Das merkwürdige Kätzchen

Deutschland 2013 · 72 min. · FSK: ab 0
Regie: Ramon Zürcher
Drehbuch:
Kamera: Alexander Haßkerl
Darsteller: Jenny Schily, Anjorka Strechel, Mia Kasalo, Luk Pfaff, Matthias Dittmer u.a.
Dem Leben bei der Arbeit zuschauen.

Der Tigersprung in eine andere Welt

Eine Katze, behauptet das Sprich­wort, habe sieben Leben. Im Kino gilt dieser Satz allemal. Man müsste einmal viel ausführ­li­cher diesem Leben der Katzen im Kino nachgehen – von »Tom und Jerry« bis zum weißen Kater des Bond-Schurken Blofield, von Catwoman bis zur universal präsenten Katz­en­mo­tivik beim fran­zö­si­schen Auto­ren­filmer Chris Marker, oder, derzeit noch im Kino, jenem braun-weiß-gestreifen Tiger­kater, der im neuesten Film der Coen-Brüder seinem Besitzer immer wieder abhanden kommt – bis zu seiner Schwester im Geiste, eben jenem »merk­wür­digen Kätzchen«, das einem neuen deutschen Film den Titel gibt, der jetzt ins Kino kommt, und bei dem es sich um nichts weniger handelt als um das erste Film­wunder des Kino-Jahres 2014.

Dieses Kätzchen hat mindes­tens sieben Leben. Es ist sozusagen das Medium, das die Elemente dieses Films zusam­men­hält und immer wieder höchst poetisch verbindet: Eine ganz normale Familie in Berlin, an einem Sams­tag­morgen im Frühling, die Zimmer ihrer Wohnung und die Dinge, die dort ein sonder­bares Eigen­leben entfalten. Denn auch die Dinge sind hier auf sonder­bare Art beseelt. Überall zischt und klappert es, fallen Gläser vom Tisch und Siche­rungen fliegen aus der Veran­ke­rung, lösen sich Schrauben... Wie aus scheinbar Banalem, etwa dem Rattern der Wasch­ma­schine eine Action­szene, oder aus der geschmei­digen Bewegung eines Kätzchens der Tiger­sprung in eine andere Welt werden kann – das ist die unauf­dring­liche Lektion dieses überaus unge­wöhn­li­chen, ganz und gar bezau­bernden Films.

Das merk­wür­dige Kätzchen wurde von einem Zwil­lings­paar gemacht: Den Schweizer Brüdern Ramon und Silvan Zürcher, zusammen mit der Produ­z­entin Johanna Bergel. Alle drei studieren noch an der DFFB, jener Berliner Film­aka­demie, die lange Jahre so etwas wie das Gegen­mo­dell zu all den anderen, vergleichs­weise lang­wei­ligen deutschen Film­hoch­schulen gewesen ist. Nicht vor allem Handwerk konnte man hier lernen, sondern Kunst, man sollte nicht für den Betrieb und das Fernsehen dressiert, sondern zum ästhe­ti­schen Partisan gebildet und zum Wider­stand gegen Konfor­mismus ermutigt werden. In den letzten Jahren scheint dieser Geist zwar an der DFFB verloren zu gehen, doch die Filme­ma­cher, die noch in früheren Jahren hierher kamen, beweisen mit ihrem Debüt, zu was Kino fähig ist, wenn es frei sein darf und expe­ri­men­tell. Zugleich wollen die Zürchers ihr Publikum aber spürbar auch unter­halten, sie erzählen uns eine ebenso humor­volle, von kleinem Witz sprühende, wie spannende Geschichte, die bis zum Ende ihre Geheim­nisse nicht restlos preisgibt – so wie wir nur Stück für Stück die Wohnung kennen­lernen, in der das alles spielt, und die Menschen, die in ihr leben oder zu Besuch kommen.

Im Zentrum steht die Familie, die Mutter, mit inten­sivem, stillem Charme gespielt von Jenny Schily bildet das sanfte Zentrum, der Vater, die drei Kinder. Eine Groß­mutter kommt zu Besuch, auch Nachbarn und Freunde, aber die Familie ist auch hier den Kern, wie in jeder guten und weniger guten deutschen Fern­seh­serie. Dabei geht es dem Film nicht ums große Drama, nicht um Entlar­vungen, Kehrt­wen­dungen, große Psycho­logie – sondern um Alltags­dy­namik. Zum Beispiel zwischen den beiden Schwes­tern, zum Beispiel zwischen der Mutter, ihrem Gatten, ihrem Ex-Freund und ihrer eigenen Mutter.
Wir schauen hier also dem Leben bei der Arbeit zu, einer Arbeit, die norma­ler­weise nicht so genannt werden darf – obwohl hier auch etwas produ­ziert wird: Gefühle, Leiden­schaften, Mensch­li­ches, Allzu­men­sch­li­ches.

Und doch ist Das merk­wür­dige Kätzchen nicht so sehr ein Film über Menschen, sondern ein Film über die Poesie der Dinge, und die Schönheit des Alltäg­li­chen. Eine Komödie. Eine Komödie der feinen Unter­schiede; der kleinen Gesten. Eine Komödie der mensch­li­chen Existenz. Darin ähnelt der Film dem Lakonie-Komiker Jacques Tati, dem ironi­schen Fami­li­en­por­trä­tisten Claude Chabrol.

Zugleich ist dies auch eine Utopie. Denn in diesem Film scheint nichts weniger auf – als ein anderes deutsches Kino. Ein Kino jenseits der Abrich­tungs­an­stalten für den laufenden Betrieb unter den Namen Film­hoch­schule und Film­för­de­rung.
Ein Kino wie es sein könnte, wenn diese Kunst nicht länger als Kunst zweiter Klasse behandelt würde, nicht mehr Quote und Kasse machen müsste, nicht mehr dem Fernsehen dienen, sondern solch' sekun­dären Zwängen ähnlich entzogen würde, wie es Theater und Oper und Museen schon immer waren. Viel­leicht ist es doch kein Zufall, dass der Film zwar deutsch ist, Regisseur und Produzent aber Schweizer.