Megalopolis

USA 2024 · 139 min. · FSK: ab 16
Regie: Francis Ford Coppola
Drehbuch:
Musik: Osvaldo Golijov
Kamera: Mihai Malaimare jr.
Darsteller: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Jon Voight, Shia LaBeouf u.a.
Megalopolis
Die Kunstgeschichte stand Pate
(Foto: Constantin Film)

Lost in Decadence

Das Spätwerk Francis Ford Coppolas ist opulent verschwenderisches Cinéma du Look, das unangenehm reaktionär auftritt

»We fight for what we love. But we don’t always win.« – Dialog aus Mega­lo­polis

Ist dieser Film nur etwas für glühende Coppola-Verehrer? Mega­lo­polis, das Spätwerk von Francis Ford Coppola, wurde in Cannes urauf­ge­führt und schließt damit die Serie der alten Meister auf dem wich­tigsten Film­fes­tival der Welt vorläufig ab, die mit David Cronen­berg, Nanni Moretti, Marco Belloc­chio letztes Jahr begann. Coppolas Science-Fiction-Utopie über ein fluides und orga­ni­sches Material, das sich als Baustoff verwenden lässt, ist immerhin archi­tek­to­nisch auf der Höhe der Zeit, denkt man doch bei den Visionen seiner Städte unwill­kür­lich an Dubai und die verti­kalen Gärten Singapurs, in denen Skyscra­pers wie grüne Pilze aus der urbanen Land­schaft heraus­ragen. Cesar Catilina, der visionäre Architekt, mit gebüh­render Leiden­schaft von Adam Driver verkör­pert, hat das Material entworfen und dafür den Nobel­preis bekommen. Sein Heils­ver­spre­chen an die Hyper­mo­derne lautet: Jeder wird einen Garten haben. Einen Garten Eden.

Das ist toll. Francis Ford Coppola hatte bereits vor 40 Jahren die Idee zu seinem Film, konnte jedoch trotz seiner Mega-Erfolge Der Pate und Apoca­lypse Now in den Sieb­zi­ger­jahren für seinen Science-Fiction (immerhin ein Genre­wechsel) keine Geldgeber finden. Jetzt hat er Weingüter im Wert von 120 Millionen Dollar verscher­belt und den Film sozusagen aus eigener Tasche finan­ziert. Auch das ist toll. Gewidmet hat er sein Spätwerk, das den Höhepunkt seines künst­le­ri­schen Schaffens darstellen soll, seiner im April verstor­benen Ehefrau Eleanor. Einmal im Film sagt Catilina, als er gefragt wird, was das wich­tigste für ihn im Leben sei: marriage, die Ehe.

Catilina betrauert im Film seine verstor­bene Ehefrau Constance Catilina (Talia Rose Shire, Schwester von Francis Ford Coppola und Tante von Nicolas Cage), die als schöne Schwind­süch­tige mit perga­ment­ar­tigem Teint tot in einem geheimen Burg­zimmer liegt. Die junge Julia (Nathalie Emmanuel), bald darauf Catilinas Geliebte, beob­achtet ihn dabei, wie er am Kopf­kissen herum­nes­telt. Eigent­lich flicht er das flachs­far­bene Haar seiner Frau zu einem Zopf, aber nur er kann sie sehen. Ein märchen­haftes Trugbild – oder ein Effekt seiner genialen Erfindung, das Unsicht­bares sichtbar und Körper­li­ches trans­pa­rent machen kann. Die Szene offenbart ein kleines senti­men­tales Rührstück, von denen der Film voll ist. Poetry of suffer, Poetik des Leidens, nennt das Catilina.

Sein Herzens­pro­jekt hat Coppola ins Alte Rom verlegt, das jedoch als »New Rome« in die Zukunft proji­ziert wird. Es ist das Rom des 3. Jahr­tau­sends, in dem er seine Geschichte von Rivalität und Macht ansiedelt. Verfeindet ist der Architekt und Erneuerer Catilina mit dem Statt­halter bezie­hungs­weise Bürger­meister Cicero (Giancarlo Esposito), die schöne Julia ist dessen Tochter, was die Lieb­schaft natürlich pikant macht. Das Personal ist realen antiken Fehden entnommen. Im Jahr 63 vor Christus hatte bereits Cicero, der Consul, seine glühenden »Reden gegen Catilina« verfasst, in denen er versuchte, seinem Gegner einen Umsturz­ver­such nach­zu­weisen. Hier geht es um Catilina, den nach­hal­tigen Stadt­er­neuerer, und Cicero, den Tradi­tio­na­listen, der weiterhin auf »Beton und Stahl« bauen will. Seine Kritik: Das Catilina-Material soll instabil sein.

Soweit der Konflikt. Und dann ist da noch der Unter­nehmer Hamilton Crassus III. (Jon Voight), der in seiner Gier und Sexsucht einen Verschnitt aus Berlus­coni und Trump liefert. Wir tauchen ein in ein üppiges futu­ris­ti­sches Rom der Dekadenz. Die Frauen und Männer der reichen Ober­schicht geben sich ausschwei­fende Orgien, das Setting und die Kostüme, die laszive und raub­tier­hafte Nobilitas der Prot­ago­nis­tinnen erinnert dabei immer ein wenig an die Magnum-Werbung. Es domi­nieren die Gold- und Brauntöne. Es dominiert die nackte Haut. Es dominiert der schlechte Geschmack.

Coppola hat sich einen Spaß daraus gemacht, alles in einem gewissen Luxus-Trash anzu­sie­deln. Wenn Julia durch das visionäre Modell von Mega­lo­polis geht, soll sie die Augen schließen, um die noch nie dage­we­senen Bauten, Schwe­be­s­tädte, das Fluidum zu sehen – während sie in Wirk­lich­keit durch ein Sammel­su­rium aus Großstadt-Müll herum­spa­ziert. Dennoch: der Ironie­status des Films ist nicht gesichert. Während man selbst also unend­li­chen Spaß haben mag an diesen Demas­kie­rungen, nimmt es Mega­lo­polis ungleich ernster. Coppola ist seine Vision wichtig, ebenso das Ende mit einem Neuge­bo­renen: »Build the future for her«, lautet die eindring­liche Message.

Leider fällt Mega­lo­polis dann aber doch in sich zusammen, das Zeug, aus dem Coppola seinen Film baut, ist, abgesehen von der ziemlich hane­büchenen Geschichte, tatsäch­lich instabil. Bemüht Coppola mit der blassen, toten Constance bereits den abge­grif­fenen Topos der weib­li­chen Leiche, geraten ihm auch seine anderen weib­li­chen Figuren zur bloßen Staffage. Die rele­vanten und wort­rei­chen Dialoge haben allesamt die Männer, die Frauen bekommen Einzeiler oder dürfen ein Mark-Aurel-Zitat aufsagen: »Alles fließt.« Ansonsten kommt ihnen zu, sich ein Baby zu wünschen (Julia), sich als »Wall-Street-Slut« zu gebärden, wie Crassus einmal seine geldgeile Geliebte Wow Platinum, toller Name übrigens, beschimpft. Frauen sind bei Coppola entweder ehrwür­dige Mutter, junge Mutter oder Hure, und der größte Triumph ist, wenn der Stoff, den Catilina entworfen hat, die Frauen unsichtbar macht.

Das ist üble Acht­zi­ger­jahre-Figu­ren­kon­zep­tion und wirkt im Bemühen stereo­typer Frau­en­bilder unan­ge­nehm reak­ti­onär. Hinzu kommt die faschis­toide Ästhetik mit Monu­men­tal­bauten, Symme­trien, über­bor­denden Szenen­bil­dern, starker Unter­sicht, »Brot und Spiele« und einem wörtlich genom­menen »Circus Maximus« mit Zirkus­di­rektor. Die Dekadenz ist opulent-verschwen­de­risch, das zukünf­tige Rom in honig­far­benem Hochglanz dem Tod geweiht. Der Insze­nie­rungs­wille ist deutlich und kann als solcher auch goutiert werden. Trotzdem: Weder der Visua­lität noch den alten Statt­hal­ter­ge­schichten mit dem Frau­en­dekor möchte man heute zujubeln.

Der Glanz der Ratlosigkeit

Vision, Sexyness und Hedonismus: Francis Ford Coppolas Megalopolis ist eine politische Fabel über den Niedergang unserer Demokratie und vor allem ein ästhetisches Manifest

»1. To start very generally: Camp is a certain mode of aesthe­ti­cism. It is one way of seeing the world as an aesthetic pheno­menon. That way, the way of Camp, is not in terms of beauty but in terms of the degree of artifice, of styliza­tion.« – Susan Sontag

Für was ist das Kino gemacht, wenn nicht für genau solche Filme? In der Eröff­nungs­szene von Francis Ford Coppolas einma­ligem, unver­wech­sel­barem Mega­lo­polis balan­ciert ein Mann recht gefähr­lich und knapp vor dem Abstürzen auf einem Wolken­krat­zer­dach­sims himmel­hoch über einer Metropole, die Manhattan so ähnlich sieht wie Gotham City. Er tritt kurz über die Schwelle, doch kurz vor dem Absturz ruft er: »Steh still, Zeit!« Und sie tut es.

Der Wunsch, die Zeit anzu­halten, prägt die Mensch­heits­ge­schichte und kommt nicht nur bei älteren Männern, wie dem 85-jährigen Francis Ford Coppola, sondern auch bei mittel­jungen Frauen vor. Jeder Film ist in der Lage, die Zeit selbst anzu­halten und sie sogar zurück­zu­drehen. Nur nicht für immer.
Aber man kann schon hier Verbin­dungen zwischen Charakter und Regisseur ziehen – warum auch nicht? Die Verbin­dung von Werk und Biogra­phie ist die Quint­essenz jenes Autoren­kinos, für das Coppola bis heute steht, und das seine Hochzeit in den Siebziger und Achtziger Jahren erlebte – eine Zeit, die heute von manchen gern als Ganzes verachtet und voreilig in die Trash-Ecke abge­schoben wird.

Man kann über diesen Film nicht sprechen, ohne auf die recht merk­wür­digen und befremd­li­chen Reak­tionen einzu­gehen, die er seit seiner Premiere bei den Film­fest­spielen von Cannes im Frühjahr vor allem in der deutschen Film­kritik hervor­ruft.
Man kann, wenn man denn will, Mega­lo­polis sehr sehr schlecht finden. Aber man kann ihn nicht auf jede Weise schlecht finden.

So wird zum Beispiel manchmal ein einziger Satz zitiert und »Dialog« genannt. Einen Dialog gibt es aber erst da, wo mehrere Figuren sprechen – ansonsten handelt es sich um einen Monolog. Und genauso kommt mir die Reaktion der aller­meisten Film­kri­tiker aus Deutsch­land auf diesen Film vor: Mono­ma­nisch mono­lo­gi­siert diese Kritik vor sich hin, ohne Respekt und viel schlimmer: Ohne Neugier, ohne Lust an einem neuen Coppola-Film, wie als wüssten sie nicht, was dieser Mann gemacht hat, als gäbe es kein bisschen Freude darauf, dass man noch mal etwas von ihm im Kino sehen kann. Die Haltung mit der sie im Kino sitzen, wird aber gar nicht reflek­tiert. Oder da, wo sie reflek­tiert wird, handelt sich offen­sicht­lich um einen Frage­bogen, auf dem anzu­kreuzen ist, wie viele Figuren nackt zu sehen sind und wie viel böse Sätze fallen.

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Dagegen die Ameri­ka­ne­rinnen!

Zum Beispiel: Stephanie Zacharek im »Time Magazine«: »You might want to laugh at Mega­lo­polis; you might be tempted to walk out. And you wouldn’t be wrong to call it self-indulgent. But then, haven’t we had enough movies that are audience-indulgent, seeking only to appease ― and never, ever to offend ― legions of fanboys and -girls who have very specific ideas about what they want from enter­tain­ment? I found myself almost literally leaning closer to the screen during Mega­lo­polis, trying to grasp exactly what Coppola is seeking to commu­ni­cate. I might have caught about a third of it, at best, but I’ll take a messy, imagi­na­tive sprawl over a waxen, tasteful enter­prise any day. ... Coppola has put his money where his heart is, and his faith in the idea that we'll follow along. We have something to gain, and little to lose, if we try.«

Zum Beispiel Manohla Dargis in der »New York Times«: »It is a great big plan from a great big man in a great big movie, one whose sincerity is finally as moving as its unbounded artistic ambition. ... „Mega­lo­polis“ is far larger in every respect, though at this point it’s an open question whether it will reach an audience of any kind. The industry, never a welcoming place for free-ranging and -thinking artists, is in the midst of another of its cyclical freakouts. Business is terrible and the sky is defi­ni­tely, abso­lutely falling. Fear, panic and timidity rule the day, as they generally do. ... Coppola’s own pleasure in playing with a digital toolbox is fun to watch. Unsur­pri­singly, the results are often striking, like the image of Catilina and Julia kissing while preca­riously perched on metal girders that are floating high above the ground or the picture of a futu­ristic city whose flowing organic forms recall the work of the brilliant architect Zaha Hadid.
It too is a great leap, a formally and visually audacious expe­ri­ment that feels like the work of a filmmaker who, rather than repeating himself ad infinitum or resting on his countless laurels, remains excited by moving pictures and their infinite possi­bi­li­ties. I don’t think „Mega­lo­polis“ will be for everyone, but art rarely is. In 1895, the film pioneer Louis Lumière appar­ently said that the cinema was „an invention without a future,“ a comment that’s been repeated in one way or another ever since; in 2024, and against all odds, Coppola dares to insist that it has one.«

Zum Beispiel Rafa Sales Ross: »Coppola said he likes to make films he doesn’t know how to make, as the film will often tell him what to do next. One has to wonder how that frenzied meta­pho­rical conver­sa­tion came about with „Mega­lo­polis,“ a film still playing on my mind as I write this, unsure if I have seen it or dreamt of it. I’m not yet convinced it works, but my goodness, am I thrilled it exists.«

Aber blicken wir zunächst einmal hin, was auf der Leinwand geboten wird, blicken wir ohne Vorur­teile, aber mit dem Respekt um das Wissen von Coppolas Werk auf das, was der Regisseur uns zeigt.

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Der auf die Eingangs­szene folgende Film handelt von einer ganzen Gesell­schaft, ja: einer Zivi­li­sa­tion, die ähnlich prekär und kurz vor dem Absturz wie der Mann auf dem Dach darauf hofft, die Zeit still­zu­stellen. Die Stadt heißt »New Rome«, und alle wichtigen Figuren haben römische Namen: Cesar Catilina, Cicero, Crassus, Claudius, Pulcher.

Dieses »New Rome« ist ein Ort des Verfalls und der »spätrö­mi­schen Dekadenz« (Guido Wester­welle), in dem Armut, Not und Verzweif­lung herrschen. Bei den wenigen Mächtigen aber domi­nieren Arroganz, Perver­sion, unkon­trol­lierte Gier nach Macht und Geld, die Unter­wer­fung des Gemein­wohls unter die Berei­che­rung einiger weniger, und univer­saler Sinn­ver­lust.

Es ist ein übles Gebräu aus Narzissmus und poli­ti­scher Propa­ganda, das diesen in naher Zukunft und zugleich einer shake­speare­schen Paral­lel­welt ange­sie­delten Ort prägt, und sich zu einem Maelstrom bündelt, in dem diese Gesell­schaft sich zunehmend selbst verschlingt. Nur einige wenige kühne Menschen, Künstler und Intel­lek­tu­elle, Idea­listen mit dem Mut zum Träumen, schwimmen gegen den Strom und streben nach nichts weniger, als einer neuen Morgen­röte der Mensch­heit. Mit Mut, Neugier und Technik, nicht etwa als »Zurück zur Natur«, und auf keinen Fall mit »woken« Ideen, sondern mit Sexyness und Hedo­nismus.

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Einer dieser Männer heißt Caesar (Adam Driver), wie der römische Feldherr, der die Republik zerstörte, um sie zu retten, der sich im Jahr 44. v. Chr. zum Diktator auf Lebens­zeit einsetzte, und der das römische Imperium begrün­dete.

Caesar, ein visi­onärer Architekt und Nobel­preis­träger, der vom tragi­schen Tod seiner Frau gequält wird, versucht in dieser so nahen wie dysto­pi­schen Zukunft eine neue futu­ris­ti­sche, ideal­ty­pi­sche Stadt zu erschaffen, die er »Mega­lo­polis« nennt. Er plant, diese mithilfe einer Substanz namens Megalon zu bauen, die er erfunden hat und die physi­ka­li­sche Gesetze über­schreiten kann.

Aber er ist auch eindeutig eine Verkör­pe­rung des Regis­seurs Francis Ford Coppola selbst – ein großer Visionär, der mit ansehen muss, wie eine einstmals große Sache (nennen wir sie Kino) vor seinen Augen zerstört wird, der aber entschlossen ist, sie nicht sterben zu lassen, sondern mit neuem Leben zu erfüllen.

Caesar wird im Film beschrieben als »A man of the future so obsessed by the past.« Und er hält relativ früh im Film den berühmten Monolog vom Hamlet. Er ist charis­ma­tisch und begabt mit allerlei über­mensch­li­chen Fähig­keiten, wie der Gabe, die Zeit anzu­halten. Zugleich ist er getrieben von inneren Dämonen.

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Exkurs: Mitten in der Pres­se­vor­füh­rung von Mega­lo­polis in Cannes, die ich besuchte, ging plötzlich im Kino Licht an, und beleuch­tete einen Mann, der am Mikrofon vor der Leinwand sprach. Das war weder eine Panne noch eine unfertige Stelle im Film, sondern ganz absicht­lich. Ob das wieder­holbar ist, glaube ich kaum. Aber es war ein still berüh­render Moment, ein Bruch in der norma­ler­weise straffen Beziehung zwischen heller Leinwand und dunklem Kino. Es war Gegenwart, durch­zogen von den Geistern der Vergan­gen­heit, und auf unheim­liche Weise der Zukunft.

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Caesar entgegen stehen zwei Männer: Der Bürger­meister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito), ein Mann der Beharrung und des Konser­va­tiven, der das bestehende System weit­ge­hend aufrecht­erhalten will und gar nicht unsym­pa­thisch, aber visi­onslos refor­mis­tisch agiert: »Die Leute brauchen keine Träume, sie brauchen Arbeit, Schulen«. Cicero verspricht Kinder­gärten statt Visionen, und »Beton, Beton, Beton«, was im Engli­schen heißt: »Concrete, concrete, concrete«, also auch »Konkret, konkret, konkret« bedeutet – der Mann ist ein anti­idea­lis­ti­scher Skeptiker. Er, der die Stadt mit strengen Gesetzen regiert, sieht in Caesars revo­lu­ti­onären Ideen eine Bedrohung für seine Macht und den Status Quo. Während Caesar verspricht, die Stadt zu erneuern, sieht Cicero nur das Chaos, das solche Verän­de­rungen mit sich bringen könnten.
Dumm nur aber typisch für Shake­speare wie für Coppola, dass diese ganzen poli­ti­schen Gegen­sätze durch­zogen und verzerrt werden durch private: Denn Cicero hat auch aus persön­li­chen Gründen etwas gegen Caesar – er war der ermit­telnde Staats­an­walt beim Tod von dessen Frau, und wollte Caesar hinter Gittern bringen. Wir ahnen, das es Dinge gibt, die er verbirgt. Und jetzt ist da noch Julia (Nathalie Emmanuel), die einzige, geliebte und sehr intel­li­gente Tochter des Bürger­meis­ters. Zunächst sträubend, denn weniger und weniger wider­willig, verliebt sie sich in den Spröss­ling des gegne­ri­schen Clans, in den Mann der Zukunft, Caesar.

Der zweite Gegen­spieler ist Caesars eifer­süch­tiger Cousin Clodio Pulcher (Shia LaBeouf), der seine eigenen poli­ti­schen Ambi­tionen mit Gewalt und Intriganz durch­zu­setzen versucht. Seine Hinter­list richtet sich aber vor allem gegen Caesars wohl­ha­bender Onkel Hamilton Crassus III (Jon Voight).

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»2. To emphasize style is co slight content, or to introduce an attitude which is neutral with respect to content. It goes without saying that the Camp sensi­bi­lity is disen­gaged, depo­li­ti­cized – or at least apoli­tical.« – Susan Sontag

Man erkennt: Mega­lo­polis ist eine poli­ti­sche Fabel. Sie kriti­siert konkret die Gegenwart und zielt zugleich auf univer­sale Ideen. Es geht nicht primär »um Trump« oder »den Neoli­be­ra­lismus« oder »soziale Ungleich­heit und die Heraus­for­de­rungen moderner städ­ti­scher Lebens­be­din­gungen. Aber die Figuren verkör­pern unter­schied­liche Prin­zi­pien im Verhältnis zu Macht und Gestal­tungs­willen. Caesar reprä­sen­tiert Idea­lismus und das Bemühen um eine besseren Welt, während Bürger­meister Cicero für Prag­ma­tismus steht, und Pulcher für egomanen Ehrgeiz.«

Die Frau­en­bilder – ja, die sind in gewissem Sinn stereotyp. Wie die Männer­bilder. Wie überhaupt alles in diesem Film. Denn »Mega­lo­polis« ist Schie­berei von Kulissen und Charak­ter­masken; der Film behauptet nicht mal im Ansatz, psycho­lo­gisch sein zu wollen, er typisiert, verall­ge­mei­nert, seine Figuren sind Bilder, Embleme, und Coppola ist auch darin naiv statt senti­mental.

Darum ist es auch falsch, wenn manche sich jetzt besonders schlau vorkommen, weil sie an vielen Stellen dieses Film den »male gaze« aufge­spürt haben. Ja was denn sonst? Coppola ist ein Mann, hete­ro­se­xuell, und nicht woke. Es inter­es­siert ihn vermut­lich nicht einmal das zu sein.

Vor allem aber ist der »male gaze« nicht etwa ein – je nachdem bekla­gens­werter oder gerade noch akzep­ta­bler – Mangel dieses Films, sondern eines seiner Themen.

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Die visuelle Vision dieses Films ist über­bor­dend und barock: »Cinema du Look«, meinet­wegen, aber eben vor allem aus Hollywood: Man sieht ein Kolosseum in der Nähe des Times Square, Wagen­rennen im Stil von »Ben Hur« und einen »Circus Maximus« aus Hollywood-Sanda­len­filmen, Gebäude im Retro-Futu­rismus zwischen Art Deco und »ökolo­gi­scher Stadt«, der ganze Film ist eine Zirkus­show aus pompösen und zweck­freien Tableaux vivants vor Kulissen, die auch aus einem Marvel-Movie stammen könnten, Shake­speare-Dialoge folgen auf histo­ri­sche Wochen­schau­bilder, die Hitler und Mussolini zeigen. Untermalt ist das mal von aktuellem Pop, mal von Pseudo-Hollywood-Monu­men­tal­film­musik.

Nach jahr­zehn­te­langer Planung endlich finan­ziert und in die Tat umgesetzt, ist »Mega­lo­polis« ein mitreißender, in jeder Hinsicht groß­for­ma­tiger Film voller provo­kanter Ideen und scho­nungs­loser filmäs­the­ti­scher Erfin­dungen, dem man das Alter des Regis­seurs nicht ansieht.

Coppola scheint vielmehr in einen filmi­schen Jung­brunnen gestiegen zu sein, und die filmische Erfahrung, die das Ergebnis ist, wirkt nicht wie der Abschluss einer Karriere, sondern wie der tollkühne Entwurf eines anderen Kinos, »al fresco«.

Mega­lo­polis ist ein seltsames, exzes­sives Artefakt, das in seinen Ansprüchen gefangen ist, und dabei aber äußerst inter­es­sant, weil es zeigt, was von den Träumen des New Hollywood geblieben ist.

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Amerika ist das Imperium unserer Gegenwart, wie es Rom zu seiner Zeit war. Amerika ist auch wie Rom eine opulente Spektakel-Gesell­schaft. Und Coppola ist überzeugt, dass wir vor dem Untergang auch dieses neuen Römischen Reiches und seiner Spek­ta­kel­ge­sell­schaft, also Holly­woods stehen.

Was aber passiert eigent­lich, wenn das Imperium zu zerbre­chen beginnt? Was passiert, wenn die rationale Weltsicht nicht mehr greift? Das sind die Fragen, die Coppola umtreiben. Mega­lo­polis und ihr Schöpfer glauben an die Notwen­dig­keit, eine bessere Welt zu schaffen. Die gewagte Utopie, die hier in die Tat umgesetzt werden soll, ist die einer Welt ohne Klas­sen­un­ter­schiede. Und so steht am Schluss des Films, wie ein Testament, eine Ode an die Liebe und an die Mensch­heit.

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Es ist also ohne Frage ein ganz schön merk­wür­diger Film, den Francis Ford Coppola da gedreht hat. Spek­ta­kel­kino mit ganz großer Attitude. Zugleich auch ein ziemlich persön­li­cher Film, inklusive aller möglichen mora­li­schen Appelle und Anspra­chen an die Jugend der Welt und die Menschen der Zukunft gegen Ende.
Ein Unter­gangs­ge­sang in mancher Hinsicht, fast eine Höllen­fahrt, dabei gespickt mit großem Bildungs­bal­last, mit den Erkennt­nis­früchten eines Lebens. Die Recherche stamme unter anderem von »Goethe, Euripides, Marc Aurel, Cicero, H.G. Wells« – so der Abspann in dem der nimmer­müde, immer­neu­gie­rige Coppola diesen Mitar­bei­tern dankt.

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Viel­leicht ist das alles trotzdem am Ende nur »Camp« wie es Susan Sontag nannte. »Mediale kultu­relle Über­sa­tu­rie­rung ist der Nährboden für 'Camp'. Es ist ein genuin ameri­ka­ni­sches Form­emp­finden.« schrieb Frieda Grafe über Hollywood, und fragte weiter: »Wo ist der Platz des Künstlers in einem Massen­me­dium, das trotz indus­tri­eller Ferti­gungs­me­thoden doch Autoren braucht, kreative Indi­vi­duen, die aus dem undank­barsten Material Funken zu schlagen verstehen? Kino ist auch für Coppola ›im Kern unau­then­tisch und anor­ga­nisch.‹ (Grafe).
Coppola hat einen Film voller Künst­lich­keit gemacht, der seine Zeichen­haf­tig­keit, seinen Waren­cha­rakter nicht verschleiert.«

»Reak­ti­onär« ist daran aber gar nichts, so wenig wie »Symme­trien«, Monu­men­tal­bauten und Unter­sicht-Kame­ra­ein­stel­lungen irgend­etwas mit faschis­ti­scher Ästhetik zu tun haben.
Coppola nimmt seine Bauten aus der realen, größ­ten­teils noch bestehenden Archi­tektur New Yorks, des New Yorks der Moderne zwischen Art Deco und Funk­tio­na­lismus, für die zu einem respek­ta­blen Teil jüdische, mitunter von den Faschisten aus Europa vertrie­bene Archi­tekten verant­wort­lich waren – Brady Corbet hat die Geschichte dieser vermeint­lich faschis­ti­schen Moderne gerade in seinem Meis­ter­werk The Brutalist aufge­griffen.

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»3. Not only is there a Camp vision, a Camp way of looking at things. ... True, the Camp ere has the power to transform expe­ri­ence. But not ever­y­thing can be seen as Camp. It’s not all in the eye of the beholder.« – Susan Sontag

Mega­lo­polis ist ein sehr persön­li­ches Herzens­pro­jekt und eine letztlich ernst gemeine Analyse der traurigen Lage der USA: Ein Film, der einen ratlos zurück­lässt, dies aber auf eine Weise, dass man ihn sofort noch einmal sehen will, um zu verstehen, was man da sieht.