USA/D/F 2003 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Robret Benton Drehbuch: Nicholas Meyer Kamera: Jean-Yves Escoffier Darsteller: Anthony Hopkins, Nicole Kidman, Ed Harris, Gary Sinise u.a. |
The Human Stain ist einer dieser raren Filme, in denen zwei Dinge zusammenkommen: eine komplexe Geschichte und eine Narration, die den Figuren Raum gibt. Ersteres ist der Romanvorlage zu verdanken, Philip Roths »The Human Stain« (2000), die für sich eine Fundgrube ist und dem Film auch strukturell eine Menge auf den Weg gegeben hat. Dennoch kann man die Eigenständigkeit von Robert Bentons The Human Stain nur bewundern. Stilsicher, mit melancholischer Konsequenz werden hier die Verfehlungen eines Lebens nachgezeichnet, und die Offenlegung des »Warum« erhebt sich als feinfühliges Echo aus der Erzählung des »Wie«.
Ganz zu Anfang kündigt eine Erzählerstimme an, um welche Art von Geschichte es sich handelt: »The tricky life and bitter downfall of Coleman Silk.« Es ist die Zeit der Lewinsky-Affäre, Kommunismus interessiert nicht mehr und Terrorismus interessiert noch nicht, und das amerikanische Volk verfolgt mit Hilfe von Aufrührern wie Ken Starr die sexuellen Praktiken ihres Präsidenten. Im Namen der Political Correctness werden moralistische Debatten geführt, deren Angriffsfläche öffentliche wie private Sphären gleichermaßen umfasst. Dieser Grenzbereich, beziehungsweise sein Verschwinden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist wiederkehrendes Thema in vielen Romanen Roths. Und es ist genau diese absurde Verknüpfung von Privatem und Öffentlichem, die Coleman Silks (Anthony Hopkins) Abstieg bedingt und sein Leben bis weit in die Vergangenheit mit einem »stain«, einem Makel versieht.
Coleman leitet als altehrwürdiger und erster jüdischer Dekan das Classics Department am Athena College in Massachusetts. In einem Seminar über Antike Literatur kommentiert Coleman das Fehlen zweier Studenten seit Beginn des Semesters: »Do these people exist – or are they ... spooks?«. Umgehend muss er sich vor dem Fakultätsrat verantworten, denn »spook«, entgegen der Intention Colemans, kann statt »Geist, Erscheinung« auch »Neger« bedeuten. Und die beiden gesichtslosen Studenten sind Schwarze, so will es die dramatische Zuspitzung der Geschichte. Als bereits alles zu spät ist, erklärt sich Coleman: Sein Vater konnte die Schule nur bis zur siebten Klasse besuchen, »but he insisted on the precision of words. And I have kept faith with them.« Die angestrebte Denotation des Wortes »spooks« war präzise, doch es ist die im Sinne politischer Korrektheit vorgeschobene Konnotation, die Coleman Silk – bereits sein Name verweist auf eine innere Bipolarität – ins Wanken bringt. Von hier aus beginnt sich sein ganzes kompliziertes Leben aufzurollen, nachdem er selbst dies all die Jahre erfolgreich verhindert hatte. Und erst am Ende es Films versteht man, warum Colemans Weigerung, sich gegen den Vorwurf des Rassismus vehement zu verteidigen, nicht nur eine Ironie des Schicksals, sondern zugleich unabänderlich ist.
Coleman gibt seinen Posten als Dekan auf und kehrt dem System »Universität« radikal den Rücken. In dem Schriftsteller Nathan Zuckerman (Gary Sinise) hofft er ein Sprachrohr für das ihm widerfahrene Unrecht zu finden. Zuckerman, der den Lesern Roths als sein alter ego bekannt sein wird, lebt selbst das Leben eines Ausgestoßenen. Nach zwei gescheiterten Ehen, gezeichnet durch die Folgen eines Prostatakrebses hat er das Eremitendasein gewählt. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft, die nicht nur Zuckermans Lebensgeister weckt – Coleman beginnt eine heftige Affäre mit einer Frau, die nur halb so alt ist wie er. Faunia Farely (Nicole Kidman) ist am Athena College angestellt und verdient sich ihr Geld mit Besen und Putzlappen. Auch ihre Vergangenheit birgt bittere Geheimnisse, die sich wie ein trüber Film über die Gegenwart legen. Ständig lebt sie in der Angst, ihr geschiedener Ehemann (verstörend: Ed Harris) könnte sie wieder bedrohen. Als PTSD geschädigter Vietnamveteran scheint er zu allem fähig.
So unerwartet die Affäre zwischen Coleman und Faunia beginnt, so stark sind ihre Auswirkungen. Beide befinden sich bei ihrer Begegnung in einem Zustand der Entwurzelung, und es ist diese gemeinsame Ebene, auf der sie sich dem anderen wie einem Spiegelbild annähern können. Parallel dazu beginnt Coleman, sein Leben zu reflektieren. Rückblenden erzählen von seiner Jugendzeit und von einer schwerwiegenden Entscheidung, die nicht nur alles für ihn verändert hat, sondern mit der er sich auch schuldig gemacht hat. Hier ist es die subjektive Perspektive Colemans, die die Erzählerstimme Zuckermans über den gesamten Mittelteil des Films ablöst. Als die Geschichte ihren letzten Atemzug nimmt, ergreift der Erzähler, Nathan Zuckerman, wieder das Wort und teilt dem Zuschauer mit, dass er nun tatsächlich ein Buch schreibt, das Colemans Leben Rechnung tragen soll. Durch die Kombination der beiden Erzählperspektiven birgt der Film am Ende alle Facetten des Buches, das Zuckerman im Begriff ist zu schreiben – eine Mischung der Dinge, die für ihn von außen sichtbar waren und der, die nur Coleman erinnern konnte: ein doppelter Verweis auf die Romanvorlage.
In einigen amerikanischen Kritiken wurde vorschnell geurteilt, Wentworth Miller würde mit keiner noch so wohlwollenden Phantasie als junger Anthony Hopkins durchgehen, ebenso sei Kidman eine Fehlbesetzung für die Rolle einer illiteraten Putzfrau. Verfechter einer konservativen Besetzungspolitik werden The Human Stain daher nur geschmälerten Genuss abgewinnen können. Alle anderen werden überrascht den Hut ziehen. Vor Anthony Hopkins, weil er nach einer Phase schauspielerischer Dead End Lanes einen Turn wagt – und ihn besteht! – vor Nicole Kidman, weil sie mit der Figur der Faunia eine weitere Person schafft, die ihrer primären Schauspielernatur diametral entgegenliegt – und vielleicht am ehesten vergleichbar ist mit ihrer Performance in Birthday Girl.
Die Größe der Figuren in The Human Stain ist jedoch zu gleichen Teilen Robert Bentons Inszenierung zu verdanken. Sein Gespür für die Widrigkeit menschlichen Zusammenfindens hat ihn bereits bei Bonnie and Clyde (1967, Drehbuch) und Kramer vs. Kramer (1979, Regie & Adaption) nicht getäuscht. So verhilft er auch Philip Roths Roman zu Bildern voll subtiler Kraft und komplexer, dunkler Ironie. Der Film schlägt viele Erklärungen in Form von Ahnungen und Erinnerungsbildern Colemans vor, er deutet lieber an, anstatt seinen Figuren allzu passgenaue psychologische Motive überzustülpen. Das gibt Hopkins und Kidman schauspielerischen Raum, und genau dieser Raum lässt sie komplexe, mehrdimensionale Charaktere kreieren. Man glaubt Kidman, dass sie eine illiterate Putzfrau sein kann, man glaubt Hopkins, dass er, der intellektuelle Literat, eine solche Frau lieben kann.
Nicht zuletzt ist The Human Stain ein Plädoyer für das Überwinden von Grenzen innerhalb der Gesellschaft. Denn Colemans Abstieg wird zwar ausgelöst durch ein falsches Wort, doch wurzelt er in Colemans fehlendem Mut, sich in der Vergangenheit einem fehlerhaften System zu stellen. Der »stain«, der menschliche Makel, die Beschmutzung – das ist die Schuld des Einzelnen, aber auch der Gesellschaft, das ist Rassismus und Klassendenken, sind alle Dinge, die moralischer Reinheit entgegenstehen. Genauso auch der Beiklang, den manche Wörter im Laufe der Zeit erhalten und die sie zu Fahnenreitern einer absurden Political Correctness werden lassen. Heutzutage, diesen Punkt macht der Film, ist Political Correctness das widersinnige Medium eines Krieges mit Worten. In sich ein Oxymoron.