Mein Stück vom Kuchen

Ma part du gâteau

Frankreich 2011 · 109 min. · FSK: ab 12
Regie: Cédric Klapisch
Drehbuch:
Kamera: Christophe Beaucarne
Darsteller: Karin Viard, Gilles Lellouche, Audrey Lamy, Jean-Pierre Martins, Zinedine Soualem u.a.
Arme Nomadin, reicher Nomade

Das Floß der Verrückten auf dem Fluss der Irren

»Severed from any national alle­gi­ance or family ties by micro-chip based
gadgets . . . the consumer-citizens of the world’s privi­leged regions will
become rich nomads. . . . These wealthy wanderers will ever­yw­here be confronted
by roving masses of poor nomads – boat people on a planetary
scale – seeking to escape from the destitute periphery, where most of the
earth’s popu­la­tion will continue to live.«
J. Attali Millenium: Winners and Loosers in the Coming World Order, 1992

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Eigent­lich kaum zu glauben, dass Jaques Attali in seiner kris­tall­klaren, nüch­ternen Globa­li­sie­rungs­vi­sion vor fast zwanzig Jahren einen wichtigen Punkt übersehen hat: dass nämlich das weltweite Umher­ziehen reicher und armer Arbeits­no­maden irgend­wann nicht mehr nur eine weltweite Orga­ni­sa­tions- und Über­le­bens­form werden wird und geworden ist, sondern ganz im Sinne der Revo­lu­tion, die ihre eigenen Kinder frisst, auch eine regionale Ange­le­gen­heit. Die Peri­pherie ist inzwi­schen überall, die armen Nomaden sind beileibe nicht mehr nur schwarz, braun oder gelb, sondern mitunter auch deutsche, englische oder fran­zö­si­sche Mutter­sprachler. Eine abstrakte Geschichte voller aber­wit­ziger und kompli­zierter wirt­schafts­theo­re­ti­scher Kehrt­wen­dungen. Dass diese Geschichte aller­dings auch großartig unkom­pli­ziert, lebendig, ergrei­fend und erschüt­ternd erzählt werden kann, zeigt Cédric Klapisch fast exem­pla­risch in einer irren, tragi­ko­mi­schen filmi­schen Grat­wan­de­rung.

Klapisch, inspi­riert durch die Wirt­schafts­krise 2008 und moti­vi­schen z.T. dekon­stru­ierten Anleihen aus Pretty Woman, Looking for Eric und den Capra-Komödien Lady for a Day und You can’t take it with You, erzählt ín Mein Stück vom Kuchen eine der vielen Aller­welts­ge­schichten unserer gegen­wär­tigen Risi­ko­ge­sell­schaft: Eine allein­er­zie­hende Mutter von drei Kindern wird arbeitslos, weil die Fabrik, in der sie arbeitet aus undurch­sich­tigen Gründen geschlossen wird. Die Beleg­schaft demons­triert, France (Nomen est omen und wunderbar abgründig: Karin Viard) aber glaubt nicht mehr an den Erfolg der tradi­tio­nellen, fran­zö­si­schen Protest­kultur. Sie lässt ihre Kinder in Dünkir­chen zurück, lässt sich als regionale Migrantin unter globalen Migran­tinnen in Paris zur Putzfrau ausbilden. Eine Stelle findet sie im Büro- und Wohnloft des Börsen­hais Steve (herrlich ambi­va­lent eklig: Gilles Lellouche), der sie in die abstrakten Realitäten welt­weiter Finanz­deals einführt. France beginnt zu verstehen, warum die Fabrik in Dünkir­chen geschlossen worden ist, doch dass Steve selbst die Hand im Spiel gehabt hat, erfährt sie erst, als sich beide emotional schon fast zu nah gekommen sind.

Klapisch gelingt es dabei nicht nur die komplexe Broker- und Banken­welt trans­pa­rent zu machen, sondern auch die unter­ge­hende Arbei­ter­kultur Frank­reichs in authen­ti­sche Bilder zu fassen und dabei auch noch so etwas wie eine Liebes­ge­schichte zu erzählen. Das er dabei immer wieder verein­facht und Klischees bedient, tut dem Film über­ra­schend gut. Denn eine Nation, im Grunde aber die ganze moderne westliche Indus­trie­ge­sell­schaft wie auf dem Floß der Medusa sich langsam kanni­ba­li­sieren zu sehen, wäre in allzu komplexen Details kaum zu ertragen. Es reicht vielmehr schon der Schmerz darüber, einmal mehr und dazu noch in großen Bildern durch­ex­er­ziert zu bekommen was Karl Marx bereits in seinen frühen Schriften formu­liert hat: »Wenn Geld das Band ist, das mich ans mensch­liche Leben bindet, die Gesell­schaft an mich bindet, ist Geld dann nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es daher nicht das univer­selle Mittel der Trennung?«