USA 2021 · 148 min. · FSK: ab 16 Regie: Lana Wachowski Drehbuch: Lana Wachowski, David Mitchell, Aleksandar Hemon Kamera: Daniele Massaccesi, John Toll Darsteller: Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss, Yahya Abdul-Mateen II, Jessica Henwick, Jada Pinkett Smith u.a. |
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Neo & Trinity, so wie einst, nur ein bisschen älter. | ||
(Foto: Warner Bros.) |
»One pill makes you larger
And one pill makes you small,
And the ones that mother gives you
Don’t do anything at all.«
– Jefferson Airplane, White Rabbit
Die Vorzeichen waren nicht gut. Denn wer sich noch erinnert, der erinnert sich an den visionären Charakter des ersten Matrix-Teils, in dem die Wachowskis nicht nur den Diskurs über die Moral einer entstehenden KI mit der platonschen Ideenlehre und postmodernen Strömungen amalgierten, sondern auch radikale Kritik an der sich anbahnenden Macht virtueller Räume und ihrer Kapitalismus-affinen Ausrichtung übten und schon überdeutlich erkannten, dass die Chance einer besseren, utopischen virtuellen Welt schon längst vertan ist, weil sie eh nur wieder den banalen Alltag eines Jeden repliziert, weil die Freiheit dann ein doch zu anspruchsvolles Gut ist. Und dann waren da noch die innovativen Action-Choreografien, schwebende, menschliche Kampfmaschinen, die die Wände wie Spinnen abtasteten und Kugeln zu Regentropfen werden ließen, die sich um christliche Erlöser-Mystik stritten und dann auch noch nebenbei die Selbstermächtigung der Frau vorantrieben. Denn selbstverständlich steuerte hier nicht Neo (Keanu Reeves) das Motorrad, sondern Trinity (Carrie-Anne Moss). Und wer sich erinnert, der erinnert sich auch, dass Teil zwei (Matrix Reloaded, 2003) und drei (Matrix Revolutions, 2003) in ein breiiges Nirwana, eine sich selbst replizierende und kreuzigende, dialoglastige virtuelle Entität übergingen, an deren Ende der Tod Neos als Opfer für die Menschheit stand. Das schmeckte sogar noch christlicher als es das Neue Testament war.
Keine guten Vorzeichen für einen weiteren Teil. Das sahen eigentlich auch die Wachowskis so und überließen die Fortsetzungen einer stetig wachsenden Gamer-Gemeinde. Aber als kurz hintereinander Vater, Freund und die Mutter von Lana Wachowski starben, schrieb sie, um ihre Trauer zu verarbeiten, das Drehbuch zu einem vierten Teil, um wenigstens die Toten wiederauferstehen zu lassen, bei denen das möglich ist, also die Helden ihrer Matrix-Franchises.
Diese Sehnsucht nach Auferstehung und ewigem Leben ist Matrix Resurrections tatsächlich in den Source Code geschrieben und wird an einer Stelle nicht nur über die »Auferstehung« von Neo thematisiert, sondern auch gedankenexperimentell in einen aufregenden Kontext gestellt: versauen wir unsere Welt komplett, so haben wir wenigstens noch die virtuelle Realität, also die Matrix als »Backup«, über die wir in einer Art Rückkopplung sogar eigentlich schon ausgestorbene Dinge wie eine Erdbeere re-realisieren können.
Dieser Gedanke ist einer der wenigen, neuen, interessanten Ansätze, die Lana Wachowski anbietet, die hier allein Regie geführt hat, weil ihr Geschwister mit einem anderen Projekt beschäftigt war. Aber selbst dieser Gedanke ist natürlich wie eigentlich alles in diesem Film eine Variation des ersten und dritten Teils, fast schon eine Virus-Variante, die so ärgerlich wie unkaputtbar scheint, aber immerhin dann und wann auch überrascht. Etwa gleich zu Anfang, als tatsächlich noch die Möglichkeit im Raum steht, hier einen großen, tatsächlich auch humorvollen Reboot zu sehen, der endlich einmal die Ironie hat, von denen die ersten drei Teile völlig befreit sind.
Denn in dieser ersten halben Stunde überrascht sogar Keanu Reeves als gut gealterter Spiele-Entwickler, dessen größter Erfolg das Game Matrix 1-3 ist, der jedoch kaum mehr Spaß an der Entwicklung neuer Spiele hat, aber mit leichten Depressionen gerade noch über die Runden kommt. Bis sein Chef plötzlich die Hiobsbotschaft überbringt, dass Warner (das produzierende Studio auch dieses Films) einen vierten Teil will. Das stürzt Neo, der hier natürlich in seinem Allerweltsnamen Thomas Anderson agiert, in eine Identitäts- und Sinnkrise inkl. doppeldeutigem Therapeutenbesuch, wohl nicht anders als es Keanu Reeves ging, als er von der Fortsetzung hörte und auch den Wachowskis all die vielen Jahre, in denen eine Fortsetzung im Raum stand.
Mit dem Einbruch seiner alten Spielrealität verstärken sich bei Neo seine psychotischen, über Psychopharmaka aka Pillen (!) in Schach gehaltenen Schübe und auch das ist aufregend, denn jeder Matrix-Eingeweihte weiß zu diesen Zeitpunkt mehr als Neo und so ist sein äußerst ambivalentes erstes, erneutes Aufeinandertreffen mit der Matrix, mit alten und neuen Generationen von Mitspielern, Charakteren und Namen im Grunde ein Gedankenspiel, das sich auf die Ideen des Philosophen Saul Aaron Kripke und eines seiner Hauptwerke, Name und Notwendigkeit beziehen könnte: »Wenn etwas [...] in allen möglichen Welten wahr ist, dann sollten wir natürlich einfach dadurch, dass wir alle möglichen Welten in unserem Kopf durchlaufen, [...] in der Lage sein zu sehen, dass [die Aussage] notwendig ist, und somit in der Lage sein, sie a priori zu erkennen. [...] Zweitens denkt man [...], dass umgekehrt etwas, das a priori erkannt wird, notwendig sein muss, weil es erkannt wurde, ohne auf die Welt zu sehen. Wenn es von einem kontingenten Aspekt der wirklichen Welt abhängen würde, wie könnte man es dann erkennen, ohne hinzusehen? Vielleicht ist die wirkliche Welt eine der möglichen Welten, in denen es falsch gewesen wäre.«
Ab diesem Zeitpunkt läuft es dann tatsächlich in der wirklichen Welt – und damit meine ich explizit den Film, sein Drehbuch und die Regie – ganz und gar falsch. Was umso erstaunlicher ist, als einer der Drehbuchautoren, der Schriftsteller Aleksandar Hemon, in seinem neuesten Buch Meine Eltern . Alles nicht dein Eigen gerade bewiesen hat, wie großartig man multiperspektivisch um seine Identität ringen kann.
Stattdessen geht nach etwa einer halben Stunde alles schief, was schiefgehen kann. Denn ab dem Moment, ab dem Lana Wachowski sich von ihrem selbstreflektiven und humorvoll-ironischen Einstieg in die Matrix begibt, schauen wir einem todlangweiligen Remake des ersten Teils zu, denn fast in jeder Sequenz wird vor allem der erste Matrix-Teil zitiert, sehen wir statischen Charakteren zu, die noch ganz die Alten sind, auch wenn sie scheinbar neue Situationen erleben. Wieder fallen Patronen wie Wassertropfen hinab, wieder schwingt sich Neo auf das Motorrad von Trinity. Nein, nicht mal diese ja an sich aufregende Beziehung – wir sehen immerhin zwanzig Jahre gealterten Schauspielern zu, wie sie sich auf die Jagd nach ihrer Jugend und Unschuld machen – hat sich im geringsten verändert (wie anders, soviel innovativer und überraschender wurde das etwa zwischen Linda Hamilton und Arnold Schwarzenegger in Terminator: Dark Fate (2019) durchexerziert!).
Diese Wiederholung des ewig Gleichen, das Ertrinken in völliger Selbstreferenzialität – die ja auch eine Tugend sein kann, wie etwa in Jon Watts vor einer Woche gestartetem Spider-Man: No Way Home an – versucht Matrix Resurrections mit immer wieder neuen Meta-Ebenen und einem kitschigen Postulat zu mehr Menschlichkeit zu kaschieren. Es wird dieses Mal also nicht nur das weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland als Erkennungssegment zitiert, sondern es muss der großartige Song von Grace Slick und Jefferson Airplane, White Rabbit (hier der Link zur Woodstock-Version, 1969), sein, in dem nicht nur Alice im Wunderland referenziert wird, sondern nun auch die in diesem Song erwähnten Pillen. Pillen, die ja auch in der Matrix die Trigger sind, um sich für die Realität oder die Realitätrealität zu entscheiden. Und für die Nerds gibt es eine weitere Ebene, weiß doch jeder Slick-Fan, dass Slick sich erst für die Musik (und gegen die Kunst) entschied, nachdem sie Jefferson Airplane 1965 im legendären Matrix-Club live erlebt hatte.
So wie dieses kleine Beispiel ist der ganze Film, werden sich die Matrix-Aficionados möglicherweise über das kleinste Gedankenspiel freuen, so wie sich auch die Fans von One-Hit-Wonder-Stars über jeden Auftritt ihres Idols immer wieder von Neuem freuen können. Für Ortsunkundige dürfte es allerdings schwieriger sein, sich hier zu Hause zu fühlen, ist es ein wenig wie mit moderner Kunst oder der guten, alten Oper, die nur mit Kontext-Wissen ganz erschlossen werden können.
Und dabei dürfte auch die Ästhetik, die Choreografie nicht weiterhelfen, denn all das, was die Wachowskis damals so innovativ erschlossen haben, ist inzwischen langweiliger Action-Blockbuster-Standard, der tausendmal kopiert, zitiert und reinszeniert worden ist.
Und meistens besser.
Denn gerade die Action-Szenen – neben den unerträglich langen, völlig redundanten Dialogen und einem überlauten, aufdringlichen Score (Johnny Klimek, Tom Tykwer) – langweilen. Sie langweilen auch deshalb, weil Lana Wachowski es einfach besser machen will als in ihrem ersten Hit. Alles ist noch transzendentaler, schwebender, zeitlupenhafter, opernhafter und unsterblicher, so dass die Action sich im Grunde selbst negiert. Hier gibt es nichts mehr, was sich reibt, was einen Kontrast erfährt, ja nicht einmal der Tod hat mehr einen Stachel in einem Szenario, wo von der Erdbeere bis zum Neo jeder wiederauferweckt werden kann. Wofür dann eigentlich noch kämpfen, wofür sterben, ja, wofür eigentlich überhaupt noch leben und lieben? Da wird sogar Kino sinnlos. Und das ist vielleicht die traurigste Erkenntnis dieses überlangen, überlauten, überernsten, überklugen und völlig überinszenierten Films.