Frankreich 2005 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Arnaud Larrieu, Jean-Marie Larrieu Drehbuch: Arnaud Larrieu, Jean-Marie Larrieu Kamera: Christophe Beaucarne Darsteller: Sabine Azéma, Daniel Auteuil, Amira Casar, Sergi López u.a. |
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Mittelständisches Idyll: Dainiel Auteuil und Sabine Azéma |
Malen oder Lieben sind Möglichkeiten, seine Zeit zu verbringen, wenn man Rentner beziehungsweise die Ehefrau eines solchen ist. Malen bedeutet Ruhe, ästhetische Reflexion, vielleicht Abgeschiedenheit von der Welt, Lieben die aktive Teilhabe am Leben. Das oder verschärft den Kontrast im Titel des neuen Filmes der Brüder Arnaud und Jean-Marie Larrieu, und was hier trocken formuliert wird, erzählt der Film auf ebenso unaufgeregte Weise.
Madeleine (Sabine Azéma) ist erfolgreiche Unternehmerin, ihr Mann William (Daniel Auteuil) ist pensioniert, die Tochter der beiden ist erwachsen und studiert im Ausland: Das Leben verläuft in geordneten Bahnen, das mittelständische Idyll scheint fast zu perfekt. Man erwartet, dass sich ein Abgrund auftut, zumal in einem französischen Film: Das Schicksal, das erbarmungslos zuschlägt, ein dunkles Geheimnis oder schlicht die Schlechtheit der Menschen, die alles zerstört. Doch es geschieht nichts, und das ist das Bemerkenswerte an diesem Film.
Madeleine malt und verschafft sich so ihren Ausgleich. Um dem Lärm der Stadt zu entkommen fährt sie in die Berge, dort entdeckt sie ein verlassenes Bauernhaus. Sie und ihr Mann beschließen, es zu kaufen, und William findet einen neuen Sinn für sein Leben. Mit derselben Leidenschaft, mit der Madeleine malt, macht er sich daran, das Haus zu renovieren und das intellektuell bürgerliche Milieu, das die beiden hinter sich gelassen haben, durch eine stilisiert bukolische Welt zu ersetzen.
Sie lernen Adam (Sergi Lopez) kennen, den blinden Bürgermeister des Nachbarortes. Ihn umgibt ein Geheimnis, geht er doch absolut selbstverständlich mit seiner Behinderung um, die in seinem Leben und der Beziehung zu seiner hübschen Frau Eva (Amira Casar) kein Problem darzustellen scheint. Madeleine und William erliegen ihrem Charme, die Paare freunden sich an.
Als das Haus von Adam und Eva abbrennt nehmen Madeleine und William die beiden bei sich auf. Die vier kommen einander näher und zwischen ihnen entsteht etwas, das über Freundschaft hinausgeht: Eine Intimität, die sich in kleinen Gesten andeutet und zu etwas wie Liebe wird.
Adam und Eva sind Swinger. Sie eröffnen ihren Freunden eine neue Welt der uneingeschränkten Leidenschaft, jenseits gängiger gesellschaftlicher Normen und damit verändern sie Madeleines und Williams Einstellung zum Leben und zu ihrer Beziehung.
Zunächst stehen einander in der Freundschaft der beiden Paare zwei konträre Lebensmodelle gegenüber. Die Erziehung von Madeleine und William, ihr sozialer Status, ihr gesellschaftliches Umfeld haben sie kultiviert, aber auch
domestiziert und zu modernen Menschen gemacht. Sie gehören zu einer Kultur, die in ihrer Übersättigung jede Erfahrungen nur als ästhetisches Phänomen wahrnimmt. So begegnen sie der Schönheit der Natur, und so ordnen sie zunächst auch das Erlebnis mit Adam und Eva ein. Ganz anders Adam und Eva, die jenseits der bürgerlichen Moralvorstellung ihrer Leidenschaft, ihrer Lust auf grenzenlose Liebe nachgehen.
In der Erkenntnis, dass dieses Leben ungezwungener und erfüllender ist als ihr Bisheriges, liegt für Madeleine und William eine Befreiung. Sie überwinden ihre Scham und öffnen sich der Welt, die Adam und Eva ihnen offenbaren. So werden sie zu glücklicheren Menschen, als sie es wohl bisher in ihrem Leben waren.
Bemerkenswert an Malen oder Lieben ist, dass der Film diese Geschichte erzählt ohne einen echten Konflikt, geschweige denn einen Tabubruch zu stilisieren. Die Entwicklung von Madeleine und William wird unaufgeregt geschildert, mit großartigen Schauspielern, schönen Momenten und einer bezaubernden Metaphorik, die in tiefgründigen Bildern versteckt liegt.
Dabei fehlt es nicht an Konfliktpotential, wenn beispielsweise die erwachsene Tochter auf den Hof kommt, um dort zu heiraten und ihr die Veränderung, die in der Beziehung ihrer Eltern vonstatten gegangen ist, trotz zahlreicher Hinweise entgeht.
Die Leistung des Filmes besteht darin, etwas als alltäglich zu zeigen was vielleicht immer noch einen Rest an gesellschaftlichem Sprengstoff birgt, in einer Kultur, der Monogamie nach wie vor als fester Wert gilt. So vermeidet der Film auf elegante Weise, den moralisierenden Zeigefinger zu heben oder eine aufgesetzte Liberalität zu demonstrieren, den Konflikt zwar aufzuzeigen aber zu tolerieren. Der Film zeigt die Natürlichkeit einer an sich natürlichen Sache und überlässt es dem Zuschauer, sich mit den fein gezeichneten Personen auseinanderzusetzen.