Chile/Spanien 2004 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Andrés Wood Drehbuch: Roberto Brodsky, Mamoun Hassan Kamera: Miguel J. Littin Darsteller: Matias Quer, Ariel Mateluna, Manuela Martelli, Aline Küppenheim u.a. |
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Der kurze Sommer vor Pinochet |
Eine Coming-of-age-Geschichte aus Chile vor dem Hintergrund des Jahres 1973, jenes kurzen Sommers, der mit dem faschistischen Putsch des General Pinochet endete. Ein Film voller wunderbarer Momente, zugleich voller Melancholie. Kino als Lektion der leisen Töne, elegant erzählt, mit hervorragenden Darstellern. Das Portrait eines instabilen Glücks, einer nervösen Welt im Übergang. Andrés Woods oscarnominierter Film zeigt zugleich, wie Klassenkonflikte und politische Kämpfe sich anfühlen.
»No a la guerra civil!«, »Nein zum Bürgerkrieg!« steht auf einer Mauer, an der Gonzalo täglich vorbei fährt. Man wird die Aufschrift im Laufe dieses Films noch zweimal sehen. Einmal ist nur das Wort »Nein« durchgestrichen, was dem Satz nun den Sinn »Auf zum Bürgerkrieg!« gibt. Beim zweiten Mal, am Ende, ist alles übermalt, und scheint doch immer noch durch die frische Farbe hindurch. Die Entwicklung dieser Aufschrift ist nur ein Symbol für die Entwicklung in Chile im Jahr 1973. Der chilenische Film Machuca erzählt diese Geschichte – präzis, aber nie verengt in seinem Focus, ohne Anbiederung – in Form einer ungleichen Freundschaft. Der Junge aus der Oberschicht und der Junge aus dem Slum zeigen, wie Chiles Zukunft auch hätte verlaufen können.
Der 11jährige Gonzalo geht ins Gymnasium. Man trägt Schuluniform, doch die katholischen Patres sind sozial engagiert und längst nicht so konservativ, wie das Umfeld der meisten Jungen. Es sind bürgerliche, wohlhabende und in jeder Hinsicht geschützte Verhältnisse, aus denen sie stammen. Gonzalo ist kein Außenseiter, aber auch nicht so forsch und rauflustig wie viele seiner Klassenkameraden, eher passiv. Man glaubt schon früh eine gewisse Distanz zu bemerken, zu sehen, dass er ein wenig sensibler ist, nachdenklicher. Er ist ein Beobachter. Und durch seine Augen sehen wir, was nun passiert.
Eines Tages kommen neue Schüler in die Klasse. Sie tragen keine Uniform, sondern angerissene Pullover und ungebügelte Hemden. Und sie sehen anders aus, einige von ihnen sind unübersehbar indianischer Herkunft. Sie stammen aus den Slums, erst ein Stipendium der Allende-Regierung hat es ihnen ermöglicht, überhaupt die Schule besuchen zu können. »Ihr seid nun companeros«, sagt der Pater. Einer von ihnen heißt Machuca.
Gonzalo und er freunden sich an. Durch Machuca lernt Gonzalo die andere Seite von Santiago kennen: ein Leben in elenden Hütten aus Holz und Wellblech, geprägt von täglicher Not. Indem Gonzalo die wohlbehüteten Räume der heimischen Villa mit Nachmittagen in den Slums vertauscht, ist Machuca auch die Geschichte einer Entfremdung. Die Freundschaft wird für Gonzalo zunächst einmal zum Entdecken einer anderen Lebensform, einer Gegenwelt.
Dazu gehört Silvana
(Manuela Martelli), die ebenfalls in den Slums wohnt. Sie ist frech, furchtlos, provoziert die beiden Jungen nicht nur durch die Dosenmilchküsse, die sie mit ihnen austauscht. Im Hin und Her zwischen den Dreien, der unausgesprochenen Eifersucht der Freunde, wird der Film zur jugendlichen Variante von Jules et Jim.
Nach der Schule besuchen die drei Demonstrationen. Diese Passagen gehören zu den Höhepunkten des Films: Als die ganze Straße zu hüpfen beginnt, die Menge wogt, da wird auch Gonzalo mitgerissen. Musik setzt ein und wir wissen, dass er gerade den endgültigen Abschied von der Kindheit vollzogen hat. Revolution, das spüren wir da, hat etwas mit Jugend, mit Pubertät, mit Sex zu tun, ist körperlich, sinnlich. Ideen ästhetisch geworden, Augenblicke reiner Sehnsucht.
Wood will nichts beweisen, vertraut darauf, dass die Dinge für sich sprechen. Darum guckt er genau hin, zeigt, wie Politik sich anfühlt. Dazu gehört auch, zu zeigen, dass Klassenzugehörigkeit etwas mit Aussehen zu tun hat. Nicht nur in Chile sieht man es den Menschen an, woher sie kommen. Politik spiegelt sich in den alltäglichsten Gesten der Leute. Nichts zeigt den inherenten Faschismus größerer Teile des Bürgertums, die Basis für den folgenden Putsch deutlicher, als eine zweite spätere Demonstrationsszene, in der man die Oberklassenfrauen geschminkt und aufgetakelt, in Houte Cuture-Kleidern im Nobelwagen fahren sieht, mehr Cheerleader, denn politische Akteure.
Machuca, der in Chile zu einem großen Erfolg wurde, schildert als einer der ersten chilenischen Filme jene Zeit, als Nachbarn zu Gegnern wurden, beschreibt einfühlsam das Zerbröckeln des Sozialen. Vor allem aber ist Machuca ein Film über die Kindheit, ihre Wunder, wie ihre Schrecken. Der Blick Gonzalos ist nicht unschuldig, sondern unerbittlich. Er weiß mehr, als er versteht. Vor allem spürt er am Ende zum ersten Mal, was es heißt, moralisch zu versagen, und dies nicht wieder gutmachen zu können.