USA 1997 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: George Armitage Drehbuch: Tom Jankiewicz, D.V. DeVincentis, Steve Pink u.a. Kamera: Jamie Anderson Darsteller: John Cusack, Minnie Driver, Alan Arkin, Dan Aykroyd u.a. |
Klassentreffen sind eine Geißel Gottes. Wer hätte diese Erfahrung wohl noch nicht gemacht. Schlimm genug, wenn man einen Ehemaligen unvorbereitet in der U-Bahn trifft. Da heißt es dann unbefangen aus dem Alltag schwätzen und immer schön Wiedersehensfreude heucheln – obwohl man so ein gutes Buch dabei gehabt hätte.
Klassentreffen sind wie die Spiegelkabinette auf dem Jahrmarkt. Da verzerren sich Perspektiven. Da werden Biographien gefälscht, Erfolge frisiert, Lebenslinien begradigt. Da freut man sich plötzlich, die Rotznase wiederzusehen, der man auf dem Schulhof am liebsten eins auf die Vorderzähne gegeben hätte. Da führt man munter Grundsatzdiskussionen mit dem Streber, dem man nie etwas zu sagen hatte. Ging dem Reifezeugnis einst das musikalische Triumphgeheul »School´s out« voraus, stimmen wir anläßlich des fünf-, zehn- oder gar fünfzehnjährigen Jubiläums ein in den Schunkelrefrain »Wie schön war doch die Jugendzeit«. Die vier apokalyptischen Reiter haben Zuwachs bekommen: in die Phalanx Hunger, Tod, Pest und Krieg reiht es sich nahtlos ein: das Klassentreffen.
Dieser Meinung ist auch Martin Blank, der sich eigentlich nicht zu verstecken brauchte. Schließlich ist er ein »handsome devil« und weit gebracht hat er es auch. Ein typisch amerikanischer Junge ist er, aus der typisch amerikanischen Kleinstadt Grosse Pointe in Michigan. Zehn Jahre nach Beendigung der Highschool trägt er im Stil der echten Yuppies schwarze Designeranzüge, das Geschäft läuft gut, sogar zu der eigenen Sekretärin reicht es. Da darf auch die (nicht nur) typisch amerikanische Sinnkrise nicht fehlen, an der in der typisch amerikanischen Psychotherapie gefeilt wird. Und – last but not least – wie jeder echte Amerikaner hegt Martin Blank eine schier unüberwindliche Abneigung gegen Organisationen jeder Art. Individualisten brauchen keine Gewerkschaft, auch wenn ein Berufskollege Martin nur allzu gerne für ein derartiges Projekt gewinnen möchte. In diese Idylle platzt nun die Einladung zum Klassentreffen und Martin hat ein Problem: wie nämlich verkauft man den ehemaligen Mitschülern die Karriere als Profikiller?
Grosse Pointe Blank (das Wortspiel des Originals Grosse Pointe – point blank – Martin Blank kann der deutsche Titel Ein Mann – ein Mord wieder einmal nur unzureichend umsetzen) ist eine respektlos-rüde schwarze Komödie, die sich gar nicht erst den Anschein gibt, eine differenzierte Einstellung zu dem pädagogisch wertvollen Thema der Gewalt einnehmen zu wollen. Regisseur George Armitage läßt die sattsam bekannten Protagonisten aus Pulp Fiction in Form von lebensgroßen Pappmachéfiguren Spalier stehen, wenn es zum Shootout kommt.
Wer eine Tarantino-Kopie erwartet, wird allerdings enttäuscht werden. Vielmehr scheint sich der Film hier lustig zu machen über eine Erscheinung, die sich an die Fersen der Filmkritik geheftet hat wie der Hund von Baskerville. Die Unsitte nämlich, jeden Streifen Zelluloid, in dem Amerikaner ihr verfassungsmäßig abgesichertes Recht auf das Tragen einer Waffe in Anspruch nehmen, flugs mit Quentins Geniestreich zu vergleichen (der vielleicht gar kein so gewaltiger Geniestreich war, aber da hat die Zeit wohl ähnlich verklärende Effekte wie auf die Erinnerung an selige Schulstunden).
Grosse Pointe Blank bietet ein (Mündungs)Feuerwerk an spritzigen Dialogen, die rücksichtslose Demontage der amerikanischen Kleinstadtidylle, ein Klassentreffen mit Leiche im Keller (das im wahrsten Sinne des Wortes) und lebt nicht zuletzt von den grandiosen Darstellern. John Cusack entfaltet als smarter Auftragsmörder mit ganz alltäglichen Sorgen ungeahntes komödiantisches Talent. Kollege Dan Ackroyd, der mit allen Mitteln eine Gewerkschaft für Profikiller ins Leben rufen möchte, darf im Finale den wohl unamerikanischsten Satz aller Zeiten überzeugend zum Besten geben: Arbeiter aller Länder vereinigt euch!
Daß Armitage den Tiefgang dennoch nicht scheut, soll niemanden schrecken und hier auch nicht als Drohung formuliert werden. Er tut dies nämlich so unaufdringlich und konsequent komisch, daß sich der Zuschauer nicht zur Reflexion genötigt fühlen muß. Trotzdem macht sich Grosse Pointe Blank immer auch ganz gewaltig lustig über die harmonischen Fantasien vom amerikanischen Alltag. Sei es der Therapeut, der seinem Klienten längst die Sitzungen gekündigt hat, aber nicht wagt, den Rausschmiß durchzusetzen (schließlich weiß Blank ja, wo der Herr Doktor wohnt) oder das heimatliche Reihenhaus, das so gar nicht mehr aussieht, wie der Heimkehrende es in Erinnerung hatte – Armitage verweigert seinen Protagonisten sentimentale Verklärung ebenso wie bierernsten Realismus. Vielleicht können wir gerade deswegen lachen über das, was in unserer Gesellschaft eigentlich nicht zum Lachen freigegeben ist: der Seitenhieb auf den Kapitalismus zum Beispiel. Es ist aber auch allzu überzeugend wenn Martin formuliert, warum an seiner Berufswahl nichts Krankhaftes sein kann: »A psychopath kills for no reason. I do it for money«.
Grosse Pointe Blank hat das ansonsten zweifelhafte Prädikat »Sommerhit Kino« einmal wirklich verdient. Und für alle, denen ein baldiges Klassentreffen ins Haus steht: vorherige Einnahme des Films kann schmerzlindernd wirken.