USA 1996 · 98 min. · FSK: ab 16 Regie: Abel Ferrara Drehbuch: Nicholas St. John Kamera: Ken Kelsch Darsteller: Christopher Walken, Chris Penn, Vincent Gallo, Benicio Del Toro u.a. |
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Voller Intensität und Dichte |
Der kleine Raimondo kann den Blick nicht abwenden von den verzweifelten Augen, die ihn so flehend und voll Todesangst anschauen. Völlig verunsichert hält er die Pistole in der Hand und gehorcht schließlich den Worten seines Vaters, die ihm eindringlich die Notwendigkeit des Todes dieses Mannes einflüstern. Raimondo schließt die Augen und drückt ab. Er weiß: der Mann muß sterben, sonst kommt er eines Tages zurück und rächt sich an seiner Familie. Es war das erste Mal, das Raimondo Temple jemanden erschossen hat, und somit ist er nach alter Familienregel nun ein Mann. Beinahe feierlich nimmt der Vater die Patronenhülse aus dem Magazin und überreicht sie seinem Sohn mit den Worten: »Trage sie immer bei Dir. Sie wird dir das Kostbarste sein, was du je besessen hast.«
Jahre später befindet sich Ray wieder in einer ähnlichen Situation: Auf dem Stuhl vor ihm sitzt diesmal Gaspare Spoglia, ein Mafiosi-Kollege, der Rays Ansicht nach eindeutig der Mörder seines Bruders Johnny ist, schließlich hat er eine Affäre mit Gaspares Frau gehabt. Die Unsicherheit aus Kindertagen hat Ray längst abgelegt: seit dem Tod des Vaters hat er die Rolle des Familienpatriarchen übernommen und durch seine zwielichtigen Geschäfte sind derlei Situationen inzwischen Routine. Souverän spielt er mit dem Ausgeliefertsein seines Gegenübers und gibt sich als Gentleman mit Stil und Großmut, als er Gaspare auffordert, er könne ruhig die Wahrheit sagen, man sei ja unter sich, keiner schaue zu – »wir sind frei«.
Doch in Wahrheit ist der Ausgang dieser Situation bereits beschlossen, die Aufforderung zur Offenheit von Rays Seite mehr eine Frage des Ehrencodex, Teil des ganzen Spiels. Genau dieser Irrglaube, aus freier Entscheidung heraus zu handeln, ist bezeichnend für das Leben der Temple-Brüder. Jean Temple, Rays Frau, bringt dies in einer Bemerkung genau auf den Punkt: die Temples hielten sich zwar alle für »harte und starke Individualisten«, blieben aber in Wirklichkeit »immer Gefangene ihrer eigenen primitiven Erziehung«. So sind sie geprägt von täglich gelebten Widersprüchen. Da sind die unzähligen Verbrechen und menschenverachtenden Grausamkeiten auf der einen Seite und die fanatische Hochhaltung von Familie und Religion auf der anderen. Besonders deutlich wird dies, als die Familie aus Anlaß der Beerdigung Johnnys zusammenkommt. Während die Frauen noch Johnnys Tod beweinen, planen die Männer bereits die Rache an seinem Mörder. Die Frauen haben die zerstörerische Macht der fragwürdigen Familientradition längst erkannt und bitten ihre Männer, aus dem Teufelskreis auszubrechen und auf den Racheakt zu verzichten – vergebens. Die Männer verweigern sich jeglicher Auseinandersetzung damit, die Diskrepanz zwischen ihren Bedürfnissen und dem anerzogenen Selbstbetrug wird immer eklatanter.
Die Ingredienzen von Abel Ferraras neuestem Film lesen sich wie der Inbegriff eines herkömmlichen Mafiaepos – 30er Jahre, Familienclan, Morde, Racheprinzip – doch es geht hier um weitaus mehr: Ferrara interessiert sich für die menschlichen Konflikte hinter den genreüblichen Hochspannungsszenen, setzt dort ein, wo in anderen Mafiafilmen nach den publikumswirksamen Schießereien ausgeblendet wird; er beleuchtet die sozialen Gefüge und emotionalen Strukturen seiner Figuren, folgt ihnen nach Hause, in die Familien, in die Schlafzimmer. So wird auch nicht etwa der Moment der Ermordung Johnnys dramatisch in Szene gesetzt; vielmehr rückt seine Beerdigung in den Mittelpunkt des Geschehens als ein Ort, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart treffen, an dem die Konsequenzen des ständigen Selbstbetruges so schmerzlich sichtbar werden und die Zukunft erst noch so offen und voller Möglichkeiten scheint. Gekonnt setzt Ferrara diesen Aspekt in einer Verschachtelung von Rückblicken um, die den Mord an Johnny kausal mit dem Racheakt der Brüder verbindet und somit auch mit der zerstörerischen Familienmaxime. Für die im Film thematisierte Frage nach Selbstbestimmung und Determination stellt also die Mordsequenz selber eine entscheidende Schlüsselszene dar: beinah leicht zu übersehen, werden anfangs nur die Sekunden vor Johnnys Tod gezeigt. Erst das Fortschreiten der nachfolgenden Ereignisse scheint die Entwicklung der Situation zu beeinflussen, den Mord zu bedingen. Hierin kommt Ferraras Ansicht zum Ausdruck, daß der Verlauf der Dinge durch eigenverantwortliches Handeln beeinflußt werden kann. Wie die meisten Menschen sind die drei Hauptfiguren jedoch nicht fähig, aus den so praktischen weil gewohnten Verhaltensweisen auszubrechen, und geben sich statt dessen mit fadenscheinigen Entschuldigungen wie der göttlichen Bestimmung zufrieden.
Auch wenn Das Begräbnis in einem apokalyptischem Ende kulminiert, ist Abel Ferraras Film doch keine Moralpredigt mit erhobenem Zeigefinger. Ihm gelingt es, die innere Zerrissenheit, Leidenschaft und Ohnmacht seiner Figuren mit einer solchen Intensität und Dichte zu zeigen, daß der Film vorbei zu sein scheint, kaum, daß er angefangen hat. Und so ist es die seltsame Stimmung des gleichermaßen soulig-beschwingten und doch melancholischen Schlußsongs, die dem Zuschauer in Erinnerung bleibt und ihn diesen Film nicht so schnell vergessen läßt.