Eindruck entsteht, die Befragten nähmen sich und das, womit sie ihr Geld verdienen, unendlich wichtig.« »Was da alles geredet wird.« meint sie und findet den Film »überhaupt sehr deutsch« (was in Deutschland ein merkwürdiger Vorwurf ist), »unerträglich«, erschütternd und humorlos.
Darf sie ja alles. Was sie
aber ganz genau nervt, kann sie trotzdem nicht erklären, und so vermute ich mal, dass es doch vor allem die Tatsache ist, dass Heike Makatsch nicht dabei ist. Denn immerhin verreißt Adorján auch schon mal ein Buch von einem Schriftsteller, der Leute nicht mag, »die Heike Makatsch sexy finden«. Aber auch solche persönlichen Ressentiments müssen nicht verboten werden.
Nur interessant ist es natürlich in dem Zusammenhang schon, mal zu gucken, was für super Interviews die Verfasserin selber so führt. Zum Beispiel mit »Frau Makatsch« zur Bundestagswahl 2002: Da sagt die so tolle Dinge wie »Ich hatte immer das Gefühl, Köpfe austauschen ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit einem neuen Programm und Veränderung. Unsere Demokratie kommt mir manchmal wie eine Scheindemokratie vor. Eine wirkliche Opposition gibt es nicht, man hat nicht wirklich die Wahl zwischen zwei Richtungen.Wenn man sich die Welt so ansieht und was auf ihr passiert, kann man schnell den Eindruck gewinnen, daß es Augenwischerei ist, daß man da alle vier Jahre irgendwo ein Kreuzchen machen darf. Ich erinnere mich noch an eine Klassenfahrt nach Berlin, als die Mauer noch stand. Da waren wir in Ost-Berlin, auf dem Alexanderplatz, und wir fanden es unglaublich, daß auf diesen Platz Kameras gerichtet waren. Guck mal, haben wir geflüstert, gibt’s ja gar nicht, ist ja total 1984. Wir können ohnehin nichts ändern. Die Pershing-Raketen wurden ja doch stationiert – gegen alle Proteste. Das hat sich eingefräst, die Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit.Als ich klein war, war ich politisch sehr engagiert. Meine Freunde und ich, wir haben Plakate gemalt, auf denen ›Bitte Frieden!‹ stand oder ›Wir Kinder haben Angst vor dem Krieg‹, und die haben wir dann vervielfältigt und hinter die Scheibenwischer von Autos geklemmt. Als Teenager bin ich irgendwann in dieses viel beschriebene Politik-Resignationsloch gefallen, und wie es aussieht meine ganze Generation mit mir. Das Gefühl: Ich kann zwar beobachten, was passiert, aber ändern kann ich es nicht.Ich werde öfters zu solchen Anlässe eingeladen, wie viele andere Schauspieler auch, aber ich sage immer ab. Vielleicht ist das feige, und manchmal denke ich, es wäre für jemanden, der in der Öffentlichkeit bekannt ist, auch wichtig, eine Haltung zu zeigen, vielleicht Ideen zu liefern für junge Menschen – aber ich trau' mich nicht. Ich habe nicht das Gefühl, ich könnte da guten Gewissens eine klare Position vertreten.«
Mensch. Was da alles geredet wird! So ganz ohne Nachdenklichkeit, Selbstzweifel und Herbstlaub. Wie schön, dass die FAZ noch bessere Leute von der Süddeutschen geholt hat.