USA 2017 · 112 min. · FSK: ab 6 Regie: Noah Baumbach Drehbuch: Noah Baumbach Kamera: Robbie Ryan Darsteller: Adam Sandler, Ben Stiller, Dustin Hoffman, Emma Thompson, Grace Van Patten u.a. |
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Leben statt überleben |
Man muss sich vor diesem Film vielleicht gleich zweimal auf den Kopf hauen, um Vorurteile mit Wucht rauszuschlagen. Denn zum einen ist da Adam Sandler, der in den letzten Jahren zwar von einer (finanziell) erfolgreichen Produktion zur nächsten eilt, aber von der Kritik nur mit Entsetzen wahrgenommen wird. Filme wie Judd Apatows Funny People, aber auch That’s My Boy oder You Don’t Mess with the Zohan werden entweder vergessen oder ignoriert. Und Sandler nun gleich auch noch neben dem anderen Dummbatz vom Dienst Ben Stiller gestellt zu bekommen, aber immerhin im Schlepptau von Dustin Hoffmann und Emma Thompson – wie soll das gut gehen?!
Zum anderen, und das mag für viele noch schwerer wiegen, sind Noah Baumbachs Meyerowitz Stories zwar ein Kinofilm, werden aber wohl nie im Kino laufen. Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes, wo Baumbachs Film Premiere feierte, geriet die Festivalleitung deshalb massiv in die Kritik, denn Baumbach hatte seinen selbst finanzierten Film an den Streaming-Dienst Netflix und nicht die üblichen für Kinos zuständigen Verleiher verkauft und damit einen regulären Kinostart ausgeschlossen, dafür aber seit letzten Freitag einen Start in unzähligen Privathaushalten auf Fernsehbildschirmen ermöglicht.
Da das Kino genauso wenig wie einst das Radio durch das Fernsehen über eine weitere mediale Plattform sterben dürfte, sollte man vielleicht die »Not« als Chance begreifen, Netflix' Schritt sogar als »Förderung« einer aussterbenden Spezies begreifen. Denn kaum ein unabhänig produzierter »Autorenfilm« schaffte in den letzten Jahren überhaupt noch die in Deutschland zum Überleben notwendigen 90.000 Zuschauer, nicht einmal ein Festival-Winner wie Ich, Daniel Blake.
Und da die Meyerowitz Stories selbst auf einem 5.5 Zoll kleinen Smartphone-Bildschirm hervorragend funktionieren, bleibt eigentlich nur noch Sandler. Aber auch hier kann Entwarnung gegeben werden, denn was Sandler hier in seiner Rolle als schwer gezeichneter Sohn eines Künstlers (Dustin Hoffman) und Vaters einer sich emanzipierenden Tochter (Elizabeth Marvel) leistet, ist Sandlers mit Abstand beste schauspielerische Leistung seit Funny People. Und es ist natürlich nicht nur Sanders, sondern vor allem auch Baumbachs starke Geschichte und ein hervorragendes Drehbuch, dass die Meyerowitz Stories zu einem Glücksfall erzählerischen, tragikkomödiantischen Kinos machen und Baumbach außerdem helfen sich vom schon leicht angestaubten Junge-Leute-leichte-Krisen-Genre einer Frances Ha oder eines While We're Young endlich zu emanzipieren.
Zwar erinnert die Grundkonstellation von Baumbachs Stories ein wenig an Tamara Jenkins The Savages, in dem sich ebenfalls ein Geschwisterpaar (Laura Linney und Philip Seymour Hoffman) an ihrer ambivalenten Vaterbeziehung abarbeiteten. Doch war Jenkins Film vor allem ein Film über die Sprachlosigkeit kaputter Beziehungswelten, sind Baumbachs Meyerowitz Stories eine im therapeutischen Sinn fast ideale Gesprächstherapie. Jeder versucht hier mit jedem neue (Beziehungs-) Freiheiten auszuhandeln oder wenigstes alte Missstände zur Sprache zu bringen. Diese verbalen Beziehungskreuzfeuer erinnern an die stärksten Szenen von Woody Allens mittlerer Schaffensphase wie Hannah und ihre Schwestern, sind aber dennoch in einer New Yorker Gegenwart verankert, die sich deutlich von der des damaligen Allen abhebt.
Das liegt nicht nur daran, dass Baumbach gleich mehrere Generationen einer Familie in seinen Gesprächsreigen mit einbezieht, sondern zudem dezent, aber pointiert Alltagsvignetten aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen mit einstreut – sei es Finanzberatung, Krankenhausleben oder die Befindlichkeiten der New Yorker Kunstszene und ihrer Künstler. Gerade die konzentrierten Blicke auf die Kunstszene und die damit verbundenen innerfamiliären Konflikte und Erwartungshaltungen bieten in ihrer verzauselten, verqueren Lebendigkeit und ihrer fast selbstverständlichen Leichtigkeit einen kaum zu überbietenden Kontrast zu dem dieser Tage ebenfalls startenden The Square von Ruben Östland. Denn da, wo bei Östland alles kühle gesellschaftliche Analyse, bittere Satire und Gedankenspiel ist, wo Sprache und Verstehen selten zusammenkommen und Familienstrukturen unweigerlich erodieren, ist es bei Baumbach in seinen Meyerowitz Stories genau umgekehrt, wird das Kaputte zwar ebenfalls registriert, aber über arbeitsreiche Dialoge wieder zu einem Ganzen geformt, also dem Leben zugesehen, wie es sich selbst heilt, wird gelebt statt überlebt.