Deutschland 2008 · 93 min. · FSK: ab 12 Regie: Nana Neul Drehbuch: Nana Neul Kamera: Leah Striker Darsteller: Anjorka Strechel, Lucie Hollmann, Manuel Cortez, Florian Panzner, Tilo Prückner u.a. |
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Mann, küsst Frau gut! |
Mel kann und will auch gar nicht aus ihrer Haut. Tagsüber geht sie der tristen Arbeit als Packerin in einem Catering-Unternehmen für Fluglinien irgendwo bei Münster nach, nur in ihrem roten Auto fühlt sie sich frei. Mel, eigentlich Melanie, ist Anfang 20, und es wird allmählich Zeit für ihren ersten Freund. Das meinen nicht nur ihr Bruder und ihr Vater, mit denen sie noch zusammenlebt. Irgendwann, als die Fragen immer drängender werden, lügt sie. Aber das trägt nicht weit, denn zur Verlobungsfeier des Bruders, da soll, da muss sie den geheimnisvollen Freund endlich mitbringen. Also bitte sie kurzerhand Nuno, ihren gutaussehenden portugiesischen Arbeitskollegen, bei der Verlobungsfeier den Freund zu spielen, den »Freund aus Faro«.
In Wahrheit hat Mel mit Männern nichts am Hut. Wenn sie abends zum Tanzen in die Disco geht, dann trägt sie Männerklamotten und freut, sich wenn sie die Blicke der Frauen auf sich zieht. Eines abends begegnet sie auf dem Weg zu einer Disco-Nacht Jenny. Die ist erst 14, hat lange blonde Haare, träumt rosarote romantische Barbieträume von Sternennächten mit tollen Jungs, und Mel erfindet sich für sie neu, als Kerl namens Miguel, als irgendwie rätselhafter portugiesischer »Freund aus Faro«.
Jetzt wird die Sache erst recht kompliziert: Ganz praktisch ist es schon schwierig, in der einen Hälfte des Lebens charmant und Mädchen zu sein, in der anderen cool und Mann. Und dann verstrickt sich Mel auch ihren nächsten Menschen gegenüber zunehmend in einem Geflecht aus Lügen – dabei möchte sie doch nichts lieber als offen und wahrhaftig leben. Nur Mels Vater durchschaut das Spiel und ahnt ihre wahren Wünsche. Die anderen in Mels Umgebung interessieren sich vor allem für ihre eigenen Wünsche und Erwartungen, auch Eifersucht ist im Spiel, und zunehmend eskaliert die Situation...
Es geht in Nana Neuls Spielfilmdebüt Mein Freund aus Faro, zu dem sie auch das Script schrieb und beim Max Ophüls Festival in Saarbrücken mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde, natürlich um ein Spiel mit Geschlechterstereotypen und wieder einmal um die gern und viel beschworene Identität – einen Fetisch unserer modernen Kultur, die suggeriert, man könne und dürfe nicht mehrere zugleich haben. Dabei ist es nur die Umgebung, diese Hölle der Anderen, die fordert, man müsse sich immer entscheiden, die Eindeutigkeit will, um nicht die eigenen Vorurteile infrage stellen zu müssen. Einmal fällt im Dialog ganz beiläufig der Name Pessoa – trotzdem ein Wink mit dem Zaunpfahl, denn der portugiesische Dichter Fernando Pessoa wurde nicht zuletzt dadurch berühmt, dass er unter vier verschiedenen Namen, also Identitäten schrieb. Aber das Spiel der Verführung, der Unsicherheit, hat nicht nur seinen eigenen Reiz, es ist manchmal, das zeigt Neul, existentielle Notwendigkeit.
Mein Freund aus Faro ist aber nicht nur die Geschichte eines Coming Outs. Es geht auch um Coming-of-Age, ums Erwachsenwerden, um die Tristesse der Provinz, und Möglichkeiten, ihr zu entfliehen. Insofern ist der Regisseurin hier auch ein unkonventioneller Heimatfilm gelungen, wie es ihn glücklicherweise alle paar Jahre mal gibt im deutschen Kino.
Bestechend sind die Auftritte der Film-Neulinge Anjorka Strechel (Mel) und Lucie Hollmann (Jenny) in den Hauptrollen. Überzeugend und originell ist die Bildsprache, die sehr konsequent mit Farben arbeitet. Die Inszenierung ist präzis und in vielem mutig, wie auch die Entscheidung der Regisseurin, auf Klischees und überdeutliche Symbolik zu verzichten, manches im Vagen zu lassen. Geschickt erweitert Nana Neul so die Eindimensionalität der Genres zu einem klugen Film über die Liebe.