Marianengraben

Luxemburg/I/Ö 2024 · 87 min. · FSK: ab 12
Regie: Eileen Byrne
Drehbuch:
Kamera: Petra Korner
Darsteller: Luna Wedler, Edgar Selge, William Vonnemann, Martin Maria Abram, Dominik Raneburger u.a.
Marianengraben
Eine leichtgewichtige Filmerfahrung...
(Foto: Alamode / Die FilmAgentinnen)

Trauer und Befreiung

Der Atem der Filmkunst: In vier europäischen Ländern hat die Luxemburgerin und HFF-Absolventin Eileen Byrne den Bestseller »Marianengraben« verfilmt – ihr erster Langfilm

Nachts auf dem Friedhof: Paula, eine junge Frau, in all ihrer Zerbrech­lich­keit eindring­lich und souverän gespielt von der 25-jährigen Schwei­zerin Luna Wendler kommt einfach nicht über den Tod ihres jüngeren Bruders Tim hinweg – um so mehr, als sie sich dafür verant­wort­lich fühlt. Wieder und wieder sucht sie sein Grab auf, und die Sehnsucht nach dem Verstor­benen steigert sich zu einer immer stärker werdenden Lebens­mü­dig­keit. Kann der Freitod sie wieder mit Tim vereinen?

In dieser Nacht am Grab trifft sie unver­hofft auf Helmut, der auch die Nähe der Toten sucht – aber aus prak­ti­scheren Gründen. Er hat vor, die Urne mit der Asche seiner verstor­benen Frau auszu­graben, um sie nach Italien zu fahren und dort an einem besseren Ort zu beerdigen, wo sie zumindest seiner Meinung nach hingehört. Helmut ist ein schwer belehr­barer Griesgram und wirkt zumindest anfangs wie ein Misan­throp. Edgar Selge spielt ihn mit verschmitztem Humor, der schon früh ahnen lässt, dass da in diesem Menschen noch etwas mehr zu entdecken ist: Das Klischee vom weichen Kern unter der harten Schale.

Zunächst gibt aber die den Ton an und so nutzt Helmut die Verwund­bar­keit Paulas aus: Sie muss ihm beim Ausbud­deln der Urne behilf­lich sein. Das gelingt, doch nötigt Paula umgekehrt Helmut, sie mitzu­nehmen auf die Reise nach Italien.

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Dieses Zusam­men­treffen wirkt etwas forciert, und diese Forcie­rung, eine betonte Künst­lich­keit und nie verstellte Konstruk­tion zieht sich bis zum Ende durch diesen Film. Denn die Grund­kon­stel­la­tion, die nun etabliert ist und die die Handlung im Folgenden voran­treibt, kommt einem allzu bekannt und etwas abge­standen vor: Zwei ungleiche und verwun­dete Seelen mit den gleichen Problemen, in Trauer und persön­li­cher Krise vereint, treffen einander und geben sich gegen­seitig Halt – es ist klar, dass sie sich auf der Reise einander annähern und mitein­ander ausein­an­der­setzen werden.

Paula bleibt dabei trotzdem die klare Haupt­figur dieses Films, auch wenn beide Charak­tere formal gleich­be­rech­tigt sind. Aber es geht um sie, eine junge Frau (mit der sich vermut­lich auch die Regis­seurin iden­ti­fi­ziert), und um ihr deutlich ernsteres Problem: Zum Leben Ja sagen zu können.

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Der Maria­nen­graben, dies zur Erin­ne­rung, zieht sich durch den Grund des Pazi­fi­schen Ozeans und ist an seiner tiefsten Stelle unglaub­liche 11.000 Meter tief. Der Titel ist also ein Sinnbild. Aber für was genau? Für den Abstand, der uns von den Toten trennt? Oder für den Abstand zwischen den beiden Lebenden, der hier im Laufe des Films zu über­winden ist. Für die Tiefe des Gefühls, der Verzweif­lung des Verlusts?

In der dem Film zugrunde liegenden Roman­vor­lage (s.u.) hat es auch etwas mit »neuem Luftholen« zu tun: Das Anfangs­ka­pitel heißt »11.000« – in den folgenden Kapiteln wird die Zahl immer niedriger, bis sie im Schluss­ka­pitel schließ­lich bei Null landet. Eine Unent­schie­den­heit oder Unschärfe, die nicht gegen diesen Film spricht, sondern eher die Vielfalt des Terrains markiert, das er emotional abzu­ste­cken versucht.
Auch der Film von Eileen Byrne ist vieles: Eine Tragi­komödie vor allem, ein Roadmovie, ein Film über das Sterben und dadurch – wie das in der Natur der Sache liegt – auch einer über das Leben.

Und natürlich ist er eine Lite­ra­tur­ver­fil­mung: 2020 unmit­telbar vor Beginn der Corona-Pandemie erschien der Roman von Jasmin Schreiber. Das Buch der 1988 in Frankfurt geborenen Autorin ist ein Phänomen: Ein Debüt-Roman, dessen Erst­auf­lage noch vor Erscheinen ausver­kauft war, und der binnen weniger Wochen zum Best­seller wurde. Wahr­schein­lich passte Maria­nen­graben allzu perfekt in die pande­mi­sche Stim­mungs­lage. Zumal Schreiber, die studierte Biologin ist, vor Beginn ihrer Lite­ra­tur­kar­riere als Sterbe- und Trau­er­be­glei­terin gear­beitet hatte, und dies in einen viel­ge­le­senen Blog einfließen ließ.

Keine Frage, dass dies dann auch schnell das Interesse von Kino­pro­du­zenten wecken würde. Dass Maria­nen­graben trotzdem kein morbider Film geworden ist, ist vor allem das Verdienst der Regis­seurin und ihrer beiden Haupt­dar­steller.

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Viel­leicht liegt der Facet­ten­reichtum, den dieser Film auch im Vergleich zur Buch­vor­lage hat, an den sehr spezi­ellen Erfah­rungen, die die Regis­seurin Eileen Byrne mitbringt. Sie ist Luxem­bur­gerin, wurde 1984 geboren. Sie hat aber auch deutsche und britische Verwandt­schaft und mehrere Staats­an­gehö­rig­keiten. Das machte es ihr leicht, zunächst an der Univer­sität von Winchester Performing Arts zu studieren, dann Thea­ter­wis­sen­schaft, Musik­wis­sen­schaft und Kunst­ge­schichte an der Univer­sität München und schließ­lich ab 2007 an der HFF-Hoch­schule für Fernsehen und Film in München Filmregie.
In den letzten Jahren hat sich Byrne auch mehrfach und selbst­be­wusst in die film­po­li­ti­sche Debatte in Deutsch­land einge­schaltet: Zusammen mit zwei Regie-Kommi­li­to­ninnen von der HFF München initi­ierte sie im Frühjahr 2023 den Aufruf Angst Essen Kino auf, der direkt auf die deplo­rable Lage des deutschen Nach­wuchs­films Bezug nahm und stell­ver­tre­tend für ihre Kolle­ginnen und Kollegen die Kunst der Regie und deren Vorrang gegenüber anderen Gewerken vertei­digte, deren Eigenwert in der sehr auf Produk­tion und Dreh­buch­hand­werk fixierten deutschen Debatte zunehmend margi­na­li­siert zu werden droht.
Angst Essen Kino auf bekam eine Menge, nicht nur mediale, Aufmerk­sam­keit. So konnten die Initia­to­rinnen über 1000 Unter­schriften für den Aufruf gewinnen, unter anderem von etablierten Größen wie Marga­rethe von Trotta, Caroline Link, Volker Schlön­dorff und Dominik Graf. Für dieses Enga­ge­ment, so Byrne freimütig, habe ihr die Luxem­burger Staats­bür­ger­schaft sehr geholfen – denn im Gegensatz zu ihren deutschen Kolle­ginnen und Kollegen, die allzusehr von der Gunst der mächtigen Fern­seh­an­stalten und Förder­insti­tu­tionen abhängen und Jahre brauchen, um ein Filmdebüt zu finan­zieren, habe sie es in Luxemburg sehr leicht, lobte Byrne die Luxem­burger Film­för­der­be­din­gungen beim Frank­furter Kongress »Zukunft Deutscher Film«. Maria­nen­graben wurde in Luxemburg, in Südtirol und in Öster­reich gedreht.
Nach ihrem HFF-Abschluss­film (Was bleibt von 2018) ist Maria­nen­graben nun ihr erster Lang­spiel­film.

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Trotz seiner schweren und schwer­blü­tigen Thema­tiken Trauer und Tod ist das Ergebnis eine leicht­ge­wich­tige Film­erfah­rung geworden.

Nicht jeden wird der Humor des Films anspre­chen: Ihn reprä­sen­tieren, parallel zu den beiden unglei­chen Menschen, zwei ungleiche Tiere: Ein Hund und ein Huhn. Das gibt es schon im Roman, im Film wirkt es zu »behauptet« und aufdring­lich »originell«.

Alles in allem ist Maria­nen­graben ein Film, der in vielem gelungen ist, ohne filmisch heraus­zu­ragen, und am Ende viel­leicht als Phänomen und Beispiel für die unter­grün­dige Melan­cholie unseres Zeital­ters, besonders der unter 30-jährigen »Gen Z« inter­es­santer ist, denn als Kinokunst.
Er ist solide insze­niert, ein bisschen sche­ma­tisch und in vielem nicht wirklich neu, viel­leicht auch ein bisschen zu sehr von seinem Thema einge­nommen, aus dessen Illus­trie­rung er sich nicht wirklich lösen kann. Die beiden Haupt­dar­steller Luna Wedler und Edgar Selge aber retten vieles. Mit ihren über­zeu­genden und schon für sich sehens­werten Auftritten bringen sie jene Elemente des Über­schuss und Exzess in den Film, ohne den Kinokunst nicht atmen kann – Luftholen ist auch hier lebens­not­wendig.