USA 2015 · 144 min. · FSK: ab 12 Regie: Ridley Scott Drehbuch: Drew Goddard Kamera: Dariusz Wolski Darsteller: Matt Damon, Jessica Chastain, Kristen Wiig, Kate Mara, Michael Peña u.a. |
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No Frills – mehr Science als Fiction. |
»Im pretty much fucked. Thats my considered opinion. Fucked.«
(Andy Weir, The Martian)»Fuck you, Mars!«
(Andy Weir, The Martian)»The dinosaurs had no space program.«
(Larry Niven)
Gleich nachdem ich vor einem knappen Jahr erfuhr, dass Andy Weirs Marsianer von Ridley Scott verfilmt wird, konnte ich nicht anders, als schon damals den ersten Satz meiner zukünftigen Besprechung aufzuschreiben: »Schlechte Adaption, guter Film, wie oft hatten wir das nicht schon.«
Das lag vor allem daran, dass Andy Weirs Roman neben Kar Ove Knausgards »Leben« zu meinen schönsten Leseerlebnissen des vergangenen Herbstes zählte. Lange war ich nicht mehr so berauscht, lange nicht mehr so glücklich wie bei und nach dem Lesen des »Marsianers«. Dabei ist es nicht nur die Kernrobinsonade unserer Gegenwart, die fasziniert und die hier ebenso detailversessen und realistisch verhandelt wird, wie Daniel Defoe das in seinem »Robinson Crusoe« tat – und zwar mit der gleichen ausufernden Beschreibung menschlicher Kulturhandlungen, die zum Überleben notwendig sind. Genau wie in Defoes – ungekürztem – Roman, ist die Versuchung groß, allzu technisch verschliebte Beschreibungen quer zu lesen, um der verwinkelten, immer wieder überraschenden »Hiobonade« des auf dem Mars gestrandeten Astronauten Mark Watney schneller folgen zu können.
Was Weirs Buch allerdings auch in den technischsten Monologen und darüber hinaus interessant macht, ist die Sprache, die – allerdings nur im englischen Original – von unterkühlt nerdigem Spleen, bissiger Ironie bis zu Momenten pathetischer Poesie reicht. Eine fast ideale Sprache, um endlich einmal die üblichen SF-Märchen um wissenschaftliche Theorien hinter sich zu lassen und stattdessen eine bodenständige Geschichte angewandter Wissenschaft zu erzählen. Denn nichts, was in Weirs Buch steht – abgesehen von den zu stark betonten Marsstürmen – ist in der Realität unmöglich. [1]
»Unmöglich« ist vielmehr die Veröffentlichungsgeschichte von Weirs Romandebüt: erst ein Download auf seiner Website, dann auf Drängen erster Fans die preiswerteste Variante eines Ebooks auf Amazon, dann die Printausgabe und der Aufstieg in diverse Bestsellerlisten. Und dann – kam Ridley Scott, der schon einmal – in seiner Verfilmung von Philipp K. Dicks Blade Runner – Talent bewiesen hatte, ungewöhnliche Science Fiction-Literatur innovativ umsetzen zu können und Hand anzulegen an den Puls der in der Gegenwart verborgenen Zukunft.
Scott gelingt auch im Marsianer eine fast schon beängstigend gute Umsetzung der literarischen Vorlage. Zwar ist die Sprache glattgebürstet, fehlen etliche »Fucks« des Originals, gibt es rasante »Abkürzungen« im Plot, besinnt sich Watney einmal zu wenig seiner Einsamkeit, gibt es einen neu entwickelten, nicht unbedingt notwendigen Epilog und erscheinen selbst trotz 142 Minute Länge einige Handlungsstränge zu hektisch aufbereitet.
Aber das alles ist kaum relevant, denn im Kern bleibt Scott Weirs Idee treu und wendet sich damit radikal vom gegenwärtigen Mainstream-SF ab, der wie Christopher Nolans Interstellar in esoterischen und filmhistorischen Quark steckenbleibt, sich in immer wieder neuen Fortsetzungs-Schleifen verrennt oder sich dystopisch dissoziiert.
Scott gelingt es stattdessen überzeugend, ein Weltall ganz im Sinne von Stanislav Lems Astronauten Pirx zu zeigen, eines, in dem wir einsam sind und nicht einmal unsere Projektionen nach höherem Sinn und Verstand eine Überlebenschance haben. Es ist das Weltall, in dem nur der »Homo Sapiens« mit seinem eigentlichen Alleinstellungsmerkmal eine Chance hat: verstehe, denke, handele – überlebe. Special Effects sind bei Scott deshalb auch nie vordergründig, sie sind einfach da, erklären sich selbst, stehen im Dienst der »Sache« – man denke nur an die effiziente Poesie, in der Commander Lewis (Jessica Chastain) sich durch das Raumschiff bewegt! Ähnlich verhält es sich mit »Action«, die fast schon paradigmatisch vom Genre SF erwartet wird. Auch hier bleibt Scott konsequent und blockbuster-untypisch, stellt er sich hinter seinen erkennenden, denkenden und handelnden Helden (Matt Damon), fällt kein einziger Schuss, gibt Scott ihm tatsächlich riskante Filmminuten denkender und handelnder »Stille« und schafft damit immer wieder atemberaubenden »No Frills«-Science Fiction, der im wortwörtlichen Sinne genau das ist: mehr Science als Fiction.
Dieser Ansatz dürfte schwierig für all jene sein, die sich gerade nach der Poesie des Weltalls sehnen, nach den unerklärlichen Weiten, den unerzählten Geschichten und einem verborgenen Mythos; die Weltall als eskapistischen Resonanzraum begreifen. Das alles ist Scotts Marsianer nicht. Scotts Marsianer ist vielmehr praktische Anleitung für eine handfeste Vision in einer an politischen Visionen armen Gegenwart. Und möglicherweise erklärt gerade diese offenkundige Pragmatik, warum der Film in den USA bei Publikum und Kritik begeistert aufgenommen wird und in Deutschland nicht. In den USA sind die gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich bei uns erst ankündigen, bereits derartig markant, dass die Vision einer Alternative immer zwingender wird. Eine Vision, die im Marsianer umso sympathischer ist, als es nicht Politiker sind, die politische Realität schaffen, sondern die wissenschaftliche Notwendigkeit. In der aber auch Raum für die ganz und gar unwissenschaftlichen Seiten des Menschen ist: romantische Porträts vor weiten Marslandschaften, Humor auf fast allen Ebenen und die vielleicht ambivalenteste Disposition im Menschen überhaupt – der Impuls zu helfen.
[1] Wie »realistisch« Scotts Marsianer ist, zeigen auch die ersten Zuschauerreaktionen: wiederholt sollen Besucher des Films die Frage gestellt haben, ob die Filmerzählung – wie so viele im Moment – einer „wahren Geschichte“ folge.
Ein weiteres faszinierendes Indiz für die gegenwärtige Sehnsucht nach der Verschmelzung von
Realität und Fiktion, »die gesellschaftliche Konstruktion unserer Wirklichkeit«, ist ein kurzer Film des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das kürzlich Aufnamen der Raumsonde Mars Express zu einem Clip zusammenschnitt, der den »echten Weg« von Marc Watney über den Mars zeigt.