Italien/D/CH 2018 · 100 min. Regie: Laura Bispuri Drehbuch: Francesca Manieri, Laura Bispuri Kamera: Vladan Radovic Darsteller: Valeria Golino, Alba Rohrwacher, Sara Casu, Udo Kier, Michele Carboni u.a. |
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Die Tochter und ihre zwei Mütter |
»Questo amore non si tocca«, singt in einer der schönsten Szenen Gianni Bella aus dem Radio – »diese Liebe berührt man nicht«. Angelica singt mit. Sie singt für ein zehnjähriges Mädchen, das wie sie lange rotblonde Haare und eine weiße Haut hat; die Ähnlichkeit suggeriert Verwandtschaft, sie haben sich trotzdem gerade erst kennengelernt.
Die unantastbare Liebe – das ist zum Beispiel die Liebe der Mutter zu ihrem Kind. In Meine Tochter – Figlia Mia hat Laura Bispuri zwei Mütter ins Rennen um diese bedingungslose Liebe geschickt: Tina (Valeria Golino) ist die soziale Mutter für die zehnjährige Vittoria (Sara Casu), sie hat sie großgezogen. Angelica (Alba Rohrwacher) ist die andere, die leibliche, die ihr Kind nach Geburt an Tina übergeben hat. Sie haben vor der Geburt des Kindes einen Pakt geschlossen: die eine bekommt das Kind, das sie selbst nicht haben kann, die andere bekommt dafür Geld und kann sich damit über Wasser halten. Mit einem Kind, das auch sie nicht haben kann.
Laura Bispuri schickt uns in eine Art Salomonischen Film, und inszeniert das alte moralische Urteil, welche von den beiden Müttern wohl berechtigterweise »figlia mia« sagen sollte. In der Bibel gab es das Urteil des Salomon und die von ihm verordnete buchstäbliche Kind-Zerreißprobe. Vor dieser wich die echte Mutter zurück und verzichtete auf das Kind, um es vor dem Tod zu bewahren. In Bispuris Film geht es nicht ganz so tragisch zu, dennoch wird auch hier die konträre Konstellation der beiden Mütter zur Zerreißprobe für das Kind – und der Zuschauer darf, so er will, den Richter spielen.
In den Antagonistinnen begegnen sich die Mutter und die Nutte, »la maman et la putain«, wie bei Jean Eustache. Angelica ist zwar, wie ihr Vorname suggeriert, von engelhaftem Aussehen, sie lässt aber nichts anbrennen: Alkohol und Männer sind die Fixpunkte in ihrem haltlosen Leben. Tina, die brünette Ziehmutter, ist die langweilige von den beiden, gehemmt und ordnungsbewusst. Schon klar, wo die Sympathien hingehen, der Tochter wie auch des Zuschauers. Immer mehr Zeit verbringt Vittoria bei ihrer leiblichen Mutter, immer mehr lässt sie sich in deren Welt der Unvernunft und verrückten Ideen hineinziehen, in der immer wieder auch Grenzen überschritten werden: Etwa, wenn Vittoria die lebenshungrige Angelica naiv bei ihren nächtlichen Streifzügen begleitet oder für sie eine entsetzlich gefährliche Mutprobe besteht – am Ende eine Initiation in ein neues Leben.
Laura Bispuri hat die Geschichte von den beiden Frauen, die um das geliebte Kind kämpfen, als sozialrealistischen Western inszeniert. Ein Frauenwestern ganz ohne Spaghetti (meist werden Dosen geöffnet, das ist dann der sozialrealistische Aspekt), dafür mit einer Einsiedlerin, die inmitten der Wüste Sardiniens auf einer Ranch mit ihren Pferden und Hunden lebt. Eine weltvergessene Aussteigerin, so scheint es, die zu kämpfen beginnt, als sie ihren Hof verlieren soll. Und die Tochter, die sie gerade erst kennenlernt.
Wie in allen guten Western ist auch hier die Landschaft der dritte Protagonist. Laura Bispuri lässt ihre Figuren immer wieder den langen Weg von der Ranch durch die Wüste zum Dorf und zurück machen, zu Fuß und im Jeep; die heiße Trockenheit stäubt dann im Sand auf, und der Durst wird als Lebensdurst begreifbar, der über der toten Landschaft liegt. Vor dieser ist das Spiel der Alba Rohrwacher mit der jungen Sara Casu einfach nur umwerfend und lässt einen geradezu sehnsüchtig nach einer flirrenden Leichtigkeit und Unbändigkeit zurück, die die Zivilisation für uns ausgeschlossen hat.
Bleibt noch zu erwähnen, dass Figlia Mia auf Filmmaterial gedreht wurde, um die Liebeserklärung an diesen Film komplett zu machen.