Deutschland/Ö 2015 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Ullabritt Horn Drehbuch: Ullabritt Horn Kamera: Hans Batz, Günther Wittmann Schnitt: Robert H. Schumann |
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Benjamin Ferencz in historischer Überblendung |
Der 95-jährige amerikanische Juraprofessor Benjamin Ferencz ist ein kleiner, knittriger Mann, der in beiden Ohren ein Hörgerät trägt. Zugleich stemmt er täglich fleißig Gewichte und läuft beim Joggen so manchem deutlich jüngeren Kollegen davon. Aber insbesondere kennzeichnend für Ben sind sein messerscharfer Verstand und sein hohes Maß an Empathie. In den 90 Minuten der Dokumentation A Man Can Make a Difference redet Ben fast ohne Pause in durchweg druckreifen Sätzen, die nicht nur einen ungewöhnlichen Scharfsinn, sondern ebenso einen äußerst weiten Horizont und eine umfassende Vision aufzeigen.
Die Regisseurin Ullabritt Horn setzt dem gewitzt-witzigen Sohn ungarisch-rumänischer Juden in ihrem dritten Dokumentarfilm ein Denkmal, das alles andere als gravitätisch und ehrfurchtsvoll ist. Stattdessen zeugt A Man Can Make a Difference von frischem Geist, der extrem ermunternd und anregend ist. Die erste Hälfte des Films widmet sich vorrangig der Biografie des Porträtierten. Der Zuschauer erfährt, wie der kleine schmächtige Junge in äußerst ärmlichen Verhältnissen in der berüchtigten Verbrechenshochburg »Hell’s Kitchen« in New York aufwächst und wie sein Leben aufgrund eines Stipendiums eine Wende nimmt, die ihn dazu führt, dass er später mit nur 27 Jahren einer der Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen wird.
Bens Aufgabe bei den Nürnberger Prozessen ist die Überführung und Verurteilung der Hauptverantwortlichen der »Einsatzgruppen«, die vor der Errichtung der KZs Abertausende von Juden in Osteuropa umgebracht hatten. Benjamin Ferencz schildert, was für unüberwindbar groß erscheinende Schwierigkeiten dieser Verurteilung entgegenstanden und wie er diese mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit und Intelligenz gelöst hat. Dabei hat er zugleich so viel inneren Abstand zu dem Geschehen und zu sich selbst, dass er freimütig zugibt, dass auch mit diesen Prozessen keine wahre Gerechtigkeit erzielt werden konnte. »3000 Personen hätten angeklagt werden müssen, 22 wurden angeklagt, weil dies die Anzahl der Sitze für die Angeklagten war.«
Was im Geist dieser 3000 Massenmörder vor sich ging und wie es gelang, völlig »normale«, also nicht psychopathisch veranlagte Menschen, zu solchen Gräueltaten zu treiben zeigte Stefan Ruzowitzky äußerst eindringlich in seiner auch formell bestechenden Dokumentation Das radikal Böse (2013). Ruzowitzky gelingt es in seinem fast experimentellen Film, den schwer verdaulichen Tatsachen mit aus dem Off verlesenen Originalzitaten zu nachgestellten Soldatengruppen eine künstlerische Form zu verleihen.
Solch ein deutlicher Gestaltungswille geht Ullabritt Horn in A Man Can Make a Difference eher ab. Ihre Dokumentation ist mit dem Wechsel zwischen aktuellen Interviewpartnern und präsentierten historischen Fotos und ebensolchem Filmmaterial klassisch. Die wenigen Stellen, in denen durch musikalische Untermalung mit Easy Listening Musik oder mittels Überblendung eine historische Gerichtsszene, die vom heute 95-jährigen Ben nachgesprochen wird, einzelne Akzente gesetzt werden, wirken aufgrund der gewählten Mittel oft wenig geschmackssicher. Das stört jedoch nur geringfügig, da das besondere Charisma und die große Energie von Benjamin Ferencz ganz in die Aufmerksamkeit des Zuschauers rücken – und alles Weitere zweitrangig wird.
Benjamin Ferencz sagt an einer Stelle, dass seine Kindheit sehr hart war, er damals jedoch kein Gefühl für die Armut seiner Familie hatte, da er überhaupt nichts anderes kannte. Im Nachhinein hätte die harte Schule von »Hell’s Kitchen« sogar etwas sehr Gutes gehabt, da er dort gelernt habe, sich in Umständen jedweder Art durchzukämpfen. Wenn man ihm später in seinem Leben – etwa bei den Nürnberger Prozessen oder in Bezug auf seine Absicht, die Gründung eines internationalen Gerichtshofs anzustoßen – gesagt hat, dass dies völlig unmöglich sei, habe er geantwortet: »Aber ich werde es versuchen.«