USA 2020 · 131 min. · FSK: ab 12 Regie: David Fincher Drehbuch: Jack Fincher Kamera: Erik Messerschmidt Darsteller: Gary Oldman, Lily Collins, Charles Dance, Amanda Seyfried, Arliss Howard u.a. |
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Der wahre Akt des Schreibens ist in Mank anderswo verortet... | ||
(Foto: Netflix) |
»This is a business where the buyer gets nothing for his money but a memory. What he bought still belongs to the man who sold it. That’s the magic of the movies«
Louis B. Mayer in Mank»I know the anger that comes when you just want to be allowed to do the things that you know you can do.«
David Fincher
Dies ist kein Film »über die Entstehung von Citizen Kane. Dies ist ein Film, in dem David Fincher seine eigene Arbeit und deren Mythologien reflektiert. Und das durchaus distanziert. Fincher war immer schon ein Regisseur der Bilder, der visuellen Psychologie und des Symbolismus, nicht so sehr der Worte.«
Fincher erzählt vom Drehbuchschreiben, aber er gibt ihm Bilder. Er zitiert auf audiovisueller Ebene die Ästhetik des Alten Hollywood, und die visuellen, rein filmischen Innovationen von Citizen Kanee.
Mank ist ein Herzensprojekt Finchers, das er seit seinem Debüt mit Alien 3 1992 leidenschaftlich verfolgt hat. Wer weiß, was es damals geworden wäre? Heute, acht Filme später, ist Mank auch der Film eines Kino-Künstlers, der die Schwierigkeiten des Kunstmachens und der Kreativität zum Ausdruck bringen will. Er erzählt uns
von Studiobossen und Schreibkomitees, die um alles kämpfen, was sich verkaufen lässt, die sich zugleich in ihren eigenen Illusionen verlieren, sich vom Glanz und Glamour eines Scheins betäuben lassen, den sie selbst entzündet haben. Sarkastisch notiert er die Ratschläge der Außenstehenden und 'interessierten Kreise': »Nobody expects Shakespeare«; »work hard, aim low«; »would you consider shorten it?«
Auch damals gab es schon die Anwälte des 'Publikumsvertrags', wie Populismus
im Filmjargon genannt wird.
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Die Beobachtung des Medientheoretikers Marshall McLuhan, dass Medien vor allem von Medien berichten, belegt weniges so gut wie die Geschichte von Citizen Kane, die eine Mediengeschichte ist. Zum Mythos der Film-Industrie und Hollywoods Selbsterzählung wurde der Debütfilm Orson Welles' vor allem dadurch, dass hier ein Medium (der Film) von Medienmachern (Journalisten) erzählte,
wie sie die Geschichte eines Medienmachers recherchieren.
Bei Welles geschieht das zudem in Form des Multiperspektivismus – im Effekt zerstört der Film eher unsere Vorstellung von irgendeiner Wahrheit, die durch Medien enthüllt oder geschaffen würde, als dass er diese Wahrheit erzeugt. Die Fakten stehen nur lose nebeneinander – der Film häuft sie ähnlich an, wie die Hauptfigur Kane die diversen wertvollen Sammelobjekte, die, je mehr sie werden, ein um so
konfuseres Gesamtbild ergeben, materiell oft wenig wert sind und am Ende im Feuer landen. Wenn News draus werden sollen, muss man erfinden: »Print the legend!« (John Ford) statt »all the news that’s fit to print«.
David Fincher setzt hier noch einen drauf: Er macht einen zweiten Film über den ersten, der sich damit auch wie die äußere Hülle einer Matrjoschka-Puppe über alle anderen in ihm enthaltenen Geschichten stülpt. Aber was ist der Kern? Was verbirgt sich im Innersten der Puppe? Oder ist da gar nichts? Stimmt eher das Bild der Zwiebel-Struktur, wo alle Hüllen nichts enthüllen: »When there are no facts, print the legend!«
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Die Macht der Medienmogule ist ein zeitloses Thema. Von Charles Foster Kane führt eine klare Linie zu J.P. Morgan, William Randolph Hearst und Henry Luce, Howard Hughes und Rupert Murdoch, und von dort hinüber zu Donald Trump, dem modernen König, der sein eigener Hofnarr wurde und wieder zurück zu Joseph McCarthy, J. Edgar Hoover, der »American Liberty League« und Frank Merriam, dem republikanischen Gouverneur von Kalifornien, der mit heimlicher Unterstützung durch den demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und mit Hilfe einer offenen Kampagne der Hearst-Presse und der Hollywood-Studios gegen seinen »sozialistischen« Herausforderer und demokratischen Kandidaten Upton Sinclair wiedergewählt wurde.
Die Parallelen zwischen Gegenwart und Geschichte liegen klar auf der Hand: Die Übermacht rechter Medien, »Sozialismus« als größter Trumpf in einer Lügenkaskade, das »Volk« und »Volkes Stimme« als Fake der Fake News.
Dies alles bildet nun den Kern von David Finchers als Historien-»Film-im-Film«-Film maskiertem Gegenwartsportrait Mank.
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Citizen Kane ist nicht zuletzt ein Film über die »Lincoln Republic«, also ein Generationen-Epos über die Gründerzeit des modernen Amerika in den Jahrzehnten nach 1860: Kane ist ein verlorener kleiner Junge, der von einer Bank aufgezogen wird, und den fehlenden prügelnden Vater (man vergleiche die Story von »Oh Father«) und die Mutter, die ihn verkaufte, durch politische Macht kompensiert,
aber den Verlust innerlich nie loswird. Ein Mann ohne Freunde, ohne Liebe. Eine Allegorie auf den modernen Selfmademan, eine Allegorie auf die USA, deren Aufstieg zur Weltmacht – der spanisch-amerikanische Krieg, der Erste Weltkrieg – mit dem Aufstieg Kanes zur Verlegermacht parallelisiert wird.
»The Union forever« ruft Kane im Moment seines Abschieds von den Eltern.
Sein Schlachtruf der Freiheit. Der Weg, der ihn »From Log Cabin to Xanadu« (Laura Mulvey) führen wird, ist auch der Amerikas. Er endet in der »Konfusion der Kulturen« von Xanadu/ Hearsts San Simeon, der der populistischen Politik entspricht, die »jenseits von Rechts und Links« zu stehen behauptet, und darin doch nur barbarisch ist.
Es ist diese Politik und ihre Verwurzelung in der Kultur des modernen Amerika, gegen die sich der Drehbuchautor Herman Mankiewicz und sein Regisseur
Orson Welles zu ihrer Zeit verbündeten, und die David Fincher und das nicht umsonst so benannte Lincoln Project heute angreifen.
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Citizen Kane ist aber nicht nur das. Er ist auch ein Film über Narzissmus und über einen Narzissten. Mankiewicz hat Welles nicht gut gekannt, als er das Drehbuch schrieb – in nur knapp drei Monaten war das Script fertig. Man schrieb schnell damals in Hollywood, ohne 'Writers Rooms'; ohne Förderkommissionen und ihre Consultants, die nie selber Filme machen oder machen könnten, aber alles
für ihre Auftraggeber begradigen und verschlechtern, was ihnen vorgesetzt wird.
Aber er hatte während des Schreibens den in Finchers Film etwas unterbelichteten John Houseman an seiner Seite, als Hilfe und Controller zugleich. Als solcher hatte er im Mercury Theatre für Welles fungiert. Während Welles in Hollywood mit Dolores Del Rio im Bett lag, wird er mit Mank auch über das Wunderkind gesprochen haben, und mehr als ein paar Spurenelemente finden
sich im Charakter von Charles Foster Kane. Vor allem der Selbstzerstörungstrieb und die Megalomanie.
Im Nachhinein scheint das Leben von Orson Welles sich immer mehr der Hauptfigur seines ersten Films anzugleichen. Kane zerstört durch Sturheit sein öffentliches wie sein privates Leben.
Gewalt und Gewalttätigkeit in der Familie sind vielleicht das eigentliche Leitmotiv von Citizen
Kane. In einem seiner allerfrühesten Filme, in dem Musikvideo zu Madonnas Oh Father, das von überdeutlichen Citizen Kane-Referenzen strotzt, arbeitet er diesen Zusammenhang klar heraus.
Citizen
Kane ist kein Film über William Randolph Hearst. Dies ist ein Film, in dem Orson Welles sich selber reflektiert.
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»Ich habe eine tolle Idee für einen Film Louis, ein Film von dem ich weiß, dass du ihn lieben wirst. Eine moderne Version des Quixote. Den keiner von ihnen liest, aber sie kennen die Story. Ein verwirrter Edelmann kämpft gegen Windmühlen. Wie aktualisieren wir das? How might we update that story? Machen wir doch aus unserem Quichotte einen newspaper-man; er verdient noch Geld in diesem Kampf, aber das reicht nicht, er will mehr als Leserschaft. Er will mehr als Bewunderung. Er will Liebe. Er kandidiert und da er reich ist, gewinnt er.
Nein, Augenblick! – reich und mächtig gewinnt kein Publikum. Es sei denn, er erkennt im letzten Akt seine Fehler. Reich und mächtig zu sein, ohne sich dafür zu entschuldigen, feiert man nur im echten Leben. Oder Louis? Was machen wir? Wir geben ihm Ideale mit denen sich das bettelarme müde Publikum identifizieren kann. Er ist gegen korrupte Konzerne, für den Achtstundentag, faire Steuern, Bildung. Will sogar die Eisenbahn verstaatlichen. Wie nennen wir die?«
»Kommunisten? Sozialisten?«
aus: Mank
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Irgendwo im amerikanischen Westen, im Februar 1940, noch vor dem deutschen Westfeldzug gegen Frankreich, noch vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg: Von Anfang an durchzieht die Atmosphäre dieses Schwarzweiß-Films etwas Geheimnisvolles und Mysteriöses – wie in einem Film Noir.
Ein Mann wird mit dem Auto auf eine Ranch gefahren, nach einem schweren Auto-Unfall geht er an Krücken. Mit ihm kommen auch seine Krankenpflegerin, eine Assistentin und ein Agent.
Die nächsten Wochen wird er hier verbringen. Aber dies ist keineswegs ein reiner Erholungsaufenthalt – eher ähnelt alles einer privilegierten Gefangenschaft, dem erzwungenen Rückzug in ein Kloster, in kontrollierte Konzentration. Der Mann, die Hauptfigur dieses Films, ist Mank, Herman Mankiewicz (1897-1953), Bruder des aufkommenden Regisseurs Joseph L. Mankiewicz, ein bekannter und erfolgreicher, wenn auch etwas aus dem Tritt geratener
Drehbuchautor des legendären Hollywood-Studios RKO.
Mankiewicz ist schrullig und auf seine Art genial, aber er ist auch ein schwerer Alkoholiker und sozial derart unerträglich, dass es außer seiner Ehefrau niemand auf Dauer mit ihm aushält. Und er auch nicht mit seinen Mitmenschen. Aber Mankiewicz ist eben auch sehr gut, darum soll er das Kinodebüt für einen schreiben, der ebenfalls den Ruf eines Genies hat, wie eines schwierigen Zeitgenossen: Als erfolgreicher Theatermacher und Autor des Radioknallers Krieg der Welten, der halb Amerika für ein paar Stunden an die Invasion von Außerirdischen glauben ließ, war Orson Welles berühmt geworden. Im Kino aber musste er sein Können erst noch beweisen. Darum stellte man ihm mit Mankiewicz einen erfahrenen Könner zur Seite. Die beiden kommunizierten vor allem über Telefon und über Notizen zu den jeweiligen Drehbuchfassungen, die per Kurier hin und her geschickt wurden. Das Ergebnis war ein Film, der nicht nur die Filmwelt erschüttern sollte: Citizen Kane, eines der berühmtesten Werke der klassischen Studio-Ära Hollywoods, und für viele bis heute der beste Film der Filmgeschichte. Allemal ist er einer der sagenumwobensten und von vielen Anekdoten und Unklarheiten umrankten. Unter anderem umstritten ist auch, welchen Anteil Orson Welles überhaupt am Drehbuch hatte, das unter dem von Mankiewicz auch seinen Autorennamen trägt.
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»Unser Quixote sieht in den Spiegel seiner Jugend. Und beschließt ihn zu zerbrechen. Die Erinnerungen den der er einmal war. Mit Hilfe seines treuen Sancho und all der schwarzen Magie die ihm zu Gebote steht, tut er genau das. Wobei er nicht nur einen Mann vernichtet, sondern zwei. Wir finden sie es, Louis? Wär das ein plot?«
Aus: Mank
In Mank erzählt David Fincher nun seine Version dieser Geschichte. Sie ist nicht schmeichelhaft für Welles, dafür um so gnädiger mit Mankiewicz. Darin folgt Fincher der berühmten US-Kritikerin Pauline Kael und deren legendärer Abrechnung mit Welles in ihrem Buch »Raising Kane«. Aus Mank’s Leben gegriffen setzt sich »Citizen Kane« hier im Hirn des Autors und auf der Leinwand (bzw. dem Bildschirm) vor den Augen der Zuschauer zusammen.
Dazu zitiert Fincher ausgiebig die formalen Mittel von Citizen Kane: Nachtaufnahmen, Unschärfen, Ton-Bild-Scheren, abrupte Szenenwechsel, überhaupt das sehr sprunghafte Erzählen und natürlich die langen Rückblenden, die gewissermaßen das Pferd der Erzählung von hinten aufzäumen. Hier führen sie vor allem ins Hollywood der 30er Jahre.
Das schiere Handwerk hat David Fincher immer
interessiert. Wie haben sie das damals gemacht? Und was waren es für Atmosphären in den 30 goldenen Jahren der Filmindustrie zwischen den frühen 20er und den frühen 50er Jahren?
Als die Studiobosse Diktatoren waren, denen die Stars »gehörten«. Einer von ihnen, MGM-Boss Louis B. Mayer, bekommt einen schönen Satz in diesem Film. Die Magie des Films, sagt er, sie läge vor allem darin, dass Film die einzige Ware sei, die nach dem Kauf nur in der Erinnerung der Kunden existiert,
während sie sich weiter im Besitz des Verkäufers befindet.
Allenfalls ein paar Multimillionäre durften hier noch mitspielen, sie waren Geldgeber, finanzierten ein wenig oder halfen bei der Vermarktung – wie der mysteriöse Howard Hughes oder eben William Randolph Hearst, der als Vorbild der Citizen Kane-Figur gilt.
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Man könnte diesen Film also als rein historische Rekonstruktion, als akademische Film-im-Film-Arbeit und persönliche Liebhaberei eines Regisseurs abtun, der sich diese Laune einfach erlauben kann. Das ist Mank aber keineswegs. Ja, diese detaillierten Innenansichten aus der größten Ära Hollywoods sind filmgeschichtlich hochinteressant, der Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik und die Dekonstruktion des Citizen Kane-Mythos enthüllend.
Aber Mank ist mehr: Eine Erinnerung an das Schaffen und die Bedeutung der oft vergessenen Drehbuchautoren, vor allem aber eine Ode auf den kreativen Prozeß als solchen, der Versuch, dem Undarstellbaren visuelle Gestalt zu geben: Der Beziehung zwischen Schwerstarbeit und Genie, zwischen den Einflüssen der Fakten und der sogenannten
Wirklichkeit einerseits zur Inspiration andererseits, die diese zu etwas Neuem, Überrealem veredelt. Fincher hat dies auf gewisse Weise auch schon in seinen sensiblen Darstellungen des Ermittlungshandwerks in Se7en und Zodiac geleistet – aber hier geht es nun um Künstler. Insofern
ist dies auch Finchers bisher persönlichster Film.
Gary Oldman (der einmal mit der gleichen Frau verheiratet war wie Fincher) spielt Mankiewicz, und auch sonst ist die Besetzung interessant und ungewöhnlich: Lily Collins seine Assistentin Rita Alexander, Newcomerin Tuppence Middleton seine Frau, Amanda Seyfried die Hollywood-Diva Marion Davies, die auch die Lebensgefährtin des Medienmagnaten William Randolph Hearst (Charles Dance) war, der als das Vorbild der Kane-Figur gilt. Tom Burke spielt Welles.
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Zugleich erscheint Mank überaus aktuell in seinem Bild einer USA, in der die Exzesse der Oberschicht mit der Korruption einer ganzen Gesellschaft und dem Größenwahnsinn einzelner Superreicher einhergehen. Hollywood lieferte dazu Pomp und Glamour – umso schlimmer, wenn er wie in diesem Fall dann nicht spurte, wie gewünscht, und gar einen seiner reichen Gönner direkt anging. So wie William Randolph Hearst einst den Schriftsteller Upton Sinclair in einer Medienkampagne politisch nahezu ruinierte, so versuchte er auch die Karriere von Mankiewicz, der ihm nicht gehorchen wollte, zu zerstören und den Film Citizen Kane zu verhindern.
Im Jahr 2020 muss man in alldem, wie in der grundsätzlichen politischen Paranoia, die der Film schildert, ein Spiegelbild des Trumpismus sehen. Im Hollywood der 30er Jahre findet Fincher eine Welt, in der sich Unterhaltung und Politik gefährlich durchdringen. Dabei bewahrt er sich und seinem Publikum zugleich immer den Sinn für die Größe der alten Filmindustrie, für ihre Magie über allen Abgründen.
Dies ist ein Nabelschau-Film über das Filmemachen, aber ein
ambivalenter: Weder voller Ehrfurcht, noch darauf versessen, Hollywood mit einer Insider-Satire zu treffen. Im Gegenteil: Noch in seinen Lastern und in der Amoral seiner Verhältnisse, seiner Heuchelei, findet Fincher Anmut und Größe, Unschuld und Freude am Staunen.
Dies ist Finchers erste Kinoarbeit seit Gone Girl vor über sechs Jahren. Ein Herzensprojekt bereits seit über 20 Jahren. Doch auch 1997, direkt nach Se7en und The Game und im Ruf, das größte Jung-Genie seiner Generation zu sein, erlaubte man ihm keinen Schwarzweißfilm. Es musste erst Netflix kommen, um diese anspruchsvolle Feier künstlerischer Kreativität, die mehr ist, als nostalgische Beschwörung alten Hollywood-Zaubers und Nerd-Kult für Cinephile, doch noch möglich zu machen.
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»If you ask me, what my acceptance speech might have been. Well here it goes: 'I am very happy, to accept this award in the manner how the script has been written. Which is to say: in the absence of Orson Welles.'«
»How come his name is on the script?«
»Well, that my friend is the magic of the movies.«
aus: Mank
Man muss die Leute wieder in die Kinos bekommen! Aber wie nur?, fragt sich der Studio-Obere verzweifelt. Herman Mankiewicz hat einen Vorschlag: Hollywood soll seine Filme doch auf der Strasse zeigen – das wird die Leute schon in die Säle treiben.
Hollywood war schon immer in der Krise. Nicht erst vor diesem Film – einem Herzensprojekt David Finchers, das er seit Jahren zu Markte trug, um es nun schließlich von Netflix statt einem klassischen Filmstudio finanziert zu bekommen.
Hollywood war nie einfach nur so klassisch und glamourös, wie es sich gerne selbst verklärend inszeniert. Und wenn es einem dahergelaufenen Wunderkind vom Theater und Radio wie Orson Welles künstlerische Carte Blanche gab, dann war das
ein Akt purer Panik, nicht weiser Großzügigkeit. Es geht nicht um Genie, sondern um Geld. Der Rest ist Schauspiel.
Der Studioboss Louis B. Mayer – das hintere M in MGM – nimmt zwischen zwei Terminen „Mank“ ins Schlepptau, um ihm seine Firmenphilosophie zu erklären.
MGM, das stünde für „Meine ganze Mischpoke“, die große Künstlerfamilie.
Sie kommen am Hintereingang eines Auditoriums an.
Der eben noch so resolute Mayer hält kurz inne, atmet tief ein, lässt seine Schultern fallen und tritt vor seine Angestellten.
Die Zeiten sind schwer.
Selbst
hier, in dieser, in ihrer Traumfabrik spüren sie das.
Er will nicht, er tut es nur ungern, aber er muss sie darum bitten für nur eine kleine Weile auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten.
Applaus, wenn auch nicht von den billigen Plätzen.
Da habe er schon Schlimmeres erlebt, kommentiert Mank den Auftritt.
Es ist der Blickwinkel dieses Erz-Zynikers, aus dem Mank das „Gute Alte Hollywood“ projiziert.
Man könnte durchaus einiges an Zeit und Text damit zubringen, all die legendären Gestalten aufzuzählen und zu erklären, die da ihren Auftritt haben – und wer sich auskennt mit der Filmhistorie, wird viel Detailfreude haben daran, wie Mank sie (oft gegen den etablierten Mythos) be- und umschreibt.
Aber wichtiger als diese
Welt, und deren reales Vorbild, ist eben jener, der sich hier sein Weltbild von ihr macht.
Von „John Doe“ in Se7en über Tyler Durden und den Zodiac-Killer zu Zuckerberg und den „Mindhunter“ Holden Fort: Auch wenn David Fincher allgemein als Spezialist für Serienmörder-Thriller berühmt ist, sind es doch vielmehr generell die Soziopathen, die ihn faszinieren. Seine wahre
Obsession, die fast all seine Werke – Mank allemal inklusive – eint, ist die Beschäftigung mit Narzissten.
Und man hätte meinen mögen, wenn er sich nun Citizen Kane widmet, geht’s freilich vor allem um Orson Welles und sein alles vereinnahmendes Ego.
Citizen Kane hat Fincher schon immer umgetrieben. Mehr oder minder offensichtliche Zitate, Anspielungen, Echos, Anleihen finden sich noch vor seinem Wechsel zum Spielfilm – am unübersehbarsten im Clip zu Madonnas „Oh Father“.
In den 1990ern gehörte er zu jener Welle an Regisseuren, die ihr Handwerk zuerst in Werbung und Musikvideos gelernt, erprobt, und sich oft auf eine
im Kino nicht mögliche, experimentelle Weise ausgetobt hatten. Und denen man bei ihrer Ankunft im altehrwürdigen Spielfilm gern vorwarf, sich nur fürs Visuelle zu interessieren, puren Stil ohne jede Substanz, Action ohne Geist zu zelebrieren, und das Medium Kino in seinen Untergang zu führen.
Das war freilich damals schon Unsinn. Doch niemand wohl hat diese Kritik dermaßen ad absurdum geführt wie Fincher. Der sich zum absoluten Großmeister in einer der traditionellsten
Spezialdisziplinen überhaupt entwickelte: Leute bei ausgedehnten Gesprächen in einem Raum zu inszenieren. Niemand macht das millimetergenauer; niemand hat dem Prinzip Schuss-Gegenschuss derart viele subtile Varianten abgetrotzt; bei niemandem ist durchdachter, wer bei welchem Halbsatz wo und wie im Bildkader platziert ist. Es gibt, allemal im US-Kino, wenige Leute, bei denen das Wort im Kino derzeit eine solch zentrale Bedeutung hat.
Es ist nur konsequent, dass Fincher nun, wenn er die Entstehung von Citizen Kane zum Thema nimmt, auf der Handlungsebene all die visuellen, rein filmischen Innovationen dieses Films völlig außen vor lässt, und allein dessen Drehbuch in den Fokus nimmt.
Zugleich ist auf audiovisueller Ebene die Ästhetik des Alten Hollywood das Eine, was Fincher an der Ära wahrhaft nostalgisch (und teils
mithilfe modernster Technik) heraufbeschwört.
Mank ist zwar digital gedreht, doch schon im Vorspann erscheint beim Kamera-Credit das „High Dynamic Range“ in einem Logo ist, als wär’s ein Verfahren aus den »40ern. Es gibt – Durden lässt grüßen! – künstliche Überblendzeichen bei den „Rollenwechseln“, welche im Stream freilich überhaupt nicht existieren. Und zur potentiellen Irritation der Zuschauer mit modernster
Heimkinoausstattung ist der Ton mit historischen Mikros aufgenommen und in Mono abgemischt.
What you«re hearing is a revival house – an old theater playing a movie, sagt Fincher.
Dass es bei Fincher aber von Anfang an um mehr als Stil um des Stils willen ging, zeigt vielleicht der Name seiner ersten Produktionsfirma: Propaganda Films.
Mank scheint so trügerisch offensichtlich ein Film für 2020, wie Citizen Kane 1941 als Schlüsselfilm gelesen wurde über die damalige Medien- und Polit-Landschaft. Klar: Wie Charles Foster Kane ein Portrait war des Zeitungszars William Randolph Hearst, erkennt man heute in der Figur Hearsts den Medienbaron Rupert Murdoch wieder, Herrscher über ein Imperium rechter
Propaganda-Sender und -blätter.
Und wenn in Mank nicht zuletzt dank der Schützenhilfe Hearsts der republikanische Gouverneur Frank Merriam wiedergewählt wird, statt seines „sozialistischen“ Herausforderers Upton Sinclair, dann muss man die Parallele zur US-Politik nicht groß ausbuchstabieren.
Aber Mank schreibt nicht Geschichte, um zu beweisen, dass sie sich wiederholt, sondern um anklingen zu lassen, dass sie
sich reimt.
In einer Rückblende versammelt sich in den frühen 1930ern alles, was in Hollywood Rang und Namen hat, zu einer Geburtstagsfeier bei Hearst im pseudofeudalen Geldadel-Gemäuer seines Privatschlosses.
Mehr aus Pflichtgefühl statt wirklichem Interesse kommt die Sprache auf den wachsenden Faschismus in Europa. Erstmal geht’s darum, was das denn fürs eigene Geschäft bedeutet. Selbst Chaplin, der spätere große Diktator höchstpersönlich, beschränkt sich auf einen naheliegenden Witz zu Hitlers Barttracht und die launige musikalische Begleitung am Flügel. Und Louis B. Mayer erkundigt sich nur hinter vorgehaltener Hand, was denn das sei, ein „Konzentrationslager“.
Stillschweigend scheinen sich längst alle darauf geeinigt zu haben, sich da rauszuhalten. Das ist eigentlich die Haltung, die Mank für sich perfektioniert
hat – aber sein scheinbares Desinteresse ist Pose, das der meisten anderen echt. Und er fühlt sich als Held, weil er sich traut, der Situation ein paar schärfer sarkastische Kommentare zu widmen.
Mank geht es um die Gesinnung seines Protagonisten, seine innere Reaktion auf die Lage – nicht darum, uns etwas phänomenal Neues über unsere Tagespolitik zu dozieren.
Upton Sinclair etwa ist dem Film weniger wichtig als ein Pendant zu Bernie Sanders, denn als ein provozierender Gegenentwurf für den Zyniker Mank: Ein Autor, der es mit seinen Überzeugungen so ernst nimmt, dass er sich als Kandidat für ein politisches Amt nominieren lässt.
Und
deshalb wird der Film, ähnlich wie Citizen Kane damals, vermutlich wachsen, je weiter wir uns von 2016-2020 entfernen. Je weniger dem Blick auf seine anderen Ebenen die Gegenwart im Weg steht.
Mank ist ein Film über Citizen Kane, in dem Citizen Kane fast nicht vorkommt. Der Titel fällt nur ganz zum Schluss, bei der Oscar-Zeremonie. (Eigentlich klar, denn in der Drehbuchphase hieß das Projekt noch American.) Ausgespart werden die Biopic-üblichen
Besuche am Set, nachgestellten Szenen, Filmausschnitte. Und außer dem Diktat der Eröffnungsszene, und der Inspiration für Kanes großen Wutausbruch, wird nicht einmal groß das Drehbuch selbst anzitiert.
Und ebenso außen vor bleibt Orson Welles, das Großgenie, als dessen Werk Citizen Kane durch und durch gilt. Ähnlich wie Tarantino in seiner großen, missverstandenen Hollywood-Hommage letztes
Jahr, in der Charles Manson zur Randfigur wurde, entthront auch Fincher das vermeintliche Zentralgestirn: Seine Auftritte bleiben selten und kurz – und wenn ein Perfektionist wie Fincher gerade in dieser Rolle Tom Burke besetzt, der weder von seiner Physis, noch seiner Stimme (damals Welles’ berühmtestes Attribut), noch gar seiner Präsenz ans Vorbild heranreicht, dann darf man absolut von Absicht ausgehen. In the absence of Orson Welles, sagt Mank am Ende über die Entstehung
des Kane-Drehbuchs – und das ist auch Finchers Motto.
Mank ist somit ein Film über den Ur-Auteur-Film schlechthin, in dem der vermeintliche Auteur nur am Rande herumflirrt. In dem aber auch der alternative Schöpfungsakt nicht im Sinne üblicher Künstlerbiographien inszeniert und überhöht wird.
Herman Mankiewicz war einer der höchstbezahlten und wichtigsten Autoren Hollywoods – aber große Teile seiner Arbeit blieben ohne Credit, waren kollaborativ. Er leitete die Drehbuchabteilung von
Paramount, war einer der festangestellten Autoren bei MGM, zu einer Zeit, als im Studiosystem auch das Schreiben nach Prinzipien der Fließbandarbeit organisiert war. Oft legte er bloß als Script Doctor Hand an, polierte lediglich Dialoge mit scharfer Gewitztheit auf, oder war nur (wie bei The Wizard of Oz) für eine von vielen Fassungen verantwortlich. Ein für unzählige Filme absolut
prägender Anti-Auteur.
Mank ist, vollends, ein Film über das Schreiben eines Drehbuchs, in dem fast nicht geschrieben wird. Er spart genau jenes Klischee aus, das in keinem gewöhnlichen Autoren-Biopic fehlt: Der Protagonist (ja, fast immer ist es ein Mann), mit Federkiel, an der Schreibmaschine, vor dem Bildschirm, wie er wild kritzelnd, in die Tasten stochernd versucht, den reissenden Fluss der Gedanken in Buchstaben zu bannen.
Die eine ausführliche Feier schreiberischer
Kreativität, die Mank inszeniert, ist eine Szene, in der die versammelte Drehbuchabteilung – allesamt junge, zynische, pointensichere, trinkfeste Männer nach Manks Geschmack – sich ihre Ideen im Kollektiv zuwirft und ausspinnt, und für den Studioboss einen hanebüchenen Filmplot aus dem Stegreif improvisiert.
Mank selbst, durch einen Autounfall ans Bett gefesselt, diktiert das Drehbuch zu KANE nur. Und selbst das sieht man nur kursorisch.
Das eigentliche Produzieren von Text auf der Seite erfolgt im Off – und der eine große Schaffensrausch, bei dem schließlich das Skript (oder besser: Manks erste Fassung) vollendet wird, ist im Film quasi ein Blackout. Ohne die handelsübliche Montage, ohne Bebilderung, findet er im Schwarz zwischen den Schnitten statt.
Der wahre Akt des Schreibens ist in Mank anderswo verortet. Die Drehbuchseiten, die Produzent John Houseman (Sam Troughton) so
geflissentlich mitzählt, sind nur ein äußerliches Resultat. Das wahre Werken findet allein in Manks Innerem statt, in seiner Auseinandersetzung mit sich selbst.
Mitunter könnte man Mank eher für eine insgeheime Hommage an Welles’ Lady from Shanghai halten denn an Citizen Kane – so voll ist er mit Spiegelungen, Dopplungen, Echos, Reflektionen. Und je mehr man versucht, all diese Beziehungen aufzuschlüsseln, je mehr bekommt man
das Gefühl, dass man dem Film mit einem Gespinst von Stecknadeln und Fäden an der Wand, wie in Serienkillerfilmen, gerechter würde als mit einem klassischen Text.
Die ersten ein, zwei Referenzebenen sind meist recht offenbar – wie sie eben bereits CITIZEN KANE als Schlüsselfilm über Hearst vorgibt. Freilich: Charles Foster Kane ist William Randolph Hearst – und wie gesagt erkennt man in diesem sehr schnell Rupert Murdoch wieder. Doch dann gibt es da oft noch einen
eher unsichtbaren Dritten, Vierten im Hintergrund. Kane ist in MANK auch ein Selbstportrait von Mankiewicz. Und Mank seinerseits wohl auch eine Hommage Finchers an seinen Vater, für den das Drehbuch ein Lebensprojekt war, der aber die tatsächliche Verfilmung dann nicht mehr miterlebt hat.
Immer wieder scheint MANK sein eigenes Rosebud anzukündigen – den einen Schlüssel zum zentralen Verständnis des Protagonisten und dessen, was ihn antreibt: Ist es der Selbstmord eines
Freundes, der sich aus Geldnot für rechte Propagandazwecke Hollywoods hat einspannen lassen? Und wie kommt es, dass Mank sich hinreissen lässt, Marion Davies mit ihrem vermeintlichen Portrait in KANE so schäbig zu verraten? Steckt die Erklärung in der Fabel vom Affen des Drehorgelspielers, die Mank einmal anspricht?
Doch dann sperren diese Schlüssel meist nicht, oder es fehlt sozusagen das passende Schloss. Und der Film macht das nächste Angebot.
Fincher macht sich durchaus seinen Spaß daraus, die Symbolik unverschämt deutlich ins Bild zu rücken. Höhepunkt des Films ist ein Maskenfest bei Hearst, Thema Zirkus. Zu dem Mank als Einziger ohne Kostüm erscheint. Um dann dem Gastgeber in einem großen, grandios trunkenen Monolog vermeintlich die Larve vom Gesicht zu reissen. Sich buchstäblich auszukotzen über die Verlogenheit, Scheinheiligkeit aller anderen.
Nur: Er steckt dabei rhetorisch Hearst in die Rolle eines Don
Quixote. Und Mank hat zuvor keine Zweifel gelassen, dass es der Titelheld selbst ist, der als Ritter von der traurigen Gestalt gegen Windmühlen ankämpft. Mank sieht ihn Hearst letztlich sein eigenes Spiegelbild. Kane ist ein Selbstportrait.
(Und in all dem weist Mank insgeheim voraus auf Orson Welles’ gescheitertes Don Quixote-Projekt, in dem das Regiegenie sich als der schwärmerische Edelmann inszenierte.)
Doch wo ein
Quixote ist, oder zwei, oder drei, da darf freilich die Dulcinea nicht fehlen.
Von Manks Schreibstube, in die man den Alkoholiker trockengelegt hat, über das eingezäunte, bewachte Studiogelände, bis hin zu Hearsts Xanadu mit Privatzoo in San Simeon:
Die Welt um Mank herum begrenzt sich nur zu gerne auf Privaträume, in denen man nicht von der Öffentlichkeit gestört werden kann – deren Geschicke man sich aber anschickt zu lenken. Einer Kulisse gleich, der man kaum einen Blick schenkt, wird die Außenwelt höchstens mal am Autofenster
vorbeigezogen.
Marion Davies ist die eine Person, mit der Mank fast nur unter freiem Himmel spricht, mit der er Räumen entflieht, in denen ihm die Decke auf den Kopf zu fallen scheint.
In strahlendem Weiß wartet sie an einem Filmset auf dem Scheiterhaufen geduldig ihrer Opferung entgegen – und bittet noch augenzwinkernd Mank um eine Zigarette. Sie wird so etwas wie seine Vertraute: Sie sind zwei Rädchen in der Traumfabrik, zwei Menschen, die eine ähnliche Sicht auf die Dinge um sie herum
haben – wenn sie auch mit diesem Wissen unterschiedlich umgehen. Allemal genug, um bei Feiern zu Verbündeten zu werden, die miteinander lästern können, wie die Lümmel von der letzten Bank. Und auch ihren halb bitteren, halb versöhnlichen Abschied nehmen sie unter freiem Himmel, bei einem Picknick, sich auf einem umgestürzten Baum mit Champagner zuprostend.
Mank ist eine Ehrenrettung für Davies, die seit jeher als das offensichtliche Vorbild für Susan Alexander Kane gilt – die junge, etwas unbedarfte und heillos überforderte Sängerin, die Charles Kane sich zur Frau wählt, und die er zum Star aufbauen will. Die Figur also, für die Citizen Kane unangenehm viel Häme, Gehässigkeit aufbringt. Lang wirkt es, als mache
Mank zu seinem zentralen Geheimnis die Frage, warum Mankiewicz einen solchen Verrat beging an einer Frau, mit der er bestens befreundet schien. Und die Auflösung ist seltsam unbefriedigend, ist eine sehr irreale Fantasie vorausgreifender Verzeihung.
Vielleicht muss man aber auch tatsächlich ernst nehmen, was Mank immer wieder beteuert: Nein, Susan Alexander ist nicht Marion Davies. Zumindest im Rahmen von Finchers Film ist Davies eine Figur, die sich dem
ganzen Spiel von Verweisen, Dopplungen, Maskierungen auf ihre ganz eigene Weise entzieht.
Es ist ihr Beruf, in Rollen zu schlüpfen, sich hinter Masken zu verstecken, anderen etwas vorzuspielen. Sie gibt sich sehr bewusst und strategisch meist naiver, als sie ist (was Mank wohlgefällig durchschaut). Sie ist die Eine, die sich eine gewisse Bewusstheit, Kontrolle bei ihrer Rollenzuschreibung angeeignet hat, und die sich Mitsprache bei der Wahl herausnimmt. Bei ihr verschwimmen die Ebenen von Filmrollen, Person, Projektion.
In Mank changiert
das vor allem zwischen der Frage, ob man ihr von Seiten MGMs die Titelrolle in Marie Antoinette zutraut – ihr, der talentierten Komödiantin, einen solch gewichtigen Part in einem großbudgetierten Epos. Und der Frage, inwieweit Marion Davies eine Marie Antoinette ist – die blauäugige Gemahlin des dekadenten Herrschers über ein untergehendes Reich.
Spät nachts, einer Feier des Hausherren entflohen, als taumelnde Flaneure durch die Gärten von San Simeon an einem Brunnen gestrandet, fragt Marion Mank nach seinem Urteil zu diesem Rollenangebot. Der Autor verzieht die Miene, in nicht genau deutbarem Missfallen.
In seinen Augen ist sie eher (s)eine Dulcinea.
Erst gegen Ende des Films hat er seine Meinung geändert: Marion Antoinette, nun doch, zischt er beim Masken-Dinner in hörbarem Flüstern über die Tafel. Er will ihr den Stich
zurückgeben, den es ihm versetzt, dass sie so zufrieden resigniert, dass sie anscheinend beschlossen hat, als Mensch ausgerechnet in dieser Rolle aufzugehen. Und er degradiert sie damit verbal zur Marionette, zum Püppchen, das an Fäden tanzt, die andere in der Hand haben – er, der ach so unabhängige, moralisch überlegene Freidenker.
Da begeht Mank selbst den Fehler, den er immer anderen vorwirft: Davies zu unterschätzen. Er hätte es ernster nehmen sollen, als sie ihm sein Schicksal gleichsam schon einmal vorgezeichnet hat. Ihr nächtlicher Streifzug durch das Hearstschaftliche Anwesen zum Brunnen führte am Paviankäfig der Privatmenagerie vorbei. Niemand, absolut niemand macht William Randolph Hearst zum Affen, warnte da Davies.
Aber da hört Mank nicht hin, und ist noch ganz wie das Tanzäffchen, das glaubt,
sein Drehorgelspieler, dessen Publikum, alles würde nur um seine Kunst kreisen.
Der Film gönnt seinem Helden nur einen kurzen Moment wahren Stolzes. Nachdem er in einem großen Schwall Fischfilet mit passender Weinbegleitung sowie seine Abscheu vor Hearst losgeworden ist, steht er vermeintlich triumphierend da.
Doch nach dem Höhenflug holt man ihn prompt auf den Teppich der Tatsachen zurück. Das unfreiwillige Publikum – Marion Antoinette und ihr Hofstaat – hat sich schon fluchtartig verabschiedet. Der Applaus bleibt aus. Nur Studiokönig Louis
B. Mayer und Hearst bleiben zurück.
Manks Miene verrät, dass er wie nach einer ernüchternden Watsche voll und ganz realisiert, wie sehr er sich grad ins eigene Bein geschossen hat. Und womöglich ist es die Fassungslosigkeit vor dem eigenen, trunkenen Mut, den insgeheim gewünschten beruflichen Suizid tatsächlich begangen zu haben.
Hearst ist weniger beeindruckt von dem Auftritt – bestenfalls amüsiert. Er nimmt den erstmalig sehr kleinlauten Maulhelden gleichsam an der Leine und führt ihn durch die schlossartigen Gänge seiner Residenz auf kürzestem (aber keineswegs kurzem) Weg zum Ausgang.
Dabei erzählt er ihm seine Sichtweise auf das Drehorgeläffchen. Die Sicht der Leute mit dem Geld, die Sicht der wahren Machthaber.
Hearst hält ihn sich nicht etwa als Künstler – sondern als Hofnarren. Er
mag nicht, wie Mank schreibt, sondern einfach, wie er redet.
Das Schlimmste für Einen, der es sich als Lebenspose zugelegt hat, nichts und niemanden ernst zu nehmen, ist die Erkenntnis, dass man tatsächlich ihn nicht ernst nimmt.
Mank inszeniert sich so gern als passiver Beobachter, der für die Welt um sich herum nur ein gelegentliches, sarkastisches Bonmot übrig hat. Er hält sich vermeintlich aus allem raus – nur seinen überheblichen Unmut möchte er dann doch deutlich machen.
Ob er denn jemals ernst sein könne, fragt seine
Privatsekretärin Rita Alexander.
Nur wenn es um etwas Lustiges gehe, antwortet Mank.
Freilich ist das Fassade. Der ausgestellte Zynismus ist ein Panzer, ist Harnisch gegen die Harschheit, mit der er in Wahrheit die Dinge empfindet. Es ist Mank geradezu peinlich, wenn er auf guter Tat ertappt wird; jemand auch nur eine Ahnung erhascht, dass er Mitgefühl hat.
Was nützt ihm seine Überlegenheit an Geist und Bildung, wenn er – wie er behauptet – in Hollywood nur von Idioten umgeben ist?
In bestem Latein folgt er dem Motto: Bibamus moriendum est – Wir trinken, weil wir sterben müssen. Wo der Panzer nicht schützt, da sucht er die Betäubung, im Alkohol. Oder versucht, mit seiner anderen Sucht, alles zum bloßen Glücksspiel, zur Wette zu machen. Alles, um nur die Bedeutung, das Berührende der Dinge abzustumpfen.
Man könnte sagen: Jedem Äffchen sein Pläsierchen. Das wäre alles hinnehmbar, wenn Mank sich in dieser angewöhnten Pose tatsächlich so wohlfühlen würde, wie er sich nach außen hin in dieser vermeintlich brillant spiegelnden Rüstung gefällt.
In Wahrheit aber ist er selbst genervt und angeekelt von seiner zwanghaften Witzelei. Merkt, wie verletzend die sein kann, auch für Menschen, die er mag – aber kann sich nicht ein einziges verdammtes Mal zügeln.
Auch Manks Welthass ist,
wie so vieles in diesem Film, eine Projektion. Ist letztlich eine Spiegelung seines tiefen Selbsthasses.
Und vielleicht ist der Drehbuchautor von Citizen Kane in Mank auch deswegen jemand, der ein Selbstportrait nur über den Umweg hinbekommt, dass er eine schonungslose Demaskierung seines ärgsten Feindes schreibt.
Anna Edelmann & Thomas Willmann
Mank ist seit dem 4.12.2020 auf Netflix abrufbar.