Tunesien/B/D/F/S/TR 2020 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Kaouther Ben Hania Drehbuch: Kaouther Ben Hania Kamera: Christopher Aoun Darsteller: Yahya Mahayni, Dea Liane, Koen De Bouw, Monica Bellucci, Saad Lostan u.a. |
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Bemerkenswert und kurzweilig... | ||
(Foto: eksystent/S. Lehnert Filmdispo) |
Es ist ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Sam Ali ist Syrer, und der ist in seinem Land nicht aus politischen Gründen, sondern durch ein schieres Missverständnis und durch die Eifersucht eines Konkurrenten um seine Braut derart in Ungnade gefallen, dass er um sein Leben fürchten muss. Er muss nach Europa fliehen und zwar schnell.
Aber wie kommt ein Syrer nach Europa, wenn er nicht sein Leben auf der Flucht riskieren möchte?
»Ich könnte Ihnen einen fliegenden Teppich anbieten, um frei zu reisen...« – so beginnt eine Art Pakt mit dem Teufel. Die klassische Geschichte von Faust und Mephisto erhält in diesem Film eine neue Wendung. Denn Sam erhält zwar seine Freiheit in Form eines Tickets und Aufenthaltsvisums für Europa, und ein vergleichsweise bequemes Leben, aber nur im Tausch mit einem Vertrag. Der verpflichtet ihn, seinen Rücken für ein Tattoo-Gemälde des Künstlers Jeffrey Godefroi zur Verfügung zu stellen. Der mittellose Mann aus der Dritten Welt muss – sozusagen als lebendes Kunstwerk – diesen Rücken dann im Folgenden immer wieder in den Museen der ersten Welt ausstellen und zu Markte tragen.
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Der Teufelspakt ist also einer zwischen Kunst und Menschlichkeit, aber auch zwischen Geist und Körper eines Menschen, zwischen dem, was man sich zumuten möchte und was man tatsächlich ertragen kann.
Die Geschichte, so wie sie hier erzählt wird, ist zugleich vor allem auch eine über die Hybris der Kunst, über Arroganz und Anmaßung. Der Künstler als gottgleicher Schöpfer und Freiheitsgeber. Denn dieser Jeffrey Godefroi behauptet, dass Sam erst dadurch, dass er »durch mich zu einem
Kunstobjekt wurde«, nun imstande sei, »seine Freiheit und Menschlichkeit zurückzuholen.« Als ob er die je verloren hätte.
Dieser Aspekt des Drehbuchs ist tendenziös und fast schon am Rande der Kunstverachtung, weil er allen möglichen denkbaren Klischees entspricht, die Künstler als menschenverachtend, egoman und unmoralisch zeichnen wollen.
Es lenkt auch von den eigentlichen Fragen eher ab, genauso wie cartoonhafte Nebenfiguren (einschließlich der von Monica Bellucci gespielten Assistentin) und die melodramatische Rahmenhandlung des Ganzen, die Liebesgeschichte des Flüchtlings Sam,
die direkt aus einer Seifenoper zu stammen scheint.
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Die kurios und ausgedacht, allzu plakativ erscheinende Handlung wurde tatsächlich durch einen realen Fall inspiriert: Den des radikalen belgischen Künstlers Wim Delvoye, der 2006 den Rücken eines Mannes namens Tim Steiner tätowierte und dieses Werk seitdem in Museen und Galerien ausstellt. Im Jahr 2008 wurde das Kunstwerk »Tim« für 150.000 Euro an einen deutschen Sammler verkauft, der ihn angeblich zwei Jahre lang privat ausstellt. Eine Klausel im Vertrag zwischen Delvoye und seinem lebenden Gemälde besagt überdies, dass nach Tims Tod seine Haut entfernt und gerahmt wird.
Allein dieser Teil der Geschichte wirft endlose Diskussionen über Biomacht, Körperethik, Werte und die Grenzen der Kunst auf. Die Grenzen der Kunst und das Verhältnis von Kunst und Moral – diese beiden Themen sind für viele Kulturdebatten der letzten Jahre zentral.
Und es ist durchaus interessant, wenn der Film die Objektivierung von Flüchtlingen durch den gegenwärtigen künstlerischen Diskurs zum Thema macht und darauf hinweist, dass das Engagement der Künstler für die humanitären und moralischen Fragen dieser Welt keineswegs so selbstlos ist, wie diese es gerne erscheinen lassen. Dass der Kunstbetrieb in seiner zur Schau getragenen Betroffenheit oft genug Schicksale vor allem ausnutzt und sich selbst mit seinem öffentlichen guten Gewissen feiert. Denken wir nur an Ai Weiweis skandalöse Selfies mit Flüchtlingen auf Rettungsbooten im Mittelmeer.
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Dies ist der erste tunesische Film, der je für einen Oscar in der Kategorie internationaler Film nominiert wurde. Ein großer Erfolg für die tunesische Regisseurin und Drehbuchautorin Kaouther Ben Hania.
Ob die Entscheidung, die reale Geschichte durch den Bezug zu der Flüchtlingssituation und noch dazu durch die Ereignisse in Syrien gewissermaßen doppelt aufzupeppen, eine richtige ist, wage ich zu bezweifeln.
Denn die vielen grundsätzlichen Fragen dieses Films sind eigentlich hochinteressant: Wenn mein Körper mir gehört, was darf ich dann mit ihm tun? Darf ich ihn zu einem Kunstwerk machen? Darf ich ihn verkaufen? Darf ich dann vielleicht auch meine Niere verkaufen, um
dadurch zu Geld zu kommen?
Und umgekehrt: Hat die Kunst Grenzen? Warum eigentlich? Wann ist Kunst geschmacklos? Wann unmoralisch? Und wenn es so etwas gibt: Muss geschmacklose Kunst dann verboten werden? Muss sie auch dann verboten werden, wenn sie sogenannten »Opfern« und »Betroffenen« nutzt und von ihnen gewollt wird, nur weil sie das öffentliche Gewissen der Wohlstandsgesellschaften beschädigt?
Und vor allem: Wer entscheidet über all das?
Was bedeutet es, wenn Menschen
in Ware verwandelt werden? Ist es schlimm, wenn sie das werden? Und gibt es wirklich Menschen, die nicht auch in irgendeiner Weise Ware sind? Vielleicht ohne es zu merken?
Diese eigentlich interessanten und offenen moralischen Fragen bekommen alle in diesem Film aber doppelte Schlagseite. Und keine einzige von ihnen wird beantwortet.
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So ist Der Mann, der seine Haut verkaufte ein bemerkenswerter, kurzweiliger, im großen Ganzen gelungener Film aus einem Land, aus dem nur sehr wenige Filme nach Europa kommen. Die Fragen, die dieser Film aufwirft, sind allerdings ungleich spannender und faszinierender als der Film selbst.