Deutschland 2019 · 80 min. · FSK: ab 12 Regie: Susanne Heinrich Drehbuch: Susanne Heinrich Kamera: Ágnes Pákózdi Darsteller: Marie Rathscheck, Nicolai Borger, Malte Bündgen, Dax Constantine, Monika Freinberger u.a. |
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Mischung aus kühler Analyse und wohltemperiertem Humor |
»Was machst du so?« – »Ich schreibe ein Buch. Aber ich komme über den ersten Satz des zweiten Kapitels nicht hinaus.« – »Wie lautet der Satz?« – »Das war der Satz.« – »Das ist genial.« – »Das ist eine Krise.«
- aus: »Das Melancholische Mädchen«
Beim diesjährigen Festival Max-Ophüls-Preis gewann in diesem Jahr ein Film, der von vielen Beobachtern als Schlag ins Gesicht des konventionellen Konfektionskinos empfunden wurde: Das Melancholische Mädchen von Susanne Heinrich. Jetzt kommt die postmoderne Komödie in Rosa und Hellblau ins Kino.
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Eine junge Frau in der Krise. Und auf der Suche. Sie sucht alles: Eine Wohnung. Einen Mann. Sinn in ihrem Leben. Sie ist Schriftstellerin, dummerweise leidet sie gerade unter einer Schreibblockade.
Wenn man das so erzählt, könnte man glauben, Das Melancholische Mädchen sei ein ganz normaler Film: Mit einer Figur, mit der man sich identifizieren kann, die ein Problem hat, das sich im Lauf des Films löst oder verwandelt, angesiedelt im Hier und Jetzt, erzählt mit den üblichen Verfahrensweisen, die einen Kinofilm oft so wirken lassen, wie die Fortsetzung eines Romans oder Theaterstücks mit anderen Mitteln.
Das trifft irgendwie auch alles zu, und stimmt doch überhaupt nicht. Denn dieser Film unterläuft derartige Erwartungen und erinnert in dieser spielerischen Grundhaltung und seinem Tanz mit Verweisen eher an ein Gedicht. Ein modernes Gedicht, das sich reimen kann, aber nicht muss, das Sinn ergibt, aber nicht immer, das Banales mit Tiefsinnigem paart. Vieles bleibt dem Zuschauer überlassen, auf eine gute Weise. Er ist der Souverän der Erzählung.
Es ist auch bemerkenswert, wie
Maria Rathscheck ihre Figur spielt. Der Auftritt ist ausgezeichnet in seiner Coolness und voller Einfallreichtum. Dazu gehört, dass auch sie selten ganz »in« der Szene ist, dass Rathscheck mit großen Augen in die Welt blickend sehr oft leichte Ironiesignale setzt.
Außerdem ist auch dieser Film ganz und gar selbstreflexiv, steht gewissermaßen, während er läuft, auch neben sich, kommentiert sich durch seine Figuren, oder stellt sich infrage. Mit Dialogpassagen, wie dieser: »Wenn
das hier zum Beispiel ein Film wäre, würden wir jetzt schon all die verlieren, die sich mit der Hauptfigur identifizieren wollen. Im Film muss immer etwas passieren. Melancholischen Mädchen passiert nichts.«
Das ist Ironie pur. Trotzdem muss man der Aussage auch widersprechen. Denn im Debüt der Berliner Regisseurin Susanne Heinrich, das im Januar den Max Ophüls Preis gewann, passiert eine ganze Menge. Heinrich schickt ihre Figur, die den ganzen Film über namenlos bleibt, weil sie eher eine Chiffre ist, ein Zeichen für den allgemeinen Befund – sie schickt diese Figur durch Stationen des modernen Alltagslebens: Zu diversen Liebhabern, in Bars und Clubs, zum Psychotherapeuten, zur Arbeit, oder auch zum Beispiel aus Versehen in einen reichlich absurden, aber der Realität abgeschauten Mutterkursus.
Das alles ist von einer abgründigen Präzision, wie sie dem mittleren Realismus des gewöhnlichen deutschen Kinos widerspricht. Hier passiert alles ganz genauso, nur passiert es auf eine andere Weise, und in einem anderen Stil.
Dieser Stil ist sehr witzig, und sehr sinnlich, geradezu virtuos in seiner Vielfalt und Souveränität: Es gibt Passagen, die choreographiert sind wie ein Ballett, andere, die aus einer Inszenierung der Berliner Volksbühne stammen könnten, und eine, die aus einer minutenlangen Animationssequenz besteht.
Die Dialoge sind oft Montagen aus Texten. In ihrer Wirkung im Kino entfalten sie dann einen grotesken Humor.
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Man könnte jetzt länger über bestimmte Ideen reden. Das geht schon mit dem Titel los: »Melancholie« und »Mädchen«. Glücklicherweise ist Susanne Heinrich eine Frau, denn wenn ein Mann »Mädchen« sagt, hat das meist einen gewissen Hautgout.
Aber was ist eigentlich ein Mädchen. In jedem Fall mehr als nur eine junge Frau oder eine werdende.
Heinrich zitiert dazu ein Buch des französischen Theorie-Kollektivs TIQQUN: »Grundbausteine einer Theorie des jungen Mädchens.«
Und die Melancholie? Das war einmal eine Krankheit. Eine männliche. Wenn auch eine schöner machende, die Krankheit der Dichter und Denker, der Intellektuellen und Künstler. Dürers Stich Melencolia fesselt noch heute die Geister, erst recht, weil er von Dürer ist. Sie war ein Codewort für Handlungshemmung. Das ist es, worunter möglicherweise auch die Menschen dieses Films leiden.
Es fallen Sätze in diesem Film, die mich nachhaltig fesseln. Weil ich über sie bis heute nachdenke. Zum Beispiel: »In der Diktatur der Selbstverwirklichung sind alle Künstler. Deshalb hat sich der Geist der Revolution aus den Künsten zurückgezogen.«
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Das Melancholische Mädchen ist ein sehr guter, aber vor allem ein bedingungslos souveräner Film. Manchmal sperrig, manchmal launisch, auch mal verschwurbelt, oft überraschend und sehr sehr eigenwillig, vor allem intelligent, schön, präzise und wie gesagt sehr witzig – so ist der Eindruck, den der Film hinterlässt, dass er genau so geworden ist, wie ihn die Regisseurin haben wollte. Ohne Kompromisse – eben souverän. Genau das, was
Autorenkino immer war – und was es auch in Zukunft sein sollte. Man kann Heinrich dazu von Herzen gratulieren. Die Regisseurin gehörte zum Kern jener Studenten-Gruppe, die 2016 an der Berliner Filmhochschule DFFB gegen die von der Politik aufoktroyierten neuen Direktorenkandidaten rebelliert hatte – wenn man diesen Film gesehen hat, versteht man, dass der Preis in Saarbrücken auch ein Preis für die alte DFFB-Tradition und ihre freigeistige Art des Filmemachens
war.
Dieses radikale Berliner Autorenkino, für das in früheren Generationen Namen wie Harun Farocki oder Christian Petzold stehen, und das international hochinteressant gefunden wird, ist der deutschen Filmkulturbürokratie nicht kommerziell genug, und daher tendenziell unerwünscht – die Neustrukturierungen der Berliner Filmhochschule durch den Briten Ben Gibson sind genau gegen solche Filme gerichtet. Auch wenn man sich jetzt gerne mit ihnen schmückt, um so dann die
Veränderungen noch um so einfacher durch die Verfahren winken zu lassen.
Darum berichten wir gern der deutschen Öffentlichkeit, dass dieser mit nur 25.000 Euro produzierte Film wahrscheinlich nur möglich war, weil er gegenüber der DFFB-Filmschule als 30-Minüter ausgegeben worden war, weil Heinrich bislang nur Übungsfilme gemacht hatte, die Erlaubnis zu einem Langfilm also nicht bekommen hätte. Hier kann man sehen, wie es trotzdem geht – auch wenn im richtigen Moment der Produzent Phillippe Bober hinzukam: Einfach machen. Nicht auf die Autoritäten hören, oder auf die Dozenten. Allen neueren DFFB-Studenten und denen der HFF München und anderer Filmhochschulen möchten wir sagen: Nehmt Euch ein Beispiel. Wir erinnern Euch gern daran, dass man nur mit einer guten Portion Anarchie weiterkommt, nicht mit Gehorsam, dass ihr Euren Dozenten prinzipiell erstmal nichts glauben solltet, jedenfalls nichts, was nicht ermuntert, sondern Euch abrichten will für das System – wer Verbündete braucht, wird sie bei artechock jederzeit finden. Erkundigt Euch bei den Älteren.
Der Saarbrücker Preis vom Januar war wie der preisgekrönte Film selbst ohne Frage auch ein Hilfeschrei und jedenfalls ein Weckruf gegen die grassierende Konfektionierung und Formatierung des deutschen Kinos, die zur Zeit leider immer mehr überhandnimmt, die künstlerischem Wagemut und kreativer Spontaneität systematisch und sehr bewusst die Luft abdreht. Denn Das Melancholische Mädchen steht gegen den taubblinden Mainstream und alles, was das deutsche Kino zur Zeit in seiner Hauptsache ausmacht. Dieser Film ist eine entschlossene Absage an das konfektionierte, formatierte, von Fördergremien und Fernsehredakteuren abhängige deutsche Mehrheitskino.
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Worum es in Das Melancholische Mädchen am Ende vor allem geht: Die vom Optimierungswahn kolonisierte und zunehmend schematisierte Lebenswelt unserer Setzkasten-Gesellschaft und die sehr fein durchstrukturierte neoliberale Warenwunderwelt. Deren Kälte setzt Das Melancholische Mädchen eine Mischung aus kühler Analyse und wohltemperiertem Humor entgegen.
Dieser Film will gefallen, aber nicht um jeden Preis. Er
stellt sich nicht aus, geht nicht vor dem Publikum und den Geldgebern auf den Strich, wie so viele andere.
Egal was man über diesen Film sonst noch sagen könnte: Er ist immer schon ein bisschen weiter.
In Saarbrücken gewann der Film auch den Preis der Ökumenischen Jury.
Die Begründung: »Unendlich komisch und gleichzeitig todtraurig, bis ins Detail komponierte Bilder, poetische Dialoge, in denen Beziehungen zum Lifestyle erkoren werden. Der Blick für den anderen verbleibt in der Leere. Die eigenwillig-konsequente Bildsprache eröffnet Leerstellen und Räume zum Weiterdenken. Schonungslos und präzise werden gesellschaftliche Zustände vorgeführt, hinterfragt und an die Zuschauenden weitergegeben. Eine junge Frau wird zur Symptomträgerin einer Gesellschaft, die ihre Glücksversprechen nicht einlöst.«
Mitglieder der Jury waren Oliver Groß (Österreich), Marie-Thérèse Mäder (Schweiz), Birgit Persch-Klein (Deutschland) und als Jurypräsident Wolf Dieter Scheid (Deutschland).