Niederlande 2018 · 81 min. · FSK: ab 0 Regie: Robin Lutz Drehbuch: Robin Lutz, Marijnke de Jong Kamera: Robin Lutz Schnitt: Moek de Groot |
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Der Mathematiker als Künstler |
Wesen, die sich in die Unendlichkeit vergrößern oder verkleinern. Weiße Vögel, die in die Nacht und schwarze Vögel, die in den Tag hinein fliegen. Zweidimensionale Schemen die zu dreidimensionalen Figuren werden und dreidimensionale Figuren, die wieder zweidimensionale Schemen werden. Männer die eine Treppe herunter laufen und andere Männer, die in die Gegenrichtung hinauflaufen. Wasser, das gleichzeitig hinunter- und hinauf fließt. Räume mit Treppen deren Perspektiven nicht zusammenpassen wollen mit Bewohnern, die in unterschiedlichen geometrischen Welten leben. Strudelartig verzerrte Perspektiven und das Krempeltierchen, dass sich zu einer Kugel zusammenrollen kann:
Die fantastischen Welten von M.C. Escher faszinieren seit Generationen die Menschen. Wenig verwunderlich auch, dass diese oft unmöglich erscheinenden Grafiken besonders in den nach Bewusstseinserweiterung gierenden späten 1960er-Jahren in Mode kamen. Die quietschbunten Deckchen, Tassen und Poster mit Escher-Motiven fand Maurits Cornelis Escher jedoch ganz schrecklich. Zum einen stießen ihn die zahllosen in San Francisco gemachten unautorisierten Reproduktionen seiner Werke auf. Zum anderen fand er es überaus grässlich, seine Werke in Neonfarben zu sehen, die unter UV-Licht zu leuchten begannen. Schließlich hatte sich Escher lange Zeit ganz auf schwarz-weiße Grafiken konzentriert. Und auch als er in späteren Jahren mit Farbe zu experimentieren begann, blieb er dabei stets äußerst zurückhaltend.
Als ein sehr zurückhaltender Mensch tritt der Meister auch in M. C. Escher – Reise in die Unendlichkeit auf: In der Dokumentation von Robin Lutz ist der Künstler, der sich selbst lieber als Mathematiker bezeichnete, selbst der Erzähler. Anhand von Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Vorträgen erwacht der scheue Niederländer zum Leben und kommentiert sein eigenes Leben und Werk.
Lange Jahre hielt der Holländer sich in Italien auf. Von dieser Zeit zeugen zahlreiche Bilder mit imposanten Berglandschaften und mit pittoresken verschachtelten kleinen Bergstädtchen. Im Film werden immer wieder die Originalschauplätze und Eschers Bilder nebeneinandersetzt und ineinander überblendet. Dabei wird die Genauigkeit sichtbar, mit der Escher ans Werk ging.
Im Rahmen einer Spanienreise besichtigte Escher die Alhambra. Dort machte er zahlreiche Zeichnungen von den Ornamenten, bei denen Positiv- und Negativform gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Der einzige Wermutstropfen: Alle Formen sind rein abstrakt. Mit seiner großen Liebe zum Figürlichen machte Escher sich daran, nach dem gleichen Prinzip Bilder mit Vögeln, Fischen und Eidechsen anzufertigen.
Eine Eidechse aus dem Bild „Metamorphose II“ erwacht in dem Film zum Leben und krabbelt mal über und mal unter den einzelnen Bildflächen entlang bis sie auf ein zweidimensionales Gegenstück trifft und sich bei der Gelegenheit nahtlos in das Bild einfügt. Bei diesem Gang immer weiter nach rechts in dem schier ewig langgestreckten Bild wird auch deutlich, dass viele Bilder von Escher etwas Filmisches an sich haben. Der Künstler selbst war ein großer Bewunderer von Walt Disney. In dem Bild „Treppenhaus I“ erwacht wiederum das Krempeltierchen zum Leben – eine Eidechse, die sowohl krabbeln, als auch zur Kugel zusammengerollt durch die Gegend kullern kann. Das ist ein gelungener Kniff im Film. Schließlich ist das Bild selbst eine Bewegungsstudie – allerdings eine, die mit unmöglichen perspektivischen Verschränkungen arbeitet.
Interessant ist zudem, wie sich Escher im Film selbst zu Wort meldet. Einerseits kommen Dinge, wie seine ungebremste Begeisterung für Italien und die Alhambra zum Ausdruck. Auf der anderen Seite erleben wir einen Künstler, der selbst als er bereits berühmt geworden ist, auffallend selbstkritisch bleibt. Die Empfindung, die eine Idee in ihm hervorruft, sei immer stärker, als das, was er letztendlich auf Papier zu bringen in der Lage ist. Überhaupt seien seine Versuche stets ein Ringen mit dem Unmöglichen. Denn zu beschränkt seien seine zeichnerischen Fähigkeiten. Wer hätte gedacht, dass so jemand sprach, der für seine filigranen und teilweise fast fotorealistischen Grafiken berühmt ist?
Der niederländische Künstler Maurits Cornelis »M. C.« Escher, der von 1898 bis 1972 lebte, ist eine Ikone der Kunstwelt – und bis heute ein Rätsel. Seine Bilder, die auf den ersten Blick eher wie Graphik und reine Designprodukte wirken, wie flächiges Kunsthandwerk, bergen zahlreiche Geheimnisse und ungeahnte Tiefen.
Es sind unmögliche Bilder, die mechanisch dreidimensional nicht wahr sein können, aber doch als Bild in zwei Dimensionen funktionieren, und eine unmittelbar überzeugende sinnliche Gewissheit ausstrahlen – wie zum Beispiel jene berühmte Treppe, die über drei Stockwerke aufsteigt, um dann wieder am unteren Treppenabsatz anzukommen. »Drei Flächen der Welt überschneiden sich im rechten Winkel, und auf jeder leben Menschen. Zwei Bewohner verschiedener Welten können nicht auf der selben Ebene leben, denn ihre Auffassung davon, was horizontal und vertikal ist, ist nicht dieselbe. Allerdings können sie dieselbe Treppe benutzen, aber der eine nur aufwärts und der andere nur abwärts.«
Oft sind Eschers Werke auch Vexierbilder, wie jene Zeichnung eines Schwarms schwarzer Vögel, die über ein helles Feld fliegen, dass in der Mitte des Bildes allmählich in einen Schwarm weißer Vögel übergeht, der über ein dunkles Feld fliegt.
Jedenfalls sind Eschers Zeichnungen und Gemälde philosophische Rätsel und Paradoxien. In ihnen entfaltet der Maler eine komplizierte Dialektik von Schein und Sein, eine Meditation über das Potential, auch das Täuschungspotential der Bilder, das in Zeiten von Photoshop und digitaler Bildbearbeitung auch ganz aktuelle, bildpolitische Konsequenzen hat. Escher war mit seinen gemalten Kommentaren einer derjenigen, die darauf bestanden, dass das Bild immer nur ein Bild ist, und kein Gegenstand.
Seit jeher hat Eschers Kunst auch die Filmemacher fasziniert. Wer erinnert sich nicht an Inception von Christopher Nolan, in dem sich die Außenwelt auf einmal in eine zweidimensionale aufrollbare Tapete oder ein faltbares Pop-Up-Buch verwandelt, und wo auch die erwähnte unmögliche Treppe möglich wird?
Jetzt hat der Dokumentarfilmregisseur Robin Lutz einen Dokumentarfilm über Escher gemacht. Lutz ist Niederländer und hat schon einen Film über seinen Landsmann, den weltberühmten Philosophen Spinoza, gedreht.
In seinem neuen Film lässt der Regisseur Escher anhand seiner Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Vorträge ausgiebig zu Wort kommen. In der deutschen Version ist es Matthias Brandt, der Escher seine Stimme leiht. »Es ist ein Mischmasch, dem sämtliche
perspektivische Tiefe fehlt. Es ist und bleibt das Spiel eines Kindes. Und vernünftige Menschen dürfen das gerne für belanglos halten.«
Mitglieder seiner Familie, vor allem Eschers zwei Söhne, erzählen ebenfalls und als Bewunderer Eschers kommt auch der amerikanische Musiker Graham Nash zu Wort. Daneben erweckt der Regisseur die Vögel, Fische und Wesen der Bilder Eschers per Animation zum Leben. Sie treten aus den Bildern heraus und verschmelzen wieder mit ihnen. Ob einem das am Ende wirklich gefällt, bleibt wohl Geschmacksfrage – aber im Kino entfalten die Bewegung der Bilder große Wirkung.
Chronologisch folgt der Film dem Leben Eschers mit seinen verschiedenen Schaffensperioden. Es war ein Leben in konstanter Suche danach seinen skurrilen Gedanken und abgefahrenen Einfällen eine visuelle Form zu geben.
Es war auch ein auffallend kosmopolitisches, internationales Leben – lange Jahre verbrachte der aus vermögender Familie stammende Escher in Italien, in Spanien, der Schweiz und in Belgien; zeitlebens faszinierte ihn das Meer und Reisen über
Ozeane.
Lutz führt auch verschiedenste Inspirationsquellen für den Künstler vor, etwa die Musik Johann Sebastian Bachs, und vor allem die maurischen Ornamente der Alhambra von Granada:
Escher sprach von sich selbst nicht als Künstler, sondern als Mathematiker. Doch zugleich wurde er erst richtig in den sechziger Jahren populär, als Esoterik und Bewusstseinserweiterug »in« wurden, denen Eschers Werk Ausdruck zu geben schien. Mick Jagger, David Bowie und die Hippies liebten Eschers Bilder.
So ergibt sich ein Porträt, das Einblick in die Arbeit eines unergründlichen Genies und eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts bietet.