Polen 2018 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Malgorzata Szumowska Drehbuch: Malgorzata Szumowska, Michal Englert Kamera: Michal Englert Darsteller: Mateusz Kosciukiewicz, Agnieszka Podsiadlik, Malgorzata Gorol, Anna Tomaszewska, Dariusz Chojnacki u.a. |
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Provinzsatire |
Polen auf dem Land. Der größte Spaß der Bevölkerung sind die regelmäßigen Sonderverkäufe wie ein »Stampede-Weihnachts-Schlussverkauf« für Unterhosen. Die Jugend vergnügt sich mit Pop-Konzerten in der Dorfdisco am Samstagabend und dem dazugehörigen Wodka-Gelage. Der katholische Priester predigt am Sonntag dann in die noch zugedröhnten Bauern-Hirne.
Ansonsten traurige Gesichter, die sich zuhause um die Wahl des Fernsehprogramms streiten.
Nur einer ist anders: Die Hauptfigur Jacek, ein junger Mann, der sich als Rocker fühlt und am liebsten Heavy Metal hört. Jacek will vor allem eines: weg, nach England. Er hält es in dieser spießigen repressiven Atmosphäre kaum noch aus.
Die Maske beginnt als leichtgewichtige, mitunter geradezu alberne Satire über Provinzialismus und Konsumismus. Man fühlt sich an den Briten Ken Loach und seine Art des sozialrealistisch grundierten politischen Witzes erinnert.
Die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska gehört zu den interessantesten Filmemacherinnen Europas. Ihre gedankenvollen, trotzdem mit scheinbar leichter Hand und voller ironischem Humor inszenierten Filme haben nichts gemeinsam mit den schwerblütigen ihres Landsmanns Pawel Pawlikowski, der mit Ida und Cold War zwar schon zweimal für einen Auslands-Oscar nominiert war – aber trotzdem für ein vergleichsweise altmodisches, getragenes, und prätentiöses Kino steht.
Szumowskas Die Maske ist typisch für den Stil der Regisseurin: Eine Satire über Provinzialismus, Konsumterror und Katholizismus.
In losen Szenen entwirft sie ein absurdes und sehr komisches Panorama des Gegenwartspolens. Die Abgründe dieses Lebens sind allerdings untergründig immer präsent: Antisemitismus in Witzen über Juden und Rassismus, etwa wenn ein Hund hier »Zigeuner« genannt wird.
Auch katholische Bigotterie ist allgegenwärtig: Denn diese Gemeinde – diese Episode basiert auf einem realen Fall – hat es sich in den Kopf gesetzt, auf einer Bergkuppe eine riesige Christus-Statue zu
bauen.
Dass da noch etwas passieren wird, kann man auch als unerfahrener Kinogänger schon bald ahnen. Denn Jacek, der bei den Bauarbeiten der Christusstatue als Hilfsarbeiter beteiligt ist, hat einen schweren Arbeitsunfall. Danach ist sein Gesicht brutal entstellt und er komplett verändert: Er kann nicht richtig reden und hat ein vernarbtes Gesicht. Ein polnischer Frankenstein.
Im polnischen Original heißt der Filmtitel »Twarz«, also »Fratze«. Denn im folgenden geht es darum, wie die Gesellschaft im Dorf auf den monsterhaft entstellten Mann in den eigenen Reihen reagiert. Nach einer ersten Mitleidswelle kommt es zu Distanzierungen. Dann tritt Jacek in einer billigen Fernseh-Show auf, die sein Schicksal verkitscht und vermarktet.
Malgorzata Szumowskas Provinzsatire über einen Heavy-Metal-Fan, der sich mit der katholischen Kirche anlegt, verfügt über ein perfektes komödiantisches Timing. Eine Kritik von polnischer Bigotterie, tiefkatholischem Aberglauben und Kaltherzigkeit. Und eine zerstreutes satirisches Dauerfeuer.
Die Maske zeigt ein bestimmtes, enges soziales Gefüge und konfrontiert das dann mit einer schweren Erschütterung. Immer wieder werden einzelne Gesellschaftsbereiche ins Visier genommen, seien es die Kirche, das Fernsehen oder die Konsumkultur. So will ein Kosmetikhersteller mit Jaceks entstelltem Gesicht eine Gesichtssalbe bewerben. Provinzpolitiker wollen Wasser auf ihre politischen Mühlen gießen.
Die Maske fängt großartig an, als Farce über Polen, das Polen der Gegenwart, das gerade von Rechtspopulisten, katholischen Fundamentalisten und kryptofaschistischen Antisemiten von Europa weggeführt wird. Erst gegen Ende driftet der Film allzusehr ins Sentimentale ab und bekommt Züge eines kitschigen Melodrams.
Was bleibt, ist die mitreißende Erlösungsvision der Popmusik – ein Gegenbild zu der starren Wuchtigkeit der Jesusstatue, deren symbolische Monumentalität das Polen von heute verkörpert.