Deutschland/CH/F 2016 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Koch Drehbuch: Michael Koch, Juliane Großheim Kamera: Bernhard Keller Darsteller: Margarita Breitkreiz, Georg Friedrich, Olga Dinnikova, Sahin Eryilmaz, Dimitri Alexandrov u.a. |
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Deutlich sozialrealistische Anleihen |
Nein, mit der Polizei will Marija nichts zu tun haben. Die Polizei, sie ist – wie die Chefs, wie die Arbeitgeber – kein Freund und Helfer hier, sondern ständige Bedrohung und mitunter Komplize der Gefahr. Auch wenn die Staatsfunktionäre nicht korrupt sind, treten sie auf als Störenfriede: Als Kontrolleure der Arbeitsverhältnisse, als Ausländerbehörde, als Zerstörer der kleinen Hoffnungsschimmer, die am Horizont auftauchen.
Also nimmt die junge Frau es hin, wenn ihr Unrecht getan wird, wenn sie wieder einmal ausgebeutet wird. Für vier Euro die Stunde arbeitet sie als Putzfrau – in einem Hotel, dass billige Betten an Geschäftsreisende vermietet, die natürlich mehr zahlen könnten, aber nicht wollen. Marija ist das letzte Glied in einer Kette von Preis-Dumping, in der das Geld immer billig bleibt. Was die Kunden einsparen, das fehlt der jungen Frau, die als illegale Arbeitskraft jobbt. Aber wenn es sie nicht gäbe, hätten die Reicheren niemanden zum Ausbeuten, könnten die Konzerne nichts einsparen auf ihre Kosten.
Auch sonst ist die Welt dieser jungen Frau im Zentrum dieses Films, die zunehmend zu einer Heldin wird, einer universalen Heldin des Überlebens, bevölkert mit Störenfrieden. Etwa wenn der Vermieter der illegalen Wohnung, in der die Frau wohnt, wieder die Miete kassiert, und kleine Extras in Form sexueller Dienstleistungen einfordert.
Marija ist eine junge Ukrainerin. Sie lebt in Dortmund, hat keine Amtspapiere, sucht und findet Arbeit unter dem Radar der Behörden, schlägt sich irgendwie durch. Nebenjobs. Aushilfsjobs. Illegale Jobs. Ausbeutung ist überall. Sie ist so, wie man Ausländer gern hat in Deutschland: fleißig, willig. Die Verhältnisse, die sind halt so. Zu den Verhältnissen gehört, dass Marija intelligent ist und gut aussieht – das eröffnet ihr Möglichkeiten, die nicht jede hat. So beginnt sie nach einigen Zwischenstationen als Escort-Girl zu arbeiten.
Sie will keine Geschenke. Auch diese Einsicht gehört zu dem Portrait einer selbständigen Frau, das allerdings gegen den Strich gebürstetet ist. Marija weiß von Anfang an, was sie will, aber sie weiß noch nicht, wie sie es erreicht. Sie emanzipiert sich zunehmend, jedoch in einer Welt, die das nicht will und nicht zulässt.
Zu Beginn des Films ist sie passiv, im Lauf der Handlung entwickelt sie sich zunehmend zu einem Menschen, der sein Leben selbst in die Hand nimmt, der andere ausbeutet, ausnutzt. Sie hat keine andere Chance. Der Kampf ums Geld – der prägt in einer neoliberalen Marktwirtschaft, in der keiner in der zweiten Reihe stehen möchte, jeder ständig darum kämpft, etwas mehr und in jedem Fall nicht weniger zu haben als die anderen.
Doch Marija, das Spielfildebüt des Schweizer Regisseurs Michael Koch, Absolvent der Kölner Kunsthochschule für Medien, ist auch das realistische Portrait eines Deutschlands, das sich unter dem Radar unseres Blickfelds befindet: des Lebens der Migranten.
Wir sehen, wie ein Mensch, weil er von den Verhältnissen zur Illegalität gezwungen wird, üppige Sozialabgaben bezahlt – aber nicht an den Staat, sondern an Schieber und alle Konzerne die von diesen Verhältnissen profitieren. Wir erfahren, wie man als jemand ohne offizielle Papiere Anträge für Kindergeld stellt und sich ohne Krankenversicherung vom Arzt behandeln lässt.
Wir sehen dann auch, wie Marija zu verstehen lernt, dass man in ihrer Welt nicht durch Anstand etwas werden kann, sondern nur durch Kriminalität. So lernt sie einen Kleingangster kennen, der auf dem Bau ihre Hilfe brauchen kann. Doch das illegale Geschäft fliegt auf – und wieder einmal muss Marija von vorn anfangen. Und sich zugleich fragen, ob sie sich nicht am besten allein durchsetzt, ohne Rücksicht auf andere.
So ist dieser Film auch das Portrait einer Welt, in der der Einzelne von den Verhältnissen abgerichtet wird, um zu funktionieren.
Einer Welt die aus Phasen der Ausbeutung besteht, und einer Frau, die sich nicht länger ausnutzen lassen will.
Marija wird getragen von der Hauptdarstellerin Margarita Breitkreiz, die man von der Bühne der Berliner Volksbühne kennt. Sie steht in der Tradition eines Kinos des sozialen Realismus – aber aufgeladen, und hierin viel mehr von den Dardenne-Brüdern inspiriert, als von Ken Loach.
Ein Frauenportrait, das an die großen Frauenportraits des Autorenfilms anknüpft und stellenweise die universale Kraft eines Films von John Cassavettes erreicht.