Peru/Portugal 2025 · 77 min. Regie: Tatiana Fuentes Sadowski Drehbuch: Tatiana Fuentes Sadowski Kamera: Tatiana Fuentes Sadowski, Isabel Madueño Medina Ton: Félix Blume |
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Am Anfang stehen Fotos… | ||
(Foto: Berlinale | Miti Films) |
Marginalisierte Positionen und Narrative des globalen Südens führen Traditionen des Dritten Kinos aus dem Lateinamerika der späten 1960er fort. An die Form des dort ausgerufenen »unreinen Kinos« knüpft der mit dem Fipresci-Preis ausgezeichnete La memoria de las mariposas (The Memory of Butterflies) von Tatiana Fuentes Sadowski an. Die dort erfolgende Verhandlung postkolonialer Fragen artikuliert nicht nur eine diskursgesteuerte, sondern vor allem auch eine ästhetische Diversität.
Der peruanische Film war im Programm des Forums der Berlinale zu sehen. Die zweite von Barbara Wurm geleiteten Ausgabe wies mit 31 Filmen eine enorme Bandbreite auf; die durchaus heterogene und vielfältige Zusammenstellung eint dabei eine große Lust aufs Ausprobieren neuer Erzählmuster oder Darstellungsmodi. Dokumentarische Formen stehen neben essayistisch-experimentellen Formaten, und beides vereint sich im Film der Peruanerin Sadowski.
Am Anfang ihres Filmprojekts stand ein altes verblichenes Foto, ein historisches Dokument aus einem Album aus Iquitos in Peru. Es zeigt zwei Indigene, die 1911 aus dem Regenwald am Oberlauf des Amazonas, im Grenzgebiet zwischen Peru und Kolumbien, nach London verbracht wurden.
Omarino und Aredomi, das sind die Namen der beiden: »London is very beautiful, but the great river and the forest, where the birds fly, is more beautiful. One day we shall go back«, so werden sie in den »Daily News« 1911 zitiert, wie wir erfahren. Sie sollen tatsächlich wieder zurückgekehrt sein, doch ihre Spuren haben sich verloren…
Tatiana Fuentes Sadowski folgt diesen Spuren in die Vergangenheit, die zunächst zu historisch belegbaren Fakten führen. Sie stößt auf die Zeugnisse des britischen Diplomaten Roger Casement, der Omarino und Aredomi nach London brachte, als lebende Beweisstücke gewissermaßen, mit denen er die grausamen Praktiken der Kautschukgewinnung im Regenwald im Grenzgebiet zwischen Peru, Kolumbien und Brasilien anprangern wollte. Die Striemen und Narben auf ihren Rücken zeugen von der Züchtigung durch Peitschenhiebe, mit denen die Indigenen zur Sklavenarbeit gezwungen wurden. Casement ging es um die besonders brutalen Methoden des Unternehmens Casa de Arana, dessen Praktiken zwischen Iquitos in Peru und La Chorrera in Kolumbien, im Gebiet des Putumayo, eines Zuflusses des Amazonas, Formen eines Genozids annahmen. Huitoto, Andoque, Ocaina, Nonuya, Bora, Naimene, Resígaro, Muinane, so ertönen die Namen der teilweise ausgelöschten Ethnien beschwörend geflüstert auf der Tonspur.
Die Beschwörung dieser verlorenen Kulturen im Regenwald greift auf eine Reihe von historischen Archivaufnahmen zurück, unter anderem von dem Portugiesen Silvino Santos, der in den 1920er Jahren am Amazonas anthropologische Dokumentationen erstellte. Wie das Foto sind auch diese alten Filme Belege für einen kolonialen Blick der Beherrschung, der in den sichtlichen Verschleißspuren des Materials als Gestus der Beschädigung, der Gewalt spürbar wird. Diese Aufnahmen werden kombiniert mit eigenem Schwarz-Weiß-Material auf Super-8, von Sadowski vor Ort gedreht und selbst entwickelt. Sie bediente sich dabei verfremdender Praktiken, die bei experimentellen Filmemachern nicht ungewöhnlich sind. So bearbeitete sie die Filmstreifen, indem sie diese im Boden des Regenwalds vergrub. Einmal sieht man, wie das Filmmaterial wie Wurzelwerk aus dem feuchten Erdreich des Regenwaldes mit bloßen Händen gezogen wird. Ein Verfahren, das einem magischen Ritus ähnelt und eine mimikryhafte Angleichung des Materials an den Gegenstand vollzieht. Auch die Diskrepanz zwischen dem historischen Archivmaterial mit seinen Verschleißspuren und dem von der Regisseurin neu gedrehten Material sollte so überbrückt werden, eine Anschmiegung an den Verfallsprozess, dem die Dokumente unterworfen waren. Es sind dies auch die Prägemale der Gewalt, die sich so dem Film in buchstäblicher Form einbrennen: untilgbare Narben wie die auf dem Rücken von Omarino und Aredomi.
Die faszinierend flackernden Bilder werden begleitet von einem vorsichtig tastenden Off-Kommentar, der sich nie in den Vordergrund drängt oder aufdringlich wird, der sein Vorhaben immer skeptisch hinterfragt und die eigenen Beweggründe mit verhandelt. Der persönliche Bezug der Regisseurin ergab sich, als sie bei der Recherchearbeit entdeckte, dass die Familie ihres Mannes, des Vaters ihres Sohnes also, von jenen Kautschukbaronen abstammte, die am Putumayo ihr Unwesen trieben.
Zu der Stimme gibt es eine flirrend-sinnliche Tonspur, die sich der Zusammenarbeit mit dem französischen Soundscape-Künstler Félix Blume verdankt. Er erzeugt mit seinen Feldaufnahmen aus dem Regenwald eine intensive Geräusch- und Soundinstallation, die die Zone zwischen Historie und Imagination akustisch auslotet.
So stoßen Sadowskis Bilder für das Unvorstellbare der indigenen Schicksale in eine Dimension vor, die einen poetischen Raum der Exploration eröffnet. Die Dokumente erweisen sich als ambivalent: sie sind nicht nur Zeugnisse des kolonialen Zugriffs und der Barbarei, sondern auch ein Schwellen-Medium, über das sich das Eingedenken Walter Benjamins ereignet. Nachdrücklich weisen sie auf die Erlösungsbedürftigkeit der Opfer vergangener Unterdrückung hin. Im Film selbst vollbringt Sadowski die imaginäre Rückführung von Omarino und Aredomi zu den Ethnien im Regenwald. Wie die Regisseurin das filmische Material überformend bearbeitet, so unterziehen die Indigenen die ihnen mitgebrachten Fotos und Dokumente ihrer Vorfahren einer Übermalung und Überschreibung. Keine Aufhebung oder Wiedergutmachung des Leids und des Unrechts, aber eine Würdigung und Anerkenntnis.