Deutschland 2000 · 115 min. · FSK: ab 16 Regie: Romuald Karmakar Drehbuch: Romuald Karmakar, Bodo Kirchhoff Kamera: Fred Schuler Darsteller: Eddi Arent, Margit Carstensen, Martin Semmelrogge, Manfred Zapatka u.a. |
Natürlich ist es ein Unding, Romuald Karmakar mit Polt in Verbindung zu bringen (denn Polt und Karmakar sind unvergleichbar). Das geht nicht, nein, das geht einfach nicht. Aber wenn ich den Assoziationen freien Lauf lasse beim Betrachten eines Filmes, ohne die besserwisserische Sperre zum spontanen Gedanken zu wahren, dann muß ich sagen, daß ich bei Karmakars Manila an Polt denken mußte. Und zwar mußte ich zugleich an Man spricht deutsh und Kehraus denken. Grund dafür ist die vorgeführte typisch Poltsche Schicht der einfachen Leute. Sie versucht Karmakar als repräsentatives Deutschtum in seiner Monstruösität bloßzustellen: Der Pöbel fährt nach Asien und sucht Suff und Sex. Und ihr ausbeuterischer Umgang mit den Phillippinas: das sind alle irgendwie neue Mai Lings, im Zeichen krasser Sexploitation. Hier der tumbe Deutsche. Dort die schönen Phillippinas, von Aids bedroht. Und der fiese Nazi-Deutsche, der am Schluß des Films im allgemeinen karnavalesken Chaos amoklaufend die persönliche Heldentat versucht. Die aber nur der Beweis für seine durchgeknallte Einzelgängerschaft ist. Alles sehr eindeutig und Polt.
Aber Karmakar ist natürlich nicht Polt. (Und Polt will ich auch gar nicht an den Lack, was er macht in seinem Universum hat dort seine Berechtigung.) Karmakar bringt tiefen Ernst in die Bild-Zeitungs-Fröhlichkeit. Der Plot des Films: Deutsche Phillippinen-Urlauber warten im Flughafen von Manila auf ihren Heimflug. Dieser verzögert sich wegen einer sich an Bord geschummelten Ratte. In der Flughalle kommen sich die Urlauber über das Erzählen näher. Die phillippinischen Sex-Abenteuer werden erzählt, prahlerisch und mit aufgeblasenem Kamm. Und es wird vom Grauen der Phillippinen berichtet, das Bilder geköpfter Menschen evoziert.
Das Erzählen bestimmt den Film: Es ist leichtzüngig, wenn es um die Eroberung diverser weiblicher Körperöffnungen geht, und es wird schwer und beklemmend, ernst und dicht, wenn der Tod wachgerufen wird. Das Erzählen ist das Erinnern. Urlaubsfotos dienen dem Diskurs des Schau mal, wie schön es hier war. Historische Fotos beschwören die Wunden der Erinnerung.
Das historische Gewissen der Deutschen: zwei Ex-DDRler (keine Ossis!), die die Welt bereisen auf den Spuren der
Geschichte, stets betonen, daß Weimar bei Buchenwald liegt und Mitreisende über die wahre, ikonisch gewachsene Bedeutung des Wortes Judensau aufklären. Was auch ein kleines, aufklärerisches Schock-Moment sein kann. Die amerikanische Jüdin, die intellektuelles Beobachterzentrum des deutschen Wildschweindaseins ist und eine zarte Liebesgeschichte mit dem eher sympathischen Draufgänger beginnt. Die freilich wieder nur im Sex endet (wieder mal beachtenswert: das Tattoo von
Jürgen Vogel).
Manila hat eine streng dramtisch gedachte Struktur: Pro- und Epilog, Exposition, Klimax. Es ist die Tragödie der Deutschen, die erzählt wird. Sie läßt das Monster aus seiner Höhle. Über die Verschränkung von Tod und Sex, von deutscher Nazi-Vergangenheit und heutiger Sex-Geilheit, die zu Pornofotos und Nervenzusammenbrüchen führt, entwickelt Karmakar eine Parallelität zwischen historischer und aktueller deutscher Abgründigkeit. Die historische Perversion ist die heutige sexuelle Pervertierung, beides verläuft über die Freilassung des gefährlich instinktgebundenen Chauvinismus. Hier wird Manila Thesenfilm, der mit dem Finger auf die Deutschen zeigt. Alles nur germanische Barbaren.
Hinter all dem Wahnsinn zieht Karmakar einen Vorhang zur Normalität auf, der offenbart, daß die Bestie in unser aller Nachbarn schlummert. Der Sehnsuchtsraum der Prol-Schicht ist die geordnete Heimseligkeit, der Sex sucht immer nur die Liebe. So wenn Herbert (Manfred Zapatka) den Namen seiner Frau von einer Prostituierten-Möse auf ein Blatt Papier schreiben läßt. Wenn er unterm Tisch geblasen wird und oben erzählt, wie schön es wieder zu Hause sein wird, wenn er und seine Frau es sich auf dem Sofa schnuckelig machen, einen Film einschieben und geil werden. Hier einmal eine dichte Wort-Evokation, wie in Der Totmacher, die eingeholt wird von dem Bild der Prostitutierten, die unterm Tisch zugange ist. Das Monströse ist nicht mehr nur Vergangenheit, es ist da. Und wenn er dann schreit Ich kann jetzt nicht und auf dem Klo gefährlich rot anläuft, während er masturbiert, dann steht über all dem Sex-Wahnsinn nur noch die Verzweiflung.
Karmakars Film belehrt. Predigt in ähnlicher Weise wie der phillipinische Fernsehpfarrer des Prologs.
Es ist nicht nur ein Gag, daß die besoffene Runde, die gegen Ende des Films das Lied über die Polizeistunde anstimmt, Gefangenenchor von Manila heißt. Die eingeschlossene Flughafensituation, das zermürbende Warten, wird zum Fallbeispiel, das (diktatorische) Repression vorführt, die historische Situation über die Urlaubssituation erkennen läßt.
Durchexerziert wird, wie Unfreiheit zu emotionalen Eruptionen im Menschen führt. Was wunderbar werden kann, wenn gegen die Entwicklung des Thesenfilm die Zeit zum Stillstand gebracht wird, der Film das Warten zu einem Situations-Loop steigert. Wenn zu Beginn Jürgen Vogel schreit: Es geht einfach nicht los!, dann ist das nicht nur der Flug, der nicht startet, sondern auch der Film, der auf der Stelle tritt: immer wieder ähnliche Geschichten werden erzählt, ähnliche Witze gerissen. Als
dann der Gefangenenchor sein Lied anstimmt, es wieder und wieder wiederholt, dann scheint es loszugehen. Die Kamera kreist immer schneller um die Gröhl-Szene. Alles steigert sich, der Film droht zu explodieren. Ich bin dabei, wenn es losgeht, sagt der Nazi-Deutsche. Aber seine Attacke, die dem Vertreter der Fluggesellschaft gilt, bleibt ein narrativer Rülpser. Die Deutschen sind mit ihrem Interesse ganz woanders, abgedriftet in die besoffene Eigendynamik ihres Gesangs, der immer
nur die gleichen unsinnigen Worte wiederholt. Meuterei der Gefangenen und neues Dadaistentum gegen die Zwangslage. Da steht der Film still, tritt auf der Stelle. Und will einfach nicht aufhören. Und macht auf einmal richtig Spaß.