USA 2023 · 129 min. · FSK: ab 12 Regie: Bradley Cooper Drehbuch: Bradley Cooper, Josh Singer Kamera: Matthew Libatique Darsteller: Bradley Cooper, Maya Hawke, Carey Mulligan, Matt Bomer, Miriam Shor u.a. |
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Die Möglichkeit von Glück... | ||
(Foto: Netflix) |
What lips my lips have kissed, and where, and why,
I have forgotten, and what arms have lain
Under my head till morning; but the rain
Is full of ghosts tonight, that tap and sigh
Upon the glass and listen for reply,
And in my heart there stirs a quiet pain
For unremembered lads that not again
Will turn to me at midnight with a cry.
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– Edna St. Vincent Millay
Es ist gut, dass Bradley Coopers Biopic über den großen Komponisten, Dirigenten, Pianisten und Lebensliebhaber nun endlich in die Kinos kommt und der Zwerg-Nase- Streit im Vorfeld des Films endlich in den Hintergrund tritt. Denn was waren das für Vorwürfe, weil sich Cooper, der Bernstein in dem Film selbst verkörpert, dafür entschied, sich von einem der Meister der Maskenbildnerei, Kazu Hiro eine Naseprothese modellieren zu lassen, die Bernsteins markanter Nase gleichen sollte! »Jewfacing« d.h. die Reproduktion antisemitischer Stereotype war der eine Vorwurf, gefolgt von dem offensichtlichen nächsten: darf ein Nicht-Jude überhaupt einen Juden verkörpern, ist doch auch »Blackfacing« – ein weißer Schauspieler als schwarzer Mensch – inzwischen tabuisiert?
Vorbei und und hoffentlich bald vergessen, nicht nur weil Bernsteins drei Kinder die Vorwürfe entkräfteten, sondern auch weil schon nach wenigen Minuten in Coopers elegischem Film deutlich wird, dass dieser Humbug nicht die Kraft hat, die Stärke von Coopers Film ins Wanken zu bringen.
Maestro beginnt dort, wo Todd Fields Tár aufhört – die Geschichte einer Dirigentin, die von Bernsteins allumfassender Liebe zur Musik inspiriert und von den Machtstrukturen innerhalb der klassischen Musik korrumpiert wurde und erst am Ende erkennt, dass sie die Liebe zur Musik und den Menschen sowieso auf dem Weg zum Ruhm verloren hat.
Cooper, und das sei jedem gesagt, der in diesem Film eine musikalische Tiefenbohrung in die klassische Musik und Bernsteins musikalische Talente erwartet, geht es eben darum gerade nicht, sondern um das, was Fields Lydia Tár an Bernstein so angezogen hat: seine Liebe und Leidenschaft zur Musik und ein daraus erwachsenes Charisma, das ganze Generationen von Musikern geprägt hat. Das bedeutet allerdings auch, dass Cooper sich nicht groß um die politisch ja relevante Ausrichtung in Bernsteins Musical West Side Story kümmert, ein grundsätzliches politisches Interesse Bernsteins, das nicht nur damals politischen Konfliktstoff bot.
Stattdessen fokussiert Cooper auf einen Menschen, dessen größtes Geschenk sein Interesse an allem, seine Liebe für alles war, ein Universalist der alten Schule. Dirigent war zu wenig, und auch die Klassik reichte nicht und in der Liebe war es nicht anders. Bernstein liebte bis zum Ende Männer, aber eine große Liebe war dann auch seine Frau Felicia Montealegre, die in Coopers Film von einer fantastischen Carey Mulligan dargestellt wird, der es überzeugend gelingt, die Facetten einer Beziehung und die komplexe Entwicklung eines offenen, liebenden Charakters in einen zunehmend hermetischen, von Depressionen geplagten Menschen zu verkörpern.
Und eigentlich ist es diese Beziehung, die die eigentliche Architektur von Coopers Film ausmacht, über die alles erzählt wird, über die sich Bernsteins Leben verändert, aber auch das von Felicia, die zunehmend auch darum ringen muss, durch die Lebendigkeit von Bernstein nicht erstickt zu werden und versucht so etwas wie eine eigene Identität neben der Beziehungsidentität zu entwickeln. Cooper zeigt auch das, und er zeigt die hässlichen Seiten der Beziehung und die Frage, wie viel Wahrheit eine offene Beziehung erträgt und wie viel Wahrheit die eigenen Kinder ertragen. Und: Cooper deutet zumindest an, was in Todd Fields Tár irgendwann im Zentrum steht: entschuldigt Charisma und Genie auch den sexuellen Missbrauch, der in Maestro vor allem über die Szene mit einem afro-amerikanischen Nachwuchsdirigenten in den Raum gestellt wird?
Doch vielleicht das spannendste und schönste an Coopers Film sind die Zwischentöne dieser filmischen Komposition, die in Bilder gefassten Zärtlichkeiten, die Liebe zu Musik und Leben, wie das Rücken an Rücken Sitzen auf einer Wiese. Oder das italienische Sonett von Edna St. Vincent Millay, das ganz am Anfang des Films zitiert wird und die Struktur des Films vorgibt. Denn so wie das zweigeteilte Sonett strukturiert ist, so funktioniert auch dieser Film, der zuerst von einer liebenden Vergangenheit berichtet, um dann in einer verlustreichen Gegenwart zu enden, in der nicht einmal die Musik noch so wie früher trösten kann.
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Thus in the winter stands the lonely tree,
Nor knows what birds have vanished one by one,
Yet knows its boughs more silent than before:
I cannot say what loves have come and gone,
I only know that summer sang in me
A little while, that in me sings no more.
– Edna St. Vincent Millay, What Lips My Lips Have Kissed, and Where, and Why
Gleich zu Beginn, in der zweiten Szene des in Form von Rückblicken erzählten Films, erhält der junge, noch unbekannte Dirigent Leonard Bernstein einen Anruf: Es ist, wie man nachlesen kann, der 14. November 1943 und der erst 25-jährige Bernstein bekommt die Nachricht, dass er in wenigen Stunden für den erkrankten Bruno Walter einspringen soll. Ohne Proben erlebt er sein Debüt als Dirigent der New Yorker Philharmoniker – es wird ein Triumph und der Beginn von Bernsteins
Weltkarriere.
Der Film zeigt diesen Moment in Schwarzweiß: Erst ist der Raum dunkel, Bernstein zündet sich am Telefon als erstes eine Zigarette an, dann öffnet er den Vorhang wie den einer Bühne, wir erkennen einen anonymen Männerkörper im Bett – womit auch das Leitthema von Bernsteins Sexualität gleich gesetzt ist –, als Bernstein die Nachricht verstanden hat, nimmt auch die Kamera Tempo auf, begleitet den Mann freudig und selbstbewusst im Laufschritt beim Ankleiden und
schwenkt mit ihm und seinen aufgerissenen Armen quasi fliegend in einer nahtlosen, ununterbrochenen Sequenz fast direkt aufs Dirigenten-Pult.
Ein andermal zeigt der Film eine Tanzprobe: Das Matrosen-Ballett aus Bernsteins erstem Musical »On the Town«. Einer der Tänzer scheint mit ihm zu flirten, plötzlich ist Bernstein selbst inmitten der Tänzer als einer von ihnen, und tanzt für seine zukünftige Frau Felicia Montealegre Cohn. Das ist Darstellung und Kommentar zugleich: Es zeigt Bernstein als Teil einer sexuell aufgeladenen Männergruppe mit homophilen Untertönen, und Felicia als die, die umworben und angeflirtet wird, und zugleich vom eigentlichen Geschehen ausgeschlossen auf die Beobachterposition zurückgeworfen ist.
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Stilistisch sind diese Handvoll hyperrealistischer, unsere Faktenwirklichkeit überschreitender, offen »überhöhender« Momente des nur durch die Kamera hergestellten Übergangs zwischen Welten die besten Szenen des Films. Zugleich durchzieht sie ein Hauch von Pose. Sie wollen dem Publikum etwas zu kühl kalkuliert durch Überwältigung signalisieren, dass hier Bedeutungsvolles und ästhetisch Gewagtes sich vollzieht.
Ansonsten ist Maestro zwar ein
sehr guter Film, zugleich aber auch ein konventioneller, der einfach sehr gradlinig die Pflichtaufgaben eines typischen Hollywood-Biopic abarbeitet.
Maestro ist alles, was Hollywood heute ist und kann: Meistens in einer großen handwerklichen Könnerschaft und Virtuosität, dabei ganz en passant auch eine Selbstfeier des liberalen Teils der USA und des American Dream. Zugleich aber auch stilistisch stockkonservativ und intellektuell unterfordernd.
Zudem auch politisch korrekt und manchmal ein bisschen schamhaft, ja ängstlich seine eigene Courage negierend und vor den Abgründen des eigenen Themas zurückschreckend.
Denn was ist das Thema von Maestro? Es ist nicht, wie von einem Biopic über Leonard Bernstein (1918-1990) zu erwarten wäre, das Portrait eines genialen Künstlers und Komponisten, der zu den bedeutendsten des 20. Jahrhunderts gehört. Es ignoriert auch komplett den politischen Aktivisten und Unterstützer liberaler Anliegen, ebenso wie den kaum zu überschätzenden Pädagogen der »Young People’s Concerts«. Sondern es ist das Portrait eines Ehemanns, der nebenbei offenbar noch irgendetwas mit Musik zu tun gehabt hat, und darin offenbar ganz erfolgreich war. Wer nicht weiß, wer Leonard Bernstein war, kann es aus diesem Film nur höchst fragmentarisch erfahren.
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Stattdessen erlebt man einen Menschen, der seine Frau sehr liebte und trotzdem auch mit Männern Sex hatte, und dem diese Bisexualität auch kein großes seelisches Problem bereitet, sowenig wie lange Zeit seiner Gattin. Gefürchtet hat der Kino-Bernstein nur die Frage: Wie sag' ichs meinen Kindern? Das ist gemessen am Gegenstand, den bekannten Fakten des Lebens und der Persönlichkeit Leonard Bernsteins und seiner Frau Felicia Cohn doch enttäuschend wenig: Denn man weiß, dass es von Beginn an ein eheliches Arrangement zwischen beiden gab, man weiß zudem, dass Bernstein, der auch Affären mit Frauen hatte (die der Film ausspart), mit seiner Homosexualität lange gehadert hat – er versuchte sogar, sich durch eine Psychotherapie von ihr zu »heilen«, bevor er sie ab Beginn der 70er Jahre immer öffentlicher auslebte.
Von alldem erfährt der Zuschauer in Maestro nichts. Stattdessen lässt sich der Film sehr viel Zeit damit, die aufkeimende Liebe und die Verlobungsphase des Paares zu zeigen – in der das Thema der Männerliebe völlig abwesend bleibt – und vor allem Bernstein vor malerischen Kulissen, und in nostalgischen Cabrios in Szene zu setzen. Ab und zu muss der Mann arbeiten, dann dirigiert er, wird umjubelt und wirft der an der Seite stehenden Felicia verliebte Blicke zu.
So befriedigt dieser Film den Puritanismus der Rechten, Konservativen wie der Linken, Progressiven. Das Wichtigste ist alles das, wovon nicht erzählt wird.
Und das große Nichts, was dadurch entsteht, wird zugedeckt durch Lärm und Form.
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Dann folgt ein Zeitsprung: Plötzlich sind beide verheiratet, haben zwei Kinder, geben Interviews. Das Eheleben wird etwas routinierter und weniger leidenschaftlich, ansonsten hat sich wenig geändert. Irgendwann wechselt der Film auch in den warmen nostalgischen Flair der späten Technicolor-Farben – wohl um den Erinnerungen des Publikums zu entsprechen.
Erst das letzte Drittel des Films bringt nach einem weiteren Zeitsprung in die Siebziger Jahre eine neue Tonlage und einen Hauch von »Problemfilm« in den Alltag der Kino-Bernsteins. Denn der Gatte knutscht immer schamloser mit begabten Musikerknaben, die Gattin leidet hingegen mehr unter dem fehlenden Anstand seines Verhaltens, als unter der Sache selbst. Und die älteste Tochter ist 68er-bewegt und hat »Gerüchte« vernommen, die der Vater durch eine Lüge entkräftet, unter der er fortan leidet. Irgendwann bekommt Felicia dann Krebs, woraufhin Leonard alle Konzerte und außerehelichen Eskapaden absagt, und seine Frau aufopferungsvoll bis zu ihrem Tode pflegt.
Die finalen Szenen des Films zeigen Bernstein, der die Trauer um die verstorbene Gattin in viel Arbeit und kaum weniger Liebesabenteuern und Drogen ertränkte, um ganz zum Schluss über das Bild Felicias noch einmal den Filmtitel einzublenden: Eine zweischneidige Entscheidung, denn sie bestätigt den Eindruck, Felicia sei die eigentliche Hauptfigur des Films, evoziert aber zugleich das abgedroschene Klischee, hinter jedem erfolgreichen Mann stehe eine starke Frau, das gerade vom Film zuvor mindestens problematisiert wurde. Und wenn Felicia die heimliche Hauptfigur sein sollte, so ist sie das für Cooper nicht als die Schauspielerin, die sie war, sondern als Ehefrau und Mutter. Ein zutiefst patriarchalischer Blick.
Trotzdem muss bei allem Respekt für Felicia Cohn, die auch als Schauspielerin am Broadway und später im Fernsehen reüssierte, gefragt werden, ob sie wirklich interessanter ist, als der Weltstar-Dirigent? Wenn man nichts über Bernstein und seine Musik wüsste, wären auch seine Frau und seine privaten Affären kaum von Interesse.
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Zugleich muss noch einmal betont werden: Maestro ist ein kurzweiliger, unterhaltsamer, gut gemachter Film über eine schwierige, letztlich aber glückliche und respektvolle Beziehung. Besonders hervorzuheben sind die Bildgestaltung von Matthew Libatique und die darstellerische Leistung von Carey Mulligan in der Rolle der Felicia Cohn. Mulligan ist perfekt, jederzeit ehrlich und authentisch, wo man manch anderes manieriert finden kann. Bradley Cooper, der neben der Regie und dem Drehbuch auch die Hauptrolle übernommen hat, spielt diese gut, aber sehr stark über Mimikry, bestimmte Merkmale und Äußerlichkeiten – von Außen nach Innen.
Regie und Buch sind insgesamt zu wenig an ihrem Gegenstand interessiert, daran, wer Bernstein eigentlich als Charakter war, und wie er mit den Widersprüchen seines Lebens wirklich umging – sie zeigen nur das öffentliche Überspielen.
So spielt Maestro zwar gelegentlich mit Abstraktionen und der Überschreitung der naturalistischen Wirklichkeit, schreckt aber immer wieder davor zurück. Alles bleibt formelhaft und sentimental, zugeschnitten vor allem auf vermeintliche Erfolgsrezepte für das Beeindrucken der Mitglieder der Oscar Academy.
Da war Andrew Dominiks Marilyn-Monroe-Biopic Blonde im Vorjahr weiter.