Großbritannien 2018 · 125 min. · FSK: ab 12 Regie: Josie Rourke Drehbuch: Beau Willimon, John Guy Kamera: John Mathieson Darsteller: Saoirse Ronan, Margot Robbie, Thom Petty, Guy Pearce, Angela Bain u.a. |
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Lady Bird Saoirse Ronan ist Queen of Scots |
Die unglückliche Maria Stuart (1542-1587) und ihr Schicksal haben das europäische Publikum seit jeher fasziniert: Schon ihre Zeitgenossen staunten über die unglaublichen Ereignisse dieses Monarchenlebens. Je nach politischer und religiöser Einstellung nahmen sie mit Hass oder Mitleid am Schicksal jener Frau teil, die eigentlich Königin von Frankreich hätte werden sollen und sich durch unglückliche Schicksalsschläge erst auf dem schottischen Thron, und dann irgendwann unter dem Schafott der Engländer wiederfand. Nach zahlreichen früheren Verfilmungen des Stoffes – unter anderem spielten Katharine Hepburn, Zarah Leander und Vanessa Redgrave die schottische Königin – bietet jetzt die britische Theaterregisseurin Josie Rourke eine aktuelle Interpretation des historischen Stoffes.
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Am Anfang ist Staunen. Ein paar kleine Boote landen verloren am windigen Strand der schottischen Küste. Die Königin küsst die Erde, ihr Gefolge parliert nur Französisch und die armen Fischer in der Nähe gucken verdattert. Nur die Monarchin selbst scheint zu wissen, was sie will. Begeistert blickt sie auf die Schönheit der Highlands, klar sind ihre Gesten und ersten Manöver, selbstbewusst hält sie ihre Rechte nach unten, um ihren Bruder, seit vielen Jahren Regent ihres Reiches für seine Schwester, zum Handkuss zu nötigen, der ihre Ansprüche anerkennt. Diese Entschlossenheit wird Maria Stuart im Spiel von Saoirse Ronan bis zum Ende nicht verlassen. Ronan, selbst Schottin, hat hier eine Rolle gefunden, die ihr offenkundig liegt, in der sie ihre bisher besten Auftritte – in Wer ist Hanna? und Lady Bird – verbindet, und in der sie alle ihre Talente ausspielen kann: Ihre Mary ist eine junge Frau voller Energie und Begeisterung, aber auch eine Herrscherin, die weiß, was sie will, die sich von Älteren und Männern nicht einschüchtern lässt. Und eine Monarchin, die kluge, überlegte Entscheidungen trifft, aber zugleich stolz an Prinzipien festhält, auch da, wo die Staatsraison anderes gebieten würde.
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Die Monarchie ist wieder in. Die Serie »The Crown« war ein Quotenknüller des Streaming-Fernsehens, im Kino liefen mit Victoria, Die Queen und zwei Filmen in denen Cate Blanchett als 'Virgin Queen' »Elizabeth« zu sehen ist, jeweils Filme über Königinnen sehr erfolgreich. Was auf den ersten Blick die befremdliche Frage provoziert, ob sich demokratische Zeiten möglicherweise heimlich nach Alleinherrschaft sehnen, ist vielleicht doch etwas einfacher zu erklären. Denn was auffällt: Fast ausnahmslos sind es britische Produktionen und die Briten sind nicht nur bekanntlich anders, sondern sie werden auch monarchisch regiert. Zum zweiten handelt es sich um Königinnen – weibliche Macht scheint historisch leichter darstellbar als an gegenwärtigen Beispielen. Wer würde schon gern ein Biopic über Theresa May ansehen? (Die eiserne Lady bekam jedoch schon ihren Film ab.)
Drittens wird hier immer wieder Privatheit betont, nicht Politik oder Macht. Nahezu alle genannten Stoffe praktizieren die Banalisierung des Charisma und damit auch die Charismatisierung der Banalität des ganz normalen Lebens. Es sind monarchische Geschichten, in denen dem Monarchischen die Aura, der zweite Körper ausgetrieben wird, monarchische Geschichten für eine krisengeschüttelte Demokratie, in der nur das Private noch Halt zu bieten scheint.
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Roukes Film heißt im Original Mary Queen of Scots, also Königin »der Schotten«, nicht »Schottlands«, was ein feiner Unterschied ist, den der Verleih nicht sehen möchte (oder nicht versteht?). Er konzentriert sich auf die wenigen Jahre, in denen Maria Stuart tatsächlich regierte: 1561 kam die 19-jährige als junge Witwe aus Frankreich, wo sie erzogen wurde, um französische Königin zu werden, zurück in ihr Geburtsland, um ihren Thron einzunehmen. Der wurde ihr von Anfang an von ihrem Halbbruder, vom störrischen schottischen Adel, von den protestantischen Fanatikern der Aufstandsbewegung von John Knox und von der englischen Königin Elizabeth I. streitig gemacht. Denn nach manchem damaligen Rechtsverständnis hatte Maria Anspruch auf den englischen Thron – ein politischer Sprengsatz in der Zeit der Religionskriege. Zwei Aufstände und ständige Intrigen spitzten die Situation zu, Marias Verhalten und zwei unkluge Ehen machten es für sie nicht leichter, und so eskalierte die Situation bis zu dem Punkt, an dem Maria nach nur sechs Jahren 1567 zur Abdankung gezwungen wurde und nach England fliehen musste. Dort lebte sie zwanzig Jahre in luxuriöser Gefangenschaft, bis sie des Hochverrats angeklagt und hingerichtet wurde. Über den Gehalt der Vorwürfe und die Rolle von Elizabeth I. streiten die Historiker bis heute.
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Diese komplizierten politischen Verhältnisse inszeniert Rouke dynamisch und verständlich. Trotzdem ist dieser Film vor allem eine sinnliche Erfahrung: Prachtvolles Design der Schauplätze, der Kostüme und des Make-up, eine kunstvolle Choreographie der höfischen Szenen mit ihrem komplizierten Zeremoniell verbinden sich mit offener Aktualisierung: Der Jugendlichkeit, der »liberté-egalité-fraternité« zwischen ihr und ihren engsten Vertrauten, den Hofdamen, die doch auch – wieder ganz historisch, ihre sexuellen Reize zur Spionage einsetzen. Fragwürdige Aktualisierung ist hingegen der Einfall, die Figuren in betonter ethnischer Diversität zu besetzen. Denn selbstverständlich gab es an den Höfen des 16. Jahrhunderts nicht annähernd so viele Schwarze und Asiaten, wie der Film zeigt. Dem Whitewashing wird hier ein Blackwashing gegenüber gestellt.
Dies ist ein Film, der spaltet. Denn weder sieht man ein »House of Cards« in historischem Setting, noch die Kinoversion von »The Crown«, vielmehr den Versuch, etwas über Frauen in der Gegenwart zu erzählen. Aber schon immer war Maria Stuart Projektionsfläche: Sei es wie bei Schiller für ein Gleichgewicht zwischen »Kopf und Herz«, wie bei Stefan Zweig für Gewissensmacht in Zeiten von Machtpolitik. Und heute, unter den Händen einer Regisseurin, wird die Zeit der konfessionellen Bürgerkriege eben zu einer Epoche der »Diversität«, in der »People of Colour« selbstverständlicher Bestandteil sind. Im Konflikt zwischen Maria Stuart und Elizabeth I. begegnet man zwei sehr verschiedenen Varianten weiblicher Macht. Zugleich wird die von Margot Robbie ebenfalls glänzend und facettenreich gespielte Elizabeth hier nie dämonisiert. Sie respektiert ihre Gegenspielerin jederzeit, ohne Spuren von Hass. Beide Frauen erkennen im Gegenteil Gemeinsamkeiten ihres Geschlechts in Verhältnissen, in denen Männer herrschten, und Frauen, seien es auch Königinnen, vor allem heiraten und Thronfolger gebären sollten. Mag derartiges filmisches »Empowerment« auch Zeitgeist sein – falsch ist es nicht.