USA 2019 · 137 min. · FSK: ab 6 Regie: Noah Baumbach Drehbuch: Noah Baumbach Kamera: Robbie Ryan Darsteller: Scarlett Johansson, Adam Driver, Laura Dern, Ray Liotta, Julie Hagerty u.a. |
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Und das Kind liegt dazwischen… |
»Woman good, man bad. Very modern and smart.« – Der Kommentar einer guten Freundin aus der Türkei, unmittelbar nach der Premiere von Marriage Story im Sommer in Venedig bringt den Film besser auf den Punkt, als ich es in einem langen Text könnte. Zumindest, wenn man sich klar macht, dass »smart« zwar vor allem ein Kompliment ist, aber nicht nur. Es bedeutet auch »schlau«, im Sinne von kalkuliert und berechnend. Wenn gegen diesen Film etwas einwenden möchte – und das möchte ich, denn mein »Bauchgefühl«, meine Intuition sagt mir, dass hier neben allem, was stimmt, auch ein paar Dinge nicht stimmen – dann dies: Der Film ist zu kalkuliert, und zu wenig überraschend, irritierend, provozierend. An wen richtet sich dieser Film. Außer an die Bildungsbürger? Das wäre mal eine Frage. Und wenn er sich an niemanden sonst richtete, wäre das schlimm?
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Eine zweite Vorbemerkung ist nötig: Netflix. Die Bösen. Es sind die Bösen. Wir haben alle Netflix, so wie wir alle bei McDonald’s essen, so wie wir alle Plastiktüten benutzen, und manche sogar gern. Aber sie sind die Bösen. Denn Netflix gräbt den internationalen Produzenten gerade das Wasser ab, weil sie mit Geld den Markt fluten, weil Netflix eigentlich schon tot ist, weil das Den-Markt-Fluten ihre einzige Chance ist, den neuen Konkurrenten von Apple, Disney, Warner noch eine Nasenlänge voraus zu bleiben, und sich vielleicht doch zu etablieren, wenn die anderen in diesem Vernichtungskrieg der Streaming-Dienste früher schlapp machen. Netflix jedenfalls, ein erklärter Feind des Kinos, hat diesen Film produziert und bringt ihn jetzt an wenigen Orten ins Kino. Besser als gar nicht, so muss man das sehen. Und appellieren: an die Vernunft, an die Ehre, an den Anstand und vor allem an die Lust des Publikums, von Euch Lesern, dass ihr begreift, dass dieser Film im Kino besser aufgehoben ist, und ihr das auch unterstützen müsst, damit es das Kino weiterhin gibt.
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»Was ich an Charlie liebe: Er liebt es, Vater zu sein. Es nervt schon fast, wie er darin aufgeht. Er weint schnell bei Filmen. Er versteht sich zu kleiden. Er sieht nie peinlich aus, was den meisten Männern schwerfällt.« »Was ich an Nicole liebe: Sie ist ne tolle Tänzerin, mitreißend. Sie ist eine Mutter, die spielt. Also richtig spielt. Sie macht tolle Geschenke.« Was mit solchen Lobeshymnen anfängt, ist trotzdem in der Krise. Denn die ganzen schönen Worte fallen im Büro eines Trennungsberaters...
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Es könnte eine Traumehe sein, und nicht nur weil Nicole und Charlie von Scarlett Johansson und Adam Driver gespielt werden, zwei unserer attraktivsten, sympathischsten Filmstars, zwei, die am ehesten an die goldene Zeit von Hollywood erinnern, als noch Leinwandgötter glaubwürdig und unironisch »uns alle« zu repräsentieren vermochten.
Aber Gott ist tot und die Leinwandgötter gibt es nicht mehr. Und darum ist auch die Ehe nicht mehr, was sie mal war. Sogar Bundeskanzler heiraten
heute vier- oder fünfmal, und Prinzessinnen lassen sich einfach scheiden anstatt wenigstens den Gatten oder zur Not sich selber umzubringen.
In der Postmoderne scheint alles profaniert und banal geworden, und die Ehe taugt heute weder fürs Melodram voller Kitsch und Herz-Schmerz, noch für eine Komödie à la Lubitsch, der einen seiner Filme einmal so beginnen ließ, wie sonst die allermeisten enden – mit einer Hochzeit.
Höchstens Albernheiten und Zynismus sind noch möglich, Woody Allen baut darauf den größten Teil seiner Karriere auf.
Und dann kommt so ein Film: Ein Melodram, das auch lustig ist, und vor allem für Erwachsene. Keine Klamotte, keine eindeutigen Witzchen. Sondern etwas ganz Ungewohntes: Geschmack.
Die Götter sind wieder auferstanden, zumindest für knappe zwei Stunden im Kino, zusammen mit großen Gefühlen, mit Kitsch und Stichen in die Magengrube und spontanem Auflachen, das nicht befreit, aber tröstet.
Wir lernen die zwei Hälften eines Ehepaares kennen, eines Ehepaares, das sich allmählich trennt. Auch dieser Film wird von seinem Ende aus erzählt, vom Scheitern einer Beziehung, der man als Zuschauer immer das Gelingen wünscht. und die von außen betrachtet, gut funktioniert. Aber von außen kann man Beziehungen eben nicht betrachten.
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Marriage Story ist ein überaus vielschichtiger Film zwischen Tragik und Humor. Es ist eine ganz banale Geschichte, aber gerade darum, weil hier etwas mit aus dem Leben gegriffen wird, und von Kamera, Regie, und den Darstellern erhöht wird, ist es tolles Kino.
Ein bisschen ist es auch ein voyeuristischer Film, der uns mit Innenansichten der oberen Zehntausend versorgt. Denn Nicole ist eine berühmte Schauspielerin, die davon träumt, nach ein paar Jahren Kinderpause ihre Karriere fortzusetzen. Und Charlie ist ein aufstrebender Theaterregisseur, der gerade vor dem Durchbruch am Broadway steht. Wer soll zurückstecken? Was geht vor? Darum geht es.
Es geht auch um Eitelkeiten: Was ist wichtiger: Die hohe, aber ein bisschen
elitäre Theaterkunst? Oder große, aber ein bisschen vulgäre Fernsehmassenunterhaltung?
An solchen Eitelkeiten, und an den Karrierewünschen und beruflicher Ambition zerbricht die Ehe – ganz banal, ganz normal wie gesagt im Zeitalter der Individualisierung.
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Manchmal ist der Film des New Yorker Regisseurs Noah Baumbach vielleicht fast ein bisschen zu routiniert – aber wem will man sein Können schon vorwerfen? Manche sehen Baumbach als »jüngeren Woody Allen« an, in jedem Fall ist er einer der begabtesten Regisseure seiner Generation. Zugleich aber einer, der zwar seit 1995 neun Filme gedreht hat (unter anderem Der Tintenfisch und der Wal, Greenberg, und Frances Ha), dem aber bisher der große Durchbruch versagt blieb. Baumbach ist ein Meister der Nuancen. Sein neuester Film ist eine bittersüße Tragikomödie – die uns zugleich viel über die Gesellschaft von heute erzählt, ihre hohen Erwartungen, Fallhöhen und unerfüllten Träume.
Wer kann, sollte sich diesen Film auf Englisch ansehen, denn es klingt doch alles im Original so viel besser, klüger, subtiler. Aber ansehen sollte man ihn sich auf alle Fälle. Marriage Story ist traurig und lustig, aufregend und tränenreich, ein hervorragendes, leider zu seltenes Beispiel von im besten Sinne altmodischen Kino.