Türkei/D/NL 2009 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Asli Özge Drehbuch: Asli Özge Kamera: Emre Erkmen Darsteller: Fikret Portakal, Murat Tokgöz, Umut Ilker, Cemile Ilker u.a. |
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Schwerstarbeiter Blumenverkäufer |
Ganz langsam tritt der Sound der Großstadt aus der Stille hervor. Man hört das ständige Grundrauschen von Autos, gelegentlich eine Polizeisirene. Dann sieht man die Brücke: Hell gleißend im Sonnenlicht, bald darauf in der Nacht, erleuchtet vom flüchtigen Scheinwerferlicht vorbeifahrender Autos und von der Kulisse Zehntausender Lichter der Metropole im Hintergrund. Die Brücke, die in dem deutschen Film Men on the Bridge schon im Titel vorkommt, ist die Bosporusbrücke, jenes monumentale Bauwerk, das seit bald 40 Jahren den europäischen und den asiatischen Teil von Istanbul miteinander verbindet. Es ist das Herz dieses Films, der von drei Menschen erzählt, die diese Brücke täglich kreuzen, die auf ihr arbeiten. Es ist dabei zugleich das Symbol für die kulturelle Vielstimmigkeit der türkischen Metropole mit ihren 13 Millionen offiziell gemeldeten Einwohnern, wie auch für die zwei Seiten der ganzen Türkei.
Istanbul hat viele Gesichter. Und es hat viele Töne. Vor einigen Jahren hatte Fatih Akin einen Dokumentarfilm über Istanbul gedreht. Er hieß Crossing the Bridge und porträtierte die vibrierende Popszene der Metropole, zeigte vor allem die schöne, europäisch anmutende Seite dieser heimlichen Hauptstadt der Türkei. Schon der Titel war da Programm, es ging dort darum, eben die Brücke zwischen den zwei Kulturen doppelt zu kreuzen: Für die Türken darum den Schritt ganz nach Europa zu tun, wie für uns selbstgewisse Europäer, uns zu trauen, und uns für die ganze Fülle der Türkei zu öffnen.
In Men On The Bridge gibt es kein bisschen Musik und Ethnokitsch, sondern nur den Muezzin, die Wirklichkeit, so rau und so schön, wie sie gerade ist. Men On The Bridge ist zwar ein Spielfilm, aber ein sehr dokumentarischer und entspricht damit den Tendenzen des jüngeren Kinos, das in der ganzen Welt beide Formen zunehmend mischt. Der Titel bereits bemüht zwar einmal mehr die so oft strapazierte Metapher von Istanbul als Brücke zwischen Asien und Europa. Zugleich ist der Film zögernder, nachdenklicher, und auch suchender als Akins Entertainment-Doku. Der Film weiß noch nicht, was er findet, er beschreibt die Suche, und damit einen Zwischenzustand.
Das entspricht ganz den Erfahrungen von Asli Özge. Die Regisseurin ist in Istanbul geboren, lebt aber seit langem in Berlin. Ihr zweiter Spielfilm sammelt vor allem Momentaufnahmen von drei sehr ungleichen, aber repräsentativen Lebenswegen: Da ist der Verkehrspolizist Murat, der auf der Brücke den Verkehr regelt und Autos kontrolliert. Da ist Umut, der Sammeltaxis fährt, und die Brücke oft kreuzen muss. Und da ist Fikret, ein Blumenverkäufer, der seine Ware im Dauerstau der Brücke verzweifelt feilbietet.
Über diese Figuren sammelt der Film viele kleine Details aus dem Dickicht der Großstadt. Die Methode der Regisseurin ist halbdokumentarisch: Asli Özge ließ sich von real existierenden Schicksalen inspierieren, schrieb ein Drehbuch und bot den Protagonisten an, sich selbst zu spielen – eine filmische Methode im Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion, die zur großer Authentizität und Echtheit führt.
So kreiert die Regisseurin einerseits Bilder für die ganze Türkei mit ihren sozialen Hierarchien, ihren kulturellen Differenzen, ihren sehr engen Familienbeziehungen. Es sind andererseits aber auch Bilder für unser aller Leben im globalen, digitalisierten Kapitalismus, in dem alles rasend schnell gehen muss, und jeder täglich ums Überleben kämpft.
Indirekt, aber deutlich genug ist Men On The Bridge – den man ebenso als »Männer auf der Brücke« übersetzen könnte wie als »Menschen auf der Brücke« – damit auch ein sehr politischer Film:
Bei der Parade zum Tag der Republik rufen die paradierenden Soldaten im Stakkato »Glücklich ist, wer sich Türke nennen kann«. Die Art des Filmschnitts der Bildauswahl markiert Distanz zu diesem einen, offiziellen Bild der Türkei.
Nicht weniger real sind aber die kleinen Träume: Wie die von zwei Jungen, die Rapper werden wollen, und regelmäßig üben, um ihren Rhythmus für die Großstadt zu finden. Es ist genau dies, wie sich der Sinn für die Realität mit dem Sinn für Träume und Utopien verbindet, der Men On The Bridge zu einem ganz besonderen Kinoerlebnis macht.