USA 2003 · 136 min. · FSK: ab 16 Regie: Andy Wachowski, Larry Wachowski Drehbuch: Andy Wachowski, Larry Wachowski Kamera: Bill Pope Darsteller: Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss, Laurence Fishburne, Monica Bellucci u.a. |
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Neo im Kampf gegen den Klon-Agenten | ||
(Foto: Warner Bros.) |
1. Der Körper. Carrie-Anne Moss alias Trinity ist alt geworden. Nicht wirklich alt natürlich, aber sichtbar älter. Laurence Fishburne alias Morpheus hat zugenommen, ist dicker geworden. Für die Maßstäbe der Matrix, die die Körper in ihrer Perfektion inszeniert, in der die Körper beherrscht werden, die Maschinen kontrollierbar sind und das Numerische die Welt bestimmt, für diese Maßstäbe ist Morpheus fett geworden.
Kleidungskodizes der authentischen Welt und der Matrix: Die Strickpullis mit ihren Laufmaschen, ans Mittelalter gemahnende, apokalyptische Nachfahren der pyjamagleichen Uniformen der Star-Treck-Ritter. Der Latexanzug der in der Matrix kämpfenden Trinity, Freilegung des Körpers als eine definierte, beherrschbare Oberfläche. Das Priestergewand des kämpfenden Neo, das kämpfende Symbol, der mit Bedeutung aufgeladene Körper, der auf die philosophische Tiefe der Vorhersehung verweist. Das kämpfende Kleid bringt den Tanz hervor.
2. Der Tanz. Zwei Antipoden des Tanzes. Der große Rave zu Beginn des Films von den Leuten aus der authentischen Unterstadt (Metropolis). Und der Tanz der Kämpfenden, gegen die Schwerkraft und gegen die Realitäten der Physis in der virtuellen Überstadt der Matrix. Organische Körperlichkeit im Rave, parallelmontiert mit der sexuellen Vereinigung von Trinity und Neo. Nacktheit der Körper. Diffuse Bewegungen. Die Körper schließen sich in einem großen Tanz des Come Together zu dem einen Organismus der Unterstadt zusammen. Mega-Koitus, aufgeputscht durch die Rede von Morpheus, des großen mussolinihaften Propagandisten der Vorhersehung. Die Haut als Signum der Echtheit. In der Matrix der Tanz der choreographierten Martial Arts, der nicht der Liebe folgt, sondern der Feindschaft. Verkleidung der Haut im Latex. Gezieltheit der Bewegungen. Selbstbeherrschung und Beherrschung des Gegners.
Der Tanz verliert nie an Bodenhaftung. Erdig in der Unterstadt, hier verzweifelter Tanz der Apokalypse. Schwerfällig in der Matrix, dort auswegsloses Kämpfen gegen Agent Smith, dem Klon der Allgegenwärtigkeit. Nach der Leichtigkeit, der Flugfähigkeit, der Kalligraphie des Kampfes als mentalem Zustand in Hero enttäuschend dumpfe Körperlichkeit der Kampfszenen. Nach Matrix, in der alles noch Überraschung war, in der die Kampfszenen von einem Furor getrieben schienen, plötzlich nur noch Routine und Alltäglichkeit. Lästig, weil der Kampf gegen den Agenten aussichtslos erscheint. Banal und komisch, weil der Kampf sich fortwährend wiederholen muss, die Steigerung nur in der Quantität passiert. Nervig, wenn mit dem Kampf einsetzende Musik mit rhythmischen Beats dem Kämpfenden sekundieren soll, dabei immer nur Suggestion für den Zuschauer ist. Weil sie auf einer Ebene außerhalb der Handlung angesiedelt ist, anders als in Hero, in der die Musik den Kampf tatsächlich begleitete, ihn kommentierte.
Wirklicher Tanz dort, wo die Bilder das Computerspiel simulieren, aufgehen in Künstlichkeit. Wo Animation der Bilder und Performanz der Kämpfenden ununterscheidbar werden. Erfüllter Tanz erst im Numerischen der Bilder, wo die Akteure ganz in der digitalen Welt aufgegangen sind.
3. Trinity (Der Kuss). Neo gibt Persephone einen Kuss. Er soll sie so küssen, wie er Trinity küsst. Er soll sie so küssen, als würde er sie lieben. Er soll sie küssend lieben, als seien sie füreinander bestimmt. Neo küsst Persephone. Erst speist er sie mit einem flüchtigen Kuss ab. Nur sie aber kann ihm den Zugang zum Schlüsselmacher verschaffen, der ihm die Quelle zur Matrix öffnen kann. Neo gibt Persephone einen wahrhaftigen Kuss. Einen Kuss, wie er ihn nur Trinity
geben kann.
Eifersucht, Verletzung. Trinity sieht zu. Saugt das Bild des groß inszenierten Kusses in sich auf. Persephone sagt zu Trinity: »I envie you.«
Hier offenbart sich der Sehnsuchtshorizont von Matrix, und zugleich der Schlüssel zu Neos Bestimmung, die einem Kreisschluss folgt. In Matrix zweifelte Neo an seiner Bestimmung zum Erlöser. Das Orakel hatte ihm gesagt, dass er es nicht ist. Seine Bestimmung als »the One« erfüllt sich erst durch die Liebe zu Trinity, durch ihre Liebe zu ihm. Das Orakel hatte Trintiy prophezeit, dass sie sich in den Erlöser verlieben wird. Die Liebe rettet in Matrix und Matrix Reloaded wechselseitig das Leben der Liebenden. Im Kuss, den Neo Persephone gibt, ist die Liebe in der Welt der Imitation, des Scheins angekommen. Nicht nur die Matrix simuliert Realitäten.
4. Destiny. Die Philosophie von Matrix zu Matrix Reloaded gleitet über von dem existentialistischen, sich über die Bestimmung der körperlichen Grenzen hinwegsetzenden Free Your Mind zu einem rigorosen Determinismus Leibnizscher Art. Selbst das Orakel folgt nur seiner funktionalen Bestimmung zu existieren, um Vorhersagen zu leisten. Der Besuch beim »Architekten der Matrix« ist die Kulmination der zuvor inszenierten leeren Gänge, topographische Abkürzungen innerhalb der virtuellen Welt, und des überflutenden Lichtes als Vorwegnahme einer metaphysischen Dimension. Hinter allem steht ein Erschaffer. Während in Matrix noch ein unbestimmt bleibendes »sie« die Matrix veränderte, wie in der Szene des Déjà-Vues, tut sich hier eine Ursprungs-Mythologie auf: Die Matrix ist die Hervorbringung des großen Bewegers, dessen Raum erfüllt ist von den digital aufgezeichneten Erinnerungsbilder von jenem, der ihn besuchen kommt. Der Cliffhanger, der sich zum Schluss von Matrix Reloaded ereignet, hängt genau über dem Abgrund, der sich zwischen Matrix I und Matrix II auftut: Kann das Schicksal des Untergangs beherrscht werden durch den Willen zum Kampf? Wird das Schicksal des Todes besiegt werden durch die Liebe?
5. Die Maschine. Große Inszenierung der Maschine in der Unterstadt. Zahnräder bedeuten die Arbeit in einer körperlichen Welt und sprechen der Virtualität der Matrix Hohn, in der sich die Funktionszusammenhänge in Zahlenreihen auflösen. Bilder einer nostalgischen Authentizität. Bilder der mechanischen Maschine. Extrapolation einer futuristischen Welt aus einer retrograden Technik heraus, die typisch ist für die Science-Fiction. In der virtuellen Welt die Überlistung der mechanischen Welt, in der alles Physik und Zusammenhang ist: Die Türen, die beim Schließen und Öffnen neue Ebenen aufmachen: ENTER THE MATRIX. Das Ankommen des Filmes im Computerspiel, das zitathafte Übergreifen auf ein anderes Medium. Die Abwesenheit des Regens, der seit Blade Runner die Science-Fiction begleitet. Der Regen der Zahlenreihen, die visualisierte Matrix: Signum auch dies der Apokalypse.