Deutschland 2019 · 111 min. · FSK: ab 12 Regie: Mariko Minoguchi Drehbuch: Mariko Minoguchi Kamera: Julian Krubasik Darsteller: Saskia Rosendahl, Edin Hasanovic, Julius Feldmeier, Hanns Zischler, Emanuela von Frankenberg u.a. |
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Diese wunderbaren Momente des Einhaltens |
Ein verspielter, musikalischer Liebesthriller, eine Geschichte der Doppellungen und Entsprechungen. Im Zentrum steht eine junge Frau zwischen zwei Männern: Sie heißt Nora, ihre Freund Aron – sein Name ist also ihrer von hinten gelesen. Der Dritte im Bunde heißt Natan, also ein Palindrom. Derart spielerisch und dabei ganz leicht und natürlich ist vieles in diesem Film.
Es ist der Nachmittag vor einer Mondfinsternis. Den Blutmond wird Nora dann später allein sehen. Auch sonst spielt das Wetter eine Rolle, vor allem der Regen, der immer wieder auftaucht, zumeist in entscheidenden Situationen. Der Regen reinigt nicht in diesem Film, er tröstet nicht.
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»Ach was ich dich noch fragen wollte...« beginnt Aron einen Satz, bevor er jäh unterbrochen wird. Bald darauf liegt der junge Mann in seinem Blut am Boden und haucht zur Geliebten seine letzten Worte: »...Dein Anfang«.
Es ist schon dieser Beginn des Films ein überaus romantischer Moment, ein zugespitzter Augenblick filmischer Grenzerfahrung, in dem die Empfindungen der Figuren und des Publikums für Sekundenbruchteile in eins fallen: Es ist etwas Fürchterliches geschehen, das unsere Vorstellungskraft sprengt, das wir ganz noch nicht zu erfassen vermögen, aber fühlen können wir es. Und hier, in der Entfesselung der Empfindung, liegt die Kunst der Regie bei »Mein Ende. Dein Anfang«. Mariko
Minoguchi, die auch das Drehbuch für ihr Filmdebüt geschrieben hat, bietet viele solcher herausgehobener Augenblicke, kleiner Überschreitungen und Entgrenzungen. Mal ist es das furchterfüllte Flehen eines Vaters, dessen Tochter wie aus dem Nichts auf dem Spielplatz zusammengebrochen ist, ein Paar, das durch die Stadt rennt, mal ein Taumel am Rande einer vielbefahrenen Straße, aber auch ein einfühlsam-humorvoller Trost in einer Minute existentieller Angst. Oft regnet es, oft
sind diese Momente mit Musik verbunden: Einmal sieht man den von Edin Hasanovic gespielten Natan in einer Karaokebar ein Lied singen. Er tut das nicht richtig gut, aber dennoch echt und berührend, und das fühlt seine neue Bekannte Nora. Da bricht ihre Verzweiflung in stummen Tränen aus ihr heraus. Oft sind es auch nur kurze Blicke, in denen die ganze Intensität dieses Films enthalten ist. Oder eine der großartigsten Szenenfolgen: Nora, die am Nachmittag ihren Freund Aron verlorenen hat,
und trotzdem zur Arbeit gegangen ist, läuft in voller Absicht und voller Wucht ungebremst gegen eine Stahltür um im einen Schmerz den anderen zu betäuben. Dann ein Schnitt und wir sehen Nora und Aron zum »Münchner Freiheit«-Schlager »Ohne Dich« tanzen und den Text stumm dabei mitsingen. Dann wieder ein harter Schnitt, und plötzlich sitzen Natan und seine Tochter im Krankenhaus und erhalten die schockierende Leukämie-Diagnose: »30-50 Prozent Heilungschance.« Katrin Röver spielt in einem
phänomenalen Nebenauftritt diese Ärztin als Ausbund trockener Nüchternheit, die den Schrecken durch Sachlichkeit zu bannen versucht.
Da bekommt das Erschütternde einen Witz, wie er nur im Angesicht der Katastrophe möglich ist.
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A-chronologisch erzählt Minoguchi ihre Geschichte, offen orientiert an Dramaturgien, wie sie Alejandro Gonzsalez Innaritu (21 Grams) und vor allem Christopher Nolan (Inception) in den letzten 15 Jahren perfektioniert haben. Gewissermaßen theoretisch eingeführt wird in den Aufbau des Films durch die Anfangsszene, in der Aron, ein begabter Physikdoktorand bei einer Vorlesung über die Erfahrung des »Deja Vu« philosophiert, und dieses »naturwissenschaftlich« aus der Signatur der Raumzeit zu erklären versucht: In Träumen und Deja Vu’s erinnern wir uns an unsere Zukunft.
Die Relativitätstheorie, die hier im Folgenden entfaltet wird ist allerdings eine der Liebe. Denn das idealer Paar Nora und Aron, das man hier in den ersten Minuten kennenlernt, wird bald darauf, durch einen Schuss bei einem Banküberfall jäh auseinandergerissen. Von nun an zeigt Mein Ende. Dein Anfang in Zeitsprüngen einerseits die Vorgeschichte beider Liebe. Zugleich zeigt sie, wie Nora an den Tagen danach Trauer, Schmerz, Wut und Rachegedanken in Clubs betäubt. Da lernt sie Natan kennen, der ganz anders ist, als Aron, aber auch ein Verlorener, Gepeinigter – womöglich durch die Sorge im seine Tochter. Aber da ist noch etwas anderes, ein oder zwei Geheimnisse, die beider Verhältnis von Grund auf neu neu justieren werden.
Dies ist ein Film, der einen großen Bogen schlägt, und dabei von vielen kleinen Details lebt. Es geht um zwei Menschen, die sich in ihrer Verzweiflung finden. Es geht um Nora, eine Frau zwischen zwei Männern – was die a-chronologische Erzählung noch betont –, und darum wie man mit einer traumatischen Erfahrung umgeht.
Es geht um Paradoxa wie sie das Deja Vu vor Augen führt: Nora sagte einmal zu Aron »Nichts ist für immer.« Er antwortete: »Alles ist für immer. Zufälle
sind nur ein Mangel an Information.« Und weiter: »Alles was du gemacht hast, hat Dich genau hierher geführt.« Konsequent zu Ende gedacht hieße dies: Noch Arons Tod dient dazu, dass Nora das tun kann, was auf ihn folgt. Stirbt Aron, um ein anderes Leben zu schenken?
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Ins Bild gefasst ist das durch »Schrödingers Schrank«, in dem Porzellanteller derart angeordnet sind, dass sie beim Öffnen sofort herausfallen müssen: »Die Teller sind eigentlich schon kaputt, obwohl sie noch heil sind.« Das erinnert an das reale quantenphysikalische Beispiel von »Schrödingers Katze« und ist doch auch ein guter Witz.
Handwerklich arbeitet die Regisseurin vor allem mit konsequentem, intensivem Tempo. Mit kurzen subtilen Signalen, wie einem Finger, um den ein Pflaster gewickelt ist, hilft sie bei der Orientierung im Zeitraum. Ihr zur Seite steht ein bis in die Nebenrollen überdurchschnittliches Ensemble, in dem allerdings Saskia Rosendahl überragt. Sie ist die Herzkammer in diesem Film und seiner präzisen Konstruktion. Rosendahl vermag es, in jedem ihrer Filme eine ganz andere Facette zu zeigen: Hier ist es eine Mischung aus Erschütterung und Unverwüstlichkeit: Ihre Verwundung ist immer zu sehen, und zugleich ist ihre Nora nicht zuletzt ein ganz normaler Mensch ohne Kapricen.
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Mein Ende. Dein Anfang ist ein großer Wurf. Unbedingtes Kino, das mehr will, als die fernsehdominierten Dramaturgien und Ästhetiken in Deutschland gemeinhin zulassen. Man sieht diesem Film an, dass Minoguchi – eine versierte Autorin, die auch für andere Regisseure Drehbücher schreibt – nicht an einer Filmhochschule studierte, sondern eine Autodidaktin ist, die vor allem dadurch gelernt hat, dass sie viele Filme gesehen hat.
Auf die Empfindung folgt, nicht als ihr Gegenteil, sondern ihre Fortsetzung der Gedanke. Dann, im Nachdenken über diesen Film, könnte einem auffallen, dass der Name Natan ein Palindrom ist, genau wie der seiner Tochter Ava. Wie auch Nora und Aron, wenn man sie zusammenliest. Unverbunden aber, und so wird sich der ganze Sinn von Titel und Beginn erst am Schluss erschließen, ist sein Name ihrer von hinten gelesen – so wie der Zeittunnel nach Arons physikalischer These in beide Richtungen durchschritten werden kann.
So ist Minoguchis Film selbst von zwei Richtungen lesbar: Ein Liebesthriller, den man nicht übersehen darf, avantgardistische Unterhaltung, die herausfordert, indem sie dort unterhält, wo man es am wenigsten erwartet.
Nun kommt endlich einer der besten Filme eines ohnehin herausragenden Jahrgangs der Reihe Neues Deutsches Kino des 37. Münchner Filmfests in die Kinos. Wir hatten bereits in einem Video-Special über diesen außergewöhnlichen Jahrgang gesprochen, der sich vor allem über eine ungewöhnlich starke Gewichtung an Frauen auszeichnete, die ihr Leben auf meist unkonventionelle Art wieder selbst in die Hand nehmen, sei es im hohen Alter (Lara), über Grenzen hinweg (Es gilt das gesprochene Wort), beruflich und privat (Golden Twenties, Bruder Schwester Herz) oder auf der ganz basalen Ebene unseres immer knapper werdenden Wohnraums (Sterne über uns).
Auch Mariko Minoguchis Debüt Mein Ende. Dein Anfang verfolgt mit einer großartigen Saskia Rosendahl (Wir sind jung. Wir sind stark., Werk ohne Autor) in der Hauptrolle eine Frau, die fällt und wieder aufsteht. Die ihren Traum vom Leben, in diesem Fall ihre große Liebe, bei einem Raubüberfall verliert, und dennoch weitermacht. Minoguchi bietet ihrer Nora für ihre »Selbstwerdung« aber weit mehr als nur das Kriminaldrama eines Raubüberfalls. Denn über eine facettenreiche, nicht linear, mit zahlreichen Zeitsprüngen operierende Handlung erzählt Minoguchi mal trauwandlerisch, dann wieder sezierend auch von der Liebe, und zwar einer Liebe in München und findet dafür München-Bilder, die schon lange nicht mehr im Kino zu sehen waren. Seien es die alten, blauen U-Bahnen bei der ersten Begegnung zwischen Nora und Aron oder das Grau des Münchner Alltags, das eigentlich alle Figuren in diesem Spiel mal einfängt, das sich mal in den privaten Räumen, aber vor allem in den Außenräumen abbildet, mal als regennasse Straße vor einer Bank oder im Kassierbereich eines Supermarktes oder eben in den unscheinbaren Straßen Münchens, von deren Leuchten bislang noch nie erzählt wurde.
Aber Mein Ende. Dein Anfang. ist nicht nur schön, verträumt und tragisch, sondern auch eine komplexe Geschichte über Schuld und Sühne, Vergessen und Vergeben, der es außerdem noch gelingt, ein paar quanten- und relativitätstheoretische Ideen so geschickt und sinnvoll in die Erzählung zu integrieren, dass man spätestens an dieser Stelle verblüfft und ungläubig die Tatsache beiseiteschieben muss, dass das tatsächlich ein Debütfilm sein soll.
Doch Minoguchi erzählt nicht nur souverän eine romantische, tragische Geschichte, sondern hat immer wieder auch den erzählerischen Mut den Erzählfluss und vor allem ihre Erzählhaltung zu hinterfragen und sie mit Profanität zu brechen. Mal mit zeitlichen Brüchen, dann aber vor allem mit einem fast schon brutalen Einsatz von Arbeitsalltagsattributen, die in dieser zärtlichen Wucht ein wenig an Thomas Stubers In den Gängen erinnert. Und dann sind da noch diese wunderbaren, fast lyrischen Momente des Einhaltens, wenn die Bilder plötzlich stehen, etwa wenn Minoguchis Nora plötzlich mit ihrem Kopf an einer Scheibe lehnt und die einzige Bewegung ihr Atem ist, der an der Scheibe kondensiert und wieder verschwindet, kondensiert und wieder verschwindet.