GB/USA 1996 · 132 min. Regie: Neil Jordan Drehbuch: Neil Jordan Kamera: Chris Menges Darsteller: Liam Neeson, Julia Roberts, Aidan Quinn, Alan Rickman u.a. |
»Tatsächlich gibt es auch bis zum heutigen Tage kein einziges Geschichtswerk, das in dem geforderten Sinne objektiv wäre. Sollte aber einmal ein Sterblicher die Kraft finden, etwas so Unparteiisches zu schreiben, so würde die Konstatierung dieser Tatsache immer noch große Schwierigkeiten machen: denn dazu gehörte ein zweiter Sterblicher, der die Kraft fände, etwas so Langweiliges zu lesen.« Egon Friedell, 1927.
Der Regisseur ist Ire und er hat lange an der Geschichte gebastelt. Neil Jordan hat immer wieder Umwege über die Hollywood-Auftragswerke machen müssen, um zwischendurch seine persönlichen Filme durchsetzen zu können. Der Drehbuch-Oscar für The Crying Game und der finanzielle Erfolg von Interview mit einem Vampir haben ihm, dem schon so lange Vielversprechenden, nun ein paar weitere Tore geöffnet. Sein längst geplantes Projekt, die Lebensgeschichte von Michael Collins zu verfilmen, konnte er mit entsprechender Fulminanz verwirklichen.
Die Gefahr ein gefälliges Histörchen vorzulegen hat er, trotz der offensichtlichen Zugeständnisse an ein Massenpublikum, allerdings vermieden. Hat Jordan sein Publikum in seinen letzten Filmen gerne an der Nase herumgeführt und schmunzelnd wieder entlassen, so bezieht er nun Stellung und provoziert Diskussionen, denn mit Michael Collins hat er sich eine sehr umstrittene Hauptfigur für eine Helden-Saga ausgesucht; Collins nämlich gilt in Irland nicht unbedingt als Held.
Sein Kollege Oliver Stone betreibt diese Art, heiße Eisen aufzugreifen, seit Jahren erfolgreich, zuletzt als Produzent von Larry Flint. Die Kontroversen in Irland sind für die Restwelt jedoch schwerer nachvollziehbar als Stones Thesen über JFK, die Doors oder Nixon – Die grüne Insel ist ja für Außenstehende nichts weiter als ein Ausbund an Putzigkeit, selbst die Kriege dort haben so was herrlich rückständiges an sich, man denkt da an den niedlichen Charme bewaffneten Widerstandes. Diese Vorstellungen wird auch Jordan mit seinen Stars, seinem Sinead O’Connor-Soundtrack und seinen Bildern von den polternden, leidenschaftlichen Iren kaum widerlegen.
Dublin 1916. Die britische Besatzungsmacht schlägt einen Aufstand irischer Republikaner erbarmungslos nieder. Die Führer der Aufständischen werden entweder vors Standgericht gestellt oder eingesperrt. Im Gefängnis landen der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung de Valera (Alan Rickman), sowie seine Mitstreiter Michael Collins (Liam Neeson) und Harry Boland (Aidan Quinn). Nach ihrer Entlassung im Jahre 1918 bleiben Boland und Collins weiterhin Mitglieder von de Valeras Schattenkabinett; es gilt, den irischen Widerstand am Leben zu erhalten.
Michael Collins ist beileibe kein Diplomat, sein Wesen ist herzlich und ruppig. Während andere politische Lösungen suchen, beginnt er eine Armee zu organisieren, um sie der britischen Unterdrückergewalt entgegenzustellen. Seine strategischen Schachzüge, bei denen die Iren auch vor gewalttätigen Anschlägen nicht länger zurückschrecken, erweisen sich auf Dauer als erfolgreich. Die britische Regierung lenkt schließlich ein und erklärt sich verhandlungsbereit. De Valera schickt ausgerechnet Collins in die Verhandlung. Der gefeierte Volksheld verwandelt sich umgehend in den Buhmann der Nation, denn der Kompromiß den er sich von den Briten aufschwatzen läßt, findet in seiner Heimat keinerlei Zustimmung. Zwar darf endlich ein Freistaat Irland, nicht jedoch eine irische Republik gegründet werden, zudem bleibt der Nordteil des Landes Großbritannien zugehörig. Erbitterte Kämpfe trennen nun die Widerstandskämpfer voneinander, so verliert Collins auch seinen besten Freund, Harry Boland, der von Collins Gefolgsleuten getötet wird. Nach diesem Erlebnis versucht Collins, das Ende des Bürgerkriegs herbeizuführen; er reist zu seinem Gegner, de Valera, kann ihn aber nicht überzeugen. Auf der Rückfahrt wird er mit seinen Leuten in einen Hinterhalt gelockt und schließlich getötet.
Neil Jordan hat sich nicht wegen seiner scheinbar überkandidelten Starbesetzung auf dünnes Eis gewagt – Liam Neeson darf eine furiose Vorstellung als polternder Idealist geben, und die vielgeschmähte Julia Roberts vermag nicht unangenehm aufzufallen, spricht sogar, laut meinem Spezl Dessy Hogan aus Galway, ihren Dublin-Akzent recht ordentlich. Wer je Gustav Knuths Bayrisch in Sissi anhören mußte, weiß, daß dies ein hohes Lob ist – Michael Collins gibt nur deshalb eine gute Zielscheibe für Kritik ab, weil er selbst diffuseste geschichtliche Ereignisse mit eindeutigen Bildern besetzt und Teile des historischen Personals, als wäre es nur ein Roman zum Film, schlicht umstellt: Die bisher ungeklärten Umstände von Collins Ermordung werden dargestellt, als ob da jemals irgendwas bewiesen wäre; die Figur des Harry Boland als Freund und Rivale ist ein Surrogat aus zwei verschiedenen Mitarbeitern und Gefährten aus Collins Umfeld; der Anschaulichkeit halber läßt Jordan die erste Autobombe schon im Jahre 1920 zünden, ausgerechnet beim Chef der britischen Geheimpolizei kurz nach dessen Ausspruch, daß er jetzt ein bißchen »Belfast-Feeling« herbeiführen wolle. Griffig, aber gelogen.
Man stelle sich im Vergleich nur einen deutschen Film über die Weimarer Republik vor, der sich nicht schert um authentische Details. Die Buh-Rufe wären lauter als der Soundtrack, wahrscheinlich würde der Film bei uns nicht mal starten, wie ja auch allzu schnittige Filme über die Nazi-Zeit wie etwa Swing-Kids oder Hitlerjunge Salomon zu Recht ignoriert werden. Dennoch handelt es sich bei Michael Collins um ein vorzügliches, emotionalisierndes Stück Kino, wenn schon nicht Geschichtsunterricht. So weicht die Wahrhaftigkeit einer gewissen dramaturgischen Süffigkeit, die angreifbar ist, aber immerhin spannend.
Die Geschichte ist hier ein Durcheinander von traurigen Mißverständnissen; Freunde werden durch widrige Umstände zu Rivalen, in politischen, sowie in Liebesangelegenheiten, ein Volksheld muß in faule Kompromisse einwilligen; selbst der ehrgeizige junge Kämpfer, der Collins am Ende verrät, bleibt seltsam schuldlos. Was bleibt ist die Trauer, daß es nicht anders gehen kann.