D/I/Ö 2017 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Felix Randau Drehbuch: Felix Randau Kamera: Jakub Bejnarowicz Darsteller: Jürgen Vogel, André M. Hennicke, Sabin Tambrea, Susanne Wuest, Martin August Schneider u.a. |
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Der, der niemals zurück kam: Ötzi als Fantasy-Film |
Überaus grausig und brutal geht es los: Man hat sich kaum gewöhnt an das harte, aber vermeintlich idyllische Leben in der Jungsteinzeit, in Alpentälern in Hütten zwischen Schweinen und Ziegen, da geht dieses Leben nach ein paar Filmminuten schon unter in einer Hölle aus Blut und Feuer: Man hat kurz eine Gemeinde von ein paar Handvoll Menschen erlebt, ihren Clanchef, einen bedachtsamen Mann und seine deutlich jüngere blonde Frau mit zwei niedlichen Kindern, dann sieht man, wie das komplette Dorf massakriert wird, die Kinder erschlagen, die Frau zuerst noch vergewaltigt, danach auch niedergemetzelt.
Nur der erwähnte Clanführer war gerade nicht vor Ort, sondern wie man das so machte seinerzeit, auf der Jagd. Von nun an wird er die Täter verfolgen und seinerseits töten, denn auch in der Jungsteinzeit hieß es »Auge um Auge«. Auf der Ebene seiner Geschichte ist Der Mann aus dem Eis somit nicht anders, als ein anständiger Rachewestern oder »Ein Mann sieht Rot« – allerdings garniert mit der Folklore der Frühgeschichte. Und die ist hier entscheidend.
Der Mann aus dem Eis lebt einerseits von unserem Vorwissen: Wir wissen aus der Werbung, dass Felix Randaus Film eine fiktionale Einfühlung in das Leben jenes Mannes aus dem Neolithikum sein soll, der etwa 5300 Jahre nach seinem Ableben aus einem schwindenden südtiroler Gletscher wieder auftauchte und als »Ötzi« weltberühmt wurde. Ötzi ist seitdem eine Projektionsfläche für Zivilisationsflüchter aller Art. Um die höchst spärlichen belegten Fakten herum haben Randau und sein Team eine ambitionierte Story erfunden, die uns allzu bekannt und gegenwärtig vorkommt: Damals waren alle Ökobauern, lebten zwischen Tieren und Ritualen ineins mit der Natur. Spirituellen Trost spendet ein heiliger Stein. Der Überlebende muss zwischen Todestrieb und Rachelust zunächst noch so etwas wie Verantwortung lernen, bevor der Film ihn gnädig sterben lässt, und er zum Ötzi werden kann.
So weit, so gut, auch wenn zum vorab Bekannten in diesem Fall auch gehört, dass wir wissen, wie es ausgeht. So verfolgt man die Chronik eines angekündigten Todes – und die Spannung ist nur spärlich.
Beflissen illustriert der Film hingegen das, was man aus Ötzis Leiche herauslesen kann: Eine paar Tage alte Kampfwunde, die letzte Mahlzeit – Alpensteinbock – und die tödliche Pfeilwunde in den Rücken. Das alles wirkt in seiner Beflissenheit eher wie eine ausgedehnte, und teuer ausgestattete »Terra X«-Folge. »So könnte es gewesen sein«, auch wenn es höchstwahrscheinlich nicht so war.
Andererseits ist dies auf der Tonebene fast ein Experimentalfilm. Denn es gibt keine Dialoge. So schlicht und archetypisch, man könnte auch sagen, holzschnittartig sind Gesten und Worte, so expressiv das Spiel der Darsteller, dass man alles auch so versteht.
Trotzdem will »Der Mann aus dem Eis« dann natürlich doch ein »richtiger« Film sein, also »echtes Kino«, das »sein Publikum findet«, das also am Ende massentauglich und quotenträchtig ist. Deswegen, muss alles »verständlich« und »nachvollziehbar« sein, jedenfalls für die Fördergremien (FFF Bayern, BKM, Medienboard Berlin-Brandenburg, Business Location Südtirol in Höhe von 560.000 Euro) und Intendanten und Redakteure, bei denen Phantasie bekanntermaßen nicht aus den Ecken
quillt.
Weil diese Absicht hier allzuviel dominiert, sieht der Film dann eben so aus, wie er aussieht. So ist der Ötzi einer von uns: Jeder Blick, jede Geste, jede Handlung aus den Förmchen der Verhaltenfibeln unserer Gegenwart. Keine Irritation, keine Überraschung, keine Abneigung, kein Rätsel, kein Staunen bleibt übrig – wir verstehen alles, auch ohne Worte.
Und ein gar nicht so kleines Bisschen spielt das alles dann natürlich auch noch mit dem Mythenkitsch des Naturkinos, des Bergfilms und Heimatfilms: Den Sehnsüchten der urbanen Moderne nach dem vermeintlich Authentischen im Mittel-Holozän. In diesen Sehnsüchten herrschen auf dem Berg halt andere Gesetze. Da begegnen wahre Männer sich selbst, der Natur, »dem Schicksal« und jener »anderen Seite«, nach der von den Höhlenmenschen bis zu den Hippies noch jedes Zeitalter auf seine Weise
gesucht hat.
Gegenüber den Niederungen des modernen Lebens in der Tiefebene wohnt den Bergen der freie Ausblick ins Unendliche und »Reduktion von Komplexität« (Niklas Luhmann) inne.
Wenn Der Mann aus dem Eis unsere Schaulust und Phantasie befriedigt, ist der Film trotzdem durchaus faszinierend. Die Bilder von Jakub Bejnarowicz sind großartig, auch wenn es eine Tendenz zum Touristischen gibt, dazu, die Pracht der Natur zu sehr auszustellen, zu sehr aussehen zu lassen, wie in einem Werbefilm für Abenteuerurlaub in Südtirol.
Man kann sich zudem auch ungeeignetere Hauptdarsteller für diese Rolle vorstellen, als Jürgen Vogel. Langsam, gleichmäßig schleppt er sich mit einem viele Kilos schweren Holzgestells auf dem Rücken, gewärmt von auch nicht gerade leichten Pelzschichten, unwirtliche Alpenpässe hinauf und Gletscherspalten hinab. Warum die Menschen damals überhaupt auf die eisigen Gebiete gingen, hätte man gern gewusst – wer an Fakten interessiert ist, für den bleiben viele Fragen offen.
Die zentrale Frage »Wozu das alles?« können aber auch die schönsten Bilder nicht tilgen. Was nutzt es dem Zuschauer, wenn Vogels Ötzi »Uh uh« sagt, und das möglicherweise aus Expertensicht authentischer, als ein »Ah ah«, das sich auch der Regiepraktikant hätte ausdenken können? Dass die Hütten mit Rinde bedeckt sind, anstatt mit Stroh, und die Felle um Vogels Lenden von richtigen Tieren abstammen? Dass die Jacken handgeschneidert sind? Man weiß dergleichen eh nur aus dem Presseheft. Ein hervorragendes Beispiel für Aufwand an der falschen Stelle, zumal die hinzugezogenen Experten selber einräumen, es handle sich um eine spielerische Annäherung, und zugeben, hier wenig wirklich zu wissen.
So hat dieser Versuch, sich der neolithischen Kultur zu nähern, dann sogar oft etwas unfreiwillig Komisches – auch mit Strubbelbart und erfundener Primitiv-Sprache, bleibt Jürgen Vogel eben immer Jürgen Vogel, der einen Steinzeitmenschen spielt.
Am Ende geht es im Kino doch um Spannung und Abenteuer, und davon bietet Am Anfang war das Feuer (1981) deutlich mehr, ebenso wie Conan der Barbar, Familie Feuerstein, und der unvergessene Senta-Berger-Film Als die Frauen noch Schwänze hatten (1970) – alle diese Versuchen beweisen, dass selbst unter den besten Regisseuren ein Steinzeitabenteuer immer zu einer Art Trash wird.
Anmerkung:
Mit der aus meiner Sicht riesigen Summe von 110.000 Euro Verleihförderung wird Der Mann aus dem Eis jetzt ins Kino gebracht – also über 50 Cent Verleih-Subvention pro einzelnem Zuschauer, wenn er nicht über 200.000 Zuschauer »macht«.
Über so etwas müsste man auch einmal reden. Aber vielleicht an einem anderen Beispiel.