USA 2010 · 102 min. · FSK: ab 6 Regie: Kelly Reichardt Drehbuch: Jonathan Raymond Kamera: Chris Blauvelt Darsteller: Michelle Williams, Bruce Greenwood, Will Patton, Zoe Kazan, Paul Dano u.a. |
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Männer zweifeln, Frauen handeln |
Irgendetwas ist hier anders. Anders als in anderen Western. Ist es schon die minimalistische Anlage des Plots? Drei Planwagen und ein Führer ziehen durch eine staubtrockene Landschaft in Oregon, drei Paare und ein Kind. Die Stimmung ist schlecht. Ihr Führer, Stephen Meek, hat eine Abkürzung genommen, aber aus zwei Wochen sind fünf Wochen geworden und nicht nur das Wasser, auch das Vertrauen in die Scout-Künste Stephen Meeks geht zur Neige. Ein Indianer taucht auf und wird als unfreiwilliger Ersatzführer inauguriert. Was die Zweifel der Betroffenen allerdings nicht beseitigt, sondern in eine vollkommen neue Dimension verschiebt.
Das ließe sich durchaus klassisch inszenieren. Auch ohne die eigentliche, nicht reduzierte Begebenheit amerikanischer Geschichte zu bedienen, in denen es 200 Planwagen mit tausend Siedlern sind, die sich auf Meeks Vorschlag einlassen, die strapaziösen Blue Mountains durch eine erstmals gewählte Abkürzung zu umgehen.[1]
Aber Kelly Reichardt variiert in Meek’s Cutoff nicht nur die Handlung, sondern besetzt die Schwerpunkte des Genres faszinierend anders – der wohl eigentliche Grund für dieses sehr andere Westerngefühl, in dem einem die bekannten Stereotype und Erwartungshaltungen durch gnadenlose historische Präzision wie ein entzündeter Blinddarm entfernt werden. Das tut weh und manch einer wird sich mit dieser neuen Perspektive kaum anfreunden können. Eine Perspektive, unter der Männer nicht nur zweifeln, sondern auch schwach sind, in denen Frauen die eigentlichen, handlungstragenden Dialoge führen und per Du sind. Der eigene Mann wird – historisch korrekt (wir schreiben das Jahr 1845) – mit seinem Familiennamen adressiert und dementsprechend distanziert angegangen.
Die ruhige, gelassene, manchmal fast dokumentarische Inszenierung erinnert dabei zeitweise an Andrew Dominiks Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford oder an Michael Ciminos Heaven’s Gate – Das Tor zum Himmel, aber nur in Ansätzen: Kelly Reichardt verweigert sich nicht nur einem handlungstragenden Soundtrack, auch handlungstragendes Personal wird konsequent vermieden. Es sind nicht gealterte Banditen, die im Vulgärslang daherkommen, ausgezeichnete, faszinierende Persönlichkeiten jedweder Couleur. Es sind vielmehr normale Menschen, die für Abenteuer im Grunde nichts übrig haben – Spiesser einer anderen Zeit, deren bildungsferne Sprachlosigkeit durch ihre Ängste und Zweifel noch einmal verstärkt werden und die die gelegentlichen verbalen Ausbrüche ihres Führers Meek schließlich ganz zum Schweigen bringen.
Bei soviel Dekonstruktion scheint es fast kaum mehr möglich, vom eigentlichen Genre »Western« zu sprechen, denn sogar die großartig fotografierten Landschaften wirken anders, fast überwirklich. Aber kaum werden sie von den Siedlern in ihren zunehmend verschmutzen Kleidern durchquert, entsteht eine Poesie, die so überraschend aufblitzt und wieder verebbt wie in Harks Bohms frühem, in Bayern gedrehten Western Tschetan der Indianerjunge.[2]
Aber Kelly Reichardts gelingt noch mehr. Ihre faszinierende Reduzierung der Handlung und die zeitreiseartige Wirklichkeit der skizzierten Vergangenheit erzeugen einen brennglasartigen Effekt, in dem das Gestern beängstigend an die Krisengegenwart unseres Heutes erinnert. Oder um es in Stephen Meeks eigenen Worten zu formulieren: »Wir haben uns nicht verirrt, wir suchen nur nach dem richtigen Weg.«
[1] Weitere Informationen zum historischen Verlauf dieses Trecks und Meek Cutoff.
[2] Hier ein kurzer Abriss zu Hark Bohms Erstlingswerk.