Mademoiselle

Frankreich 2000 · 85 min.
Regie: Philippe Lioret
Drehbuch: , ,
Kamera: Bertrand Chatry
Darsteller: Sandrine Bonnaire, Jacques Gamblin, Isabelle Candelier, Zinedine Soualem u.a.
Filmszene »Mademoiselle«
Sandrine Bonnaire

Flüchtige Begegnung

Gefühle und Vernunft, heiße Leiden­schaften und die schnell folgende Abkühlung sind im fran­zö­si­schen Kino wie im Leben nicht zu trennen. Kein zweites europäi­sches Land verfügt über eine ähnlich fest­ge­fügte Kino­tra­di­tion wie unser Nachbar: Nicht der Bruch mit allen Vergan­gen­heiten, das für tot-erklären von »Papas Kino«, das man in Deutsch­land in regel­mäßigen Abständen erlebt, sondern sanfte Übergänge und der zärtliche Dialog mit der Vergan­gen­heit bestimmen das fran­zö­si­sche Kino.

Made­moi­selle demons­triert solche Geschichts­ver­bun­den­heit perfekt: Ein Film, ganz aus unser Zeit, aber zugleich in der Tradition jener Liebes­kam­mer­spiele stehend, die schon der Drama­tiker Marivaux im 18.Jahr­hun­dert auf die Bühne brachte. Eigent­lich handelt es sich um eine höfische Form: Die Welt schien im Ancien Regime so unver­än­derbar fest­ge­fügt wie heute. Doch wer genau hinschaute, konnte die feinen Haarrisse schon bemerken, die die späteren großen Brüche der Revo­lu­tion vorweg­nahmen.

Ähnlich geht es einem in Philippe Liorets Film Made­moi­selle: Eine scheinbar ganz stabile Welt, doch unter der Ober­fläche lauert ein Abgrund. Gezeigt werden 24 Stunden im Leben einer normalen Frau, von Claire (heraus­ra­gend: Sandrine Bonnaire), einer Ehefrau und Mutter, die für einen Phar­ma­kon­zern arbeitet. Ein Zufall, nichts weiter, lässt sie ihren Reisebus verpassen, so trifft sie auf den Schau­spieler Pierre (Jacques Gamblin) – und lässt sich spontan mit ihm ein. Während sie die Romanze als Ausflug aus ihrem gewohnten Trott genießt, entpuppt sich der vermeint­liche Lebens­künstler jedoch als müder Zweifler.

Bemer­kens­wert an diesem so klas­si­schen fran­zö­si­schen Film, der in seiner Heimat über 600.000 Zuschauer in die Kinos lockte, ist dabei nicht allein hand­werk­liche Perfek­tion und gute Schau­spieler, es ist auch die Tatsache, dass es sich hier – wie schon bei Francois Ozons Unter dem Sand – um eine deutsch-fran­zö­si­sche Co-Produk­tion handelt. Beson­deres Verdienst erwarb sich hier der Baye­ri­sche Rundfunk, der letzte deutsche TV-Sender, der sich noch in der Produk­tion von Spiel­filmen engagiert – ein gelun­gener Fall europäi­scher Zusam­men­ar­beit.

In der Beschrei­bung dieses einen Tages, den die beiden mitein­ander verbringen, steckt das ganze Leben: Gewinn und Verlust, Begeis­te­rung und Enttäu­schung, Unschuld der Jugend, Trauer des Alterns – amüsante, bitter­süße Gefühls­wirren. Man darf bei Made­moi­selle an die Novellen von Schnitzler und Zweig denken, die oft von solchen bitter­süßen, flüch­tigen, aber ins Mark tref­fenden Begeg­nungen handeln. Und noch mehr an Eric Rohmer, der in seinen fein­fühlig-melan­cho­li­schen Komödien eigent­lich nichts anderes zeigt, als dieses kurze Aufein­an­der­treffen zweier unglei­cher Menschen, das doch in seiner Flüch­tig­keit viel­leicht das wich­tigste in beider Leben ist: die letzt­end­liche Vergeb­lich­keit allen mensch­li­chen Strebens.