Frankreich/B/GB 1997 · 89 min. · FSK: ab 6 Regie: Alain Berliner Drehbuch: Chris van der Stappen, Alain Berliner Kamera: Yves Cape Darsteller: Georges du Fresne, Michèle Laroque, Jean-Philippe Ecoffey, Hélène Vincent u.a. |
Schaltet man zur Zeit MTV ein, so wird man des öfteren in eine knallbunte Kunstwelt versetzt. Das Video zum Song »Barbie Girl« versetzt den Zuschauer in eine kitschige, rosa-rote Traumwelt. Dominieren die grellen Farben der Videoclips den Fernseher schon lange, sind sie auf der Kinoleinwand (noch) selten zu finden. Erstaunlich ist daher, daß sie in einem so behutsamen Film wie Mein Leben in Rosarot eine enorme Rolle spielen. Alain Berliner kreiert eine Traumwelt seines Protagonisten Ludovic. In diese Wunschheimat zieht er sich zurück in seinen Sorgen, hier kann der siebenjährige Junge ungestört ein Mädchen sein.
Denn Ludovic hat sich entschieden ein Mädchen zu sein. Anfangs sind seine Mitmenschen auch noch amüsiert über seine Auftritte, geschminkt, und in Mädchenkleidern. Die Bewohner der Siedlung, in die Ludovics Familie gerade erst eingezogen ist, beginnen allerdings nach einiger Zeit stutzig zu werden. Denn er benimmt sich nicht nur beim Einweihungsfest seltsam, sein weibliches Verhalten, zunächst für einen Spaß gehalten, ändert sich nicht. Ludovic wartet sehnsüchtig auf seine erste Regel, läßt sich seine Haare zunächst nicht kurz schneiden, seiner Großmutter gesteht er sogar, daß er sich in seinen Freund Jerome verliebt hat. Da der Vater von Jerome, der Chef von Ludovics Vater ist wird das Verhältnis der beiden Männer, und ihrer Familien, allmählich gespannter. Zunächst genügt eine Umsetzung des Jungen in der Schule, als Ludovic aber in der Schulaufführung heimlich die Rolle des Schneewitchens übernimmt, um Jerome zu küssen, sehen sich seine Eltern einer Reihe von feindlich gesinnten Eltern und Nachbarn gegenüber. Jetzt nimmt das Schicksal seinen Lauf: Ludovic muß die Schule verlassen, sein Vater verliert seinen Job, in der Ehe der Eltern beginnt es zu kriseln, Ludovics Haare werden abgeschnitten, eine Psychologin wird zu Rate gezogen. Doch Ludovic bleibt ein Mädchen. Als die Familie aus der Siedlung ausziehen muß, bleibt er bei seiner verständnisvollen Großmutter. Nach einiger Zeit kehrt der Junge zu seiner Familie zurück und lernt in der neuen Heimat als erstes Christine kennen, ein Mädchen, daß lieber ein Junge sein möchte. Als die Mutter bei diesem Ende ausrastet, verschmelzen auf geheimnisvolle Weise Realität und die rosa-rote Barbiewelt. Am Ende folgt sie Ludovic in seine Traumwelt und beginnt endlich ihren Sohn halbwegs zu verstehen.
Der besondere Verdienst Alain Berliners ist es, dem schwierigen Thema des Films genau richtig zu begegnen. Er nimmt sich den Sorgen seines Hauptcharakters an, bewahrt dem Film aber auch eine große Portion Heiterkeit. Diese traumhafte Balance macht den Film so »menschlich«. Es wird einem warm ums Herz, wenn man Ludovic sieht, wie er sich durch alle Wiedrigkeiten seiner Identitätssuche hindurchschlägt und sie, letztlich mit seiner Familie zusammen, bewältigt. Und die Familie ist es auch, die in diesem Film so gut getroffen ist. Da ist einerseits die perfekte Oma, die für alles Verständnis hat, aber da sind auch Ludovics Eltern und Geschwister. Allesamt werden sie sehr realistisch dargestellt, alle haben sie ihre Tücken. Die weitestgehend gutmütige Mutter, der manchmal herrschsüchtige Vater und auch die Geschwister, werden von ihren guten und ihren schlechten Seiten gezeigt. Aber trotz aller Hindernisse, trotz Ehekrisen und oftmaligen Beleidigungen aller Beteiligten bleibt die Familie eine starke Einheit, und wird dadurch noch gestärkt. Da man von der Seite also etwas abgesichert ist, kann man die lustigen Momente des Films in aller Ruhe geniessen: wenn Ludovic in einem völlig unpassenden Moment angestürmt kommt und lauthals verkündet er habe Bauchweh und somit auch endlich seine Regel bekommen. Oder auch die immerwiederkehrende Musik aus der Barbiewelt, zu der im Verlauf des Films fast alle Familienmitglieder ein Tänzchen hinlegen. Der Inhalt des Films ist auf den ersten Blick sicher ungewöhnlich, wem dieses Thema aber unrealistisch vorkommt, dem sei noch gesagt, daß Berliner viele Reaktionen auf seinen Film bekommen hat, in denen Zuschauer ihm von ähnlichen eigenen Erlebnissen berichteten, die er sehr gut getroffen haben muß.