USA 2018 · 131 min. · FSK: ab 0 Regie: Rob Marshall Drehbuch: David Magee Kamera: Dion Beebe Darsteller: Emily Blunt, Ben Whishaw, Emily Mortimer, Lin-Manuel Miranda, Pixie Davies u.a. |
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Alles wird gut |
Auch wenn es vorher völlig »Supercalifragilisticexpialidocious« klingen mochte, wenn es denn passiert, scheint es plötzlich die beste Idee aller Zeiten zu sein: die Fortsetzung eines der bekanntesten Musicals aller Zeiten zu realisieren – Mary Poppins, die 1964 auf einem Drachen vom Himmel segelte. Damals gab Julie Andrews in der Rolle der bezaubernden Nanny mit den etwas anderen pädagogischen Methoden ihr filmisches Debüt, um eine dysfunktionale Familie wieder zum Laufen zu bringen. Sowohl die Songs, die Choreografien als auch die unkonventionelle Mischung aus Realfilm und Zeichentrick machten Mary Poppins zum wohl größten Erfolg Walt Disneys während seiner Lebenszeit.
Warum ein einzigartiger Erfolg nach mehr als 50 Jahren eine Fortsetzung braucht, liegt auf der Hand, soll aber an dieser Stelle nicht thematisiert werden, denn derartig rüde Kommentare, würde Mary Poppins wohl sagen, gehören sich nun einmal nicht für einen seriösen Herren, und für die seriöse Filmkritik erst recht nicht.
Und wären vielleicht auch nicht gerecht. Denn warum nicht eine Fortsetzung eines alten Klassikers versuchen, der die alten Fans wieder ins Boot holt und neue Fans für diese nur noch in Glee-Clubs, Schultheatern, zweitrangigen Stadt- und Provinztheatern und dann und wann auch wieder im Kino (Mamma Mia! 2, La La Land) praktizierte »Kulturtechnik« zu gewinnen?
Und das wird wohl auch gelingen. Denn Rob Marshall, der mit Chicago (2002), Nine (2009) und Into the Woods (2014) solide Erfahrung in Film-Musical-Regie nachweisen kann, geht behutsam mit dem historischen Erbe um. So behutsam, dass man im Grunde kaum von einer Fortsetzung als vielmehr von einem Remake sprechen kann. Zwar stehen in Mary Poppins' Rückkehr nicht nur die Kinder, sondern auch Vater und Schwester im Fokus, die niemand anders sind als Jane (Emily Mortimer) und Michael (Ben Whishaw) aus dem ersten Teil, aber nun erwachsen sind. Und Michael hat es besonders schwer mit den Kindern, weil seine Frau ein Jahr zuvor gestorben ist. Hiermit hören die Unterschiede aber auch fast schon auf, denn wie damals befinden wir uns auch eine Generation später in einer nur schlecht funktionierenden Familie, der es finanziell gar noch schlechter geht, so schlecht, dass sie sogar um ihr legendäres Haus im Londoner Kirschbaumweg Nummer 17 fürchten muss. Und auch im zweiten Teil fährt Deus-ex-machina-artig Mary Poppins (Emily Blunt) an einem Kinderdrachen gelenkt ins historische London hinab und regelt, was halt zu regeln ist. Es gibt wieder eine Bank, die Böses will und mit Jobverlust und Armut droht, und statt Schornsteinfegern ist es nun die Gilde der Lampenanzünder- und Löscher, die, allen voran Jack (Lin-Manuel Miranda), mit opulenten Gesangs- und Tanzeinlagen einer ohnehin überragenden Emily Blunt immer wieder die Show stiehlt.
Und wieder gibt es animierte Fantasielandschaften, über die Mary Poppins ihre pädagogischen Anliegen abhandelt, und werden die Bande mit der Vergangenheit über zwei Cameo-Auftritte von Dick Van Dyke und Karen Dotrice noch einmal gebündelt. Aber auch ohne diese Auftritte und die vielen »wieder und wieder« hätte man in Mary Poppins' Rückkehr wohl kaum das Gefühl, einen Film aus dem Jahre 2018 zu sehen.
Denn bis auf die Tricks und Animationen, die ein wenig perfekter daherkommen, hat hier niemand im Leben dazugelernt, ist hier alles so wie damals. Wir sehen ein England, in dem selbst Armut und menschliche Fiesheit noch souverän in die Schranken gewiesen werden können und Kinderträume von bewundernswert »natürlichen« Autoritäten wahr werden. Ja, es ist ein fast schon revisionistisches Weltbild, das Mary Poppins uns hier vorsetzt: vergesst die Irrwege der alternativen Pädagogik der 1968er, und vergesst die Globalisierung mit ihren Irrungen und Wirrungen, denn das schwärzeste Schwarz in unserem London ist gerade mal das der Anzüge und der Fahrräder der Lampenanzünder.
Damit ist Rob Marshall vielleicht kein Film gelungen, der wie 1964 noch ein Ereignis für die ganze Familie war, aber einer, der auf der Höhe unserer restaurativen Moral ist und dabei gänzlich ironiefrei wie die perfekte Vision eines idealen Brexit aussieht.