USA 2015 · 99 min. · FSK: ab 0 Regie: Rebecca Miller Drehbuch: Rebecca Miller Kamera: Sam Levy Darsteller: Greta Gerwig, Ethan Hawke, Julianne Moore, Bill Hader, Maya Rudolph u.a. |
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Theorien zum Leben erwecken |
»Individualisierung ist ein Zwang; ein paradoxer Zwang allerdings, zur Herstellung, Selbstgestaltung, Selbstinszenierung nicht nur der eigenen Biographie, sondern auch ihrer Einbindungen und Netzwerke, und dies im Wechsel der Präferenzen und Lebensphasen und unter dauernder Abstimmung mit anderen und den Vorgaben von Arbeitsmarkt, Bildungssystem, Wohlfahrtsstaat usw.«
Beck, Ulrich /Beck-Gernsheim, Elisabeth: Riskante Freiheiten. Frankfurt/M. 1994, S.14.
Würde es die Website-Begrifflichkeit des »Relaunches« im Filmsegment geben, dann wäre Rebecca Millers Maggies Plan ein faszinierendes Beispiel dafür. Denn viel mehr als ein »Remake« wäre ein »Relaunch« ja nicht nur eine Kopie in neuen Kleidern, sondern die intellektuelle Überführung einer Idee, eines Stils samt Inhalte in eine neue Zeit und eine neue Moral. Innerhalb dieses Gedankenspiels wäre Maggies Plan dann die gelungene Überführung des frühen Woody Allen in eine neue Zeit. Denn wie Greta Gerwig sich in einem hochneurotischen Ringelreihen mit Ethan Hawkes und Julianne Moore thematisch und verbal im Kreis dreht und dabei um eine aufrichtige Beziehung, ein mögliches Kind und berufliche Identitäten kämpft, erinnert in seinen endlosen, aber immer wieder auch tiefsinnigen Plapperschleifen zum einen an frühere Allen-Filme wie Manhattan oder Hannah und ihre Schwestern, ist dann aber doch auch spürbar anders. Denn seit den 1980ern haben sich die Zeiten tatsächlich geändert, hat sich das Individualisierungs-Paradigma – so wie von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim in den 1990ern prognostiziert – auch schichtenübergreifend durchgesetzt.
Miller konzentriert sich in ihrem Film allerdings auf die übliche, auch bei Woody Allen generell bediente New Yorker bildungsbürgerliche Schicht, die auch den Anfang dieser Entwicklung gesetzt hat und die bei Miller im universitären Umfeld verankert ist. Von hier werden die Fäden in Beziehungs- und Berufskalamitäten gesponnen, werden neue Beziehungs- und Erziehungsmodelle durchgespielt, wird gerungen und geredet, um so etwas wie individuelle Authentizität zu erreichen. Wie schon in Noah Baumbachs Frances Ha ist es auch hier Greta Gerwig, die den thematisch recht wuchtigen Block an Gegenwartsanalyse erst zum Leben erweckt, die flirrend und subtil und händeringend nach »ihrem« Leben greift und gerade in Zusammenspiel mit Ethan Hawke und Julien Moore zu einer neuen Hochleistung aufläuft – und damit Woody Allen dessen ewigen Stammplatz als »Stadtneurotiker« streitig macht.
Doch gerade Julianne Moore erinnert auch daran, was Maggies Plan bei all der dann doch dominierenden Romcom-Süßlichkeit und Woody Allenesker New York-Affinität fehlt: die Prise Bitterkeit, der Hauch von morbider Pestilenz, die Gratwanderung ins Unerträgliche und Hässliche und eine schonungslose »knausgardsche« Direktheit. Attribute, die sich vor vier Jahren fast spielerisch in Scott McGehees und David Siegels Das Glück der großen Dinge manifestierten, in dem Julianne Moore damals die umwerfende Hauptrolle verkörpert hat und der gezeigt hat, dass man Woody Allens Geist nicht unbedingt leichtfüßiger inszenieren muss, sondern auch erheblich riskanter »relaunchen« kann.