Spanien 2004 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Pedro Almodovar Drehbuch: Pedro Almodovar Kamera: José Luis Alcaine Darsteller: Gael García Bernal, Fele Martínez, Daniel Giménez Cacho, Lluís Homar, Javier Cám u.a. |
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Auf dem Streifzug seiner Eifersucht: Pater Manolo |
Anfang der achtziger Jahre in Madrid: Der erfolgreiche junge Regisseur Enrique Goded hat eine schöpferische Krise, verzweifelt sucht er in Zeitungen nach einem neuen Stoff für seinen nächsten Film. Da klingelt es an der Tür, und ein längst aus den Augen verlorener Jugendfreund steht da, der sich bei dem mittlerweile Berühmten in Erinnerung bringen und ihm einen Plot für ein neues Werk anbieten will. Aber Enrique kann in dem vor ihm Stehenden jenen Ignacio, in den er einst verliebt war, nicht wirklich erkennen, er bleibt mißtrauisch, läßt sich aber auf das Spiel des Wiedererkennens ein und nimmt die ihm angebotene Kurzgeschichte mit dem Versprechen, sie zu lesen, entgegen.
Damit hat der eben noch Darbende plötzlich eine Vorlage für ein Drehbuch in der Hand: Die Kurzgeschichte mit dem Titel »Der Besuch« fasziniert ihn, versetzt ihn mit ihrem Erinnerungssog zurück in die gemeinsame Vergangenheit mit Ignacio als Zöglinge an einem katholischen Internat in der spanischen Provinz der sechziger Jahre, in dem die Lehrjahre des Begehrens als »mala educación« ihren Anfang nehmen. Sie erzählt zudem eine phantasierte Version von der zufälligen Wiederbegegnung der beiden Freunde: Ignacio, der mittlerweile Transvestit ist und sich Zahara nennt, verführt Enrique und weiht ihn in seinen verwegenen Racheplan ein, mit dem er Padre Manolo die vergällte Kindheit im Internat heimzahlen will.
Tatsächlich will Enrique diese Geschichte nun verfilmen. Der unversehens erfolgte Musenkuß durch den wie aus dem Nichts aufgetauchten Jugendfreund hat allerdings noch seine Tücken. Einmal zweifelt Enrique weiterhin an der Identität Ignacios, der sich zudem vor allem als Schauspieler sieht, mit dem Künstlernamen 'Angel' angesprochen werden will und die Hauptrolle der Zahara für sich selbst in Anspruch nimmt. Für die wiederum hält ihn Enrique nicht geeignet. Der daraus entstehende Konflikt bringt das Projekt vorerst zum Scheitern und Enrique dazu, Nachforschungen in bezug auf Angel/Ignacio anzustellen.
Wie es dann doch dazu kommt, daß Enrique den Film macht, und zwar mit Angel in der Hauptrolle, wie zudem zwischen Enrique und Angel eine Liebesbeziehung zustandekommt und wie bei den kurz vorm Ende stehenden Dreharbeiten ein überraschender Besucher auftaucht und den fehlenden, äußerst düsteren Teil der Geschichte der »mala educación« nachträgt, das beweist Almodóvars großes Geschick, äußerlich scheinbar verwirrende Handlungsumschwünge und vielfältig zersplitterte Ereignisse dennoch überzeugend als eine ganze Geschichte zu erzählen.
Die Einheit wird auch durch die komplex wirkende Struktur nicht zerstört. Immerhin haben wir es hier mit einer mehrfach verschachtelten Binnenerzählung zu tun, deren erste Klammer sich bei Enriques Lektüre der Kurzgeschichte öffnet. Darin eingebettet liegen die Szenen der Kindheit im Internat, in welchem der eifersüchtige Pater Manolo die Liebe zwischen den Zöglingen Enrique und Ignacio unterbindet. Er will die Neigung zu seinem Liebling Ignacio mit niemandem teilen und verweist Enrique des Internates.
Gerade die Szenen aus Kindheit und Internat, in der tiefsten Francozeit in der spanischen Provinz angesiedelt, sind von einer eigenartigen Kraft beseelt. Zwar sehr sorgfältig und schön ausgestattet hinsichtlich des Dekors und der Kulissen, überlassen sie sich aber nie der trügerischen Illusion, die Vergangenheit wieder zum Aufleben bringen zu können. Über ihrer tableauartigen Gestaltung liegt der Firnis der Künstlichkeit, sie gehorchen einer diskreten Camp-Ästhetik, wie etwa die abgründige Verführungsszene zwischen dem Pater und Ignacio am Fluß, in der das Kind zur Gitarrenbegleitung des Paters in irrealer Manier »Moon River« anstimmt. Oder die Bilder vom Internatssport, wenn etwa beim Fußball der mit seiner Kutte im Tor stehende Padre nach dem Ball hechtet und dabei in einem berühmten spanischen Foto aus den sechziger Jahren landet. Auch die Aufnahmen von den religiösen Zeremonien sind belegt mit einer Art künstlich-glamourösen Erstarrung.
Wie kostbare Einschlüsse präsentiert uns Almodóvar diese Szenen, unzugänglich und unberührbar in der Kindheit versenkt, behutsam aufgehoben in der doppelten Erinnerungs- und Film-im-Film-Klammer. Nicht von ungefähr ist diese Internatszeit auch die Zeit, in der die beiden Jungen eine Initiation ins Kino erfahren, anhand der Filme mit der für ihre Erotik gefeierten großen spanischen Diva Sara Montiel. Deren Selbstinszenierung führt dann ja auch zu den Variété-Auftritten des Transvestiten Zahara / Ignacio.
Über die Binnenerzählung der Kurzgeschichte führt Almodóvar den Zuschauer in die Kindheitsszenen hinein und leitet damit zu dem später im Film gedrehten Film über, dessen brachiales Ende schließlich noch durch den mittlerweile im Zivilleben stehenden Padre Manolo als weiteren Binnenerzähler eine nicht minder dramatische Korrektur erfährt.
Und damit befindet man sich in einem souveränen Verwirrspiel zwischen dem Realen, Erinnerten und Fiktiven, das sich etwa unmittelbar an der von Gael García Bernal interpretierten Figur verkörpert, die sich ja einmal bei Enrique als Ignacio ausgibt, als solcher wiederum auf seinem Künstlernamen Angel beharrt, um in Enriques Film unbedingt den zum Transvestiten Zahara verwandelten Ignacio mimen zu wollen. Als Zahara steht er dann im Schnittpunkt von mehreren Projektionen und Identifikationen, die alle Ignacio zum Ziel ihres Begehrens haben.
Das entstehende Netz aus vertauschten und verschobenen Identitäten, Rollenspielen und Geschlechtswechseln hält den Film in einem ständigen Fließen, ohne daß das alles in jenes oft genug klamaukhafte und komödiantisch überdrehte Tohuwabohu der frühen Almodóvar-Filme mündete. Vielmehr scheint Almodóvar das Einschmelzen heterogener Versatzstücke aus verschiedenen kulturellen und populären Kontexten immer eleganter und müheloser zu gelingen: Er kann es sich sogar leisten, eine höchst komplex wirkende Struktur ineinander verschachtelter, verdoppelter und in sich gespiegelter Binnenerzählungen anzuwenden, ohne den Zuschauer um einen kontinuierlichen Erzählablauf zu bringen.
Was in der abstrakten Beschreibung des Films nämlich verwirrend und disparat klingt, fügt sich durch die Bildsprache zur evidenten Einheit. Im aufeinander folgenden Fluß der Körper, Gesichter und Orte, der Bewegungen der Kamera und der Handlung, der darin transportierten Gefühle und der über sie vermittelten Bedeutungen ergibt sich ein dicht verwobenes Melodram. Daß das skandalträchtige Thema sexuellen Mißbrauchs im kirchlichen Milieu hier irgendwie reißerisch und spekulativ behandelt würde, kann absolut verneint werden. Im Gegenteil, der Figur Padre Manolos gewährt Almodóvar am Ende eine genauso ernsthafte Würdigung als getriebenem Charakter wie den anderen Figuren. Wie schon bei den letzten Filmen, in denen es um Organtransplantation und sexuelles Vergehen an Koma-Patienten ging, beweist Almodóvar hier wieder, dass er die Tradition des großen Kino-Genres des Melodrams respektiert und um aktuelle Themen erweitert, ohne es an billige Sensationsgier zu verraten.