USA 2018 · 148 min. · FSK: ab 12 Regie: Christopher McQuarrie Drehbuch: Christopher McQuarrie Kamera: Rob Hardy Darsteller: Tom Cruise, Rebecca Ferguson, Vanessa Kirby, Henry Cavill, Michelle Monaghan u.a. |
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Ein wenig wie ein Ryanair Flug – man kriegt das, wofür man auch bezahlt hat |
Wehe wühlt
Harren starrt entsetzt
Kreißen schüttert
Bären spannt die Glieder
Die Stunde blutet
Frage hebt das Auge
Die Zeit gebärt
Erschöpfung
Jüngt
Der
Tod.
- August Stramm, Der Krieg
Es läuft für Tom Cruise auf seiner 6. Mission: Impossible. Zum einen sprechen die Zahlen eine klare Sprache – noch nie ist ein Installment des MISSION IMPOSSIBLE-Franchises derartig erfolgreich gestartet, nicht nur in den USA, sondern auch in Südkorea, England und Indien. Doch nicht allein die Zahlen sprechen für sich, auch die Kritiker sind sich einig, hier nicht nur den vielleicht besten Film der Reihe gesehen zu haben, sondern möglicherweise auch den vielleicht besten Actionfilm aller Zeiten.
Dabei hat MISSION IMPOSSIBLE seine Produzenten und sein Zielpublikum auch bislang nie hängen lassen und Erwartungshaltungen meist akkurat erfüllt. Zwar ist die ursprünglich anvisierte Idee mit ihrem kreativen »Unsicherheitsparadigma«, jeden Teil von einem neuen Regisseur verfilmen zu lassen, mit dem sechsten Teil über Bord geworfen worden – Mission: Impossible 5-Regisseur Christopher McQuarrie ist auch dieses Mal mit an Bord – doch dafür bleibt die Konstante Tom Cruise der Garant für einen generationsübergreifenden Weltrettungsspaß.
Dass ein über 50-jähriger weiterhin nicht nur einen großen Teil seiner Stunts selbst erledigt, sondern mit seinem drahtigen Körper und unmissverständlichen positiven Aura-Charme fast schon papst-ähnlich seinen Segen für das Wohl unseres Planeten spendet, dürfte einen Großteil des Erfolgs auch von Mission: Impossible – Fallout ausmachen. Denn gerade in unserer von hässlichen, debilen und senilen Populistenpolitikern überbevölkerten Gegenwart ist Ethan Hawk (Tom Cruise) ein Gegenmodell, wie es ersehnter kaum sein könnte.
Denn endlich geht es einmal nicht um Politik mit allen ihren Schattenseiten, um vergangene Empire, die ihre Atomwaffen oder tödlichen Gifte vergessen haben, und geht es auch nicht um Liebe, alles Ingredienzien, die in den vergangenen MI-Filmen zumindest randläufig eine Rolle gespielt haben. Mission: Impossible 6 – Fallout geht dabei allerdings nicht soweit wie Antoine Fuqua in THE EQUALIZER 2, in dem ebenfalls ein sympathischer, gut durchtrainierter Ü50 (Denzel Washington) für Ordnung sorgt, aber die moralischen Grundkonstanten erheblich pessimistischer eingestellt sind, denn dort gibt es keine Guten oder Bösen mehr, sondern nur noch Bedauernswerte.
In der Welt von Mission: Impossible – Fallout gibt es diese Antagonismen noch. Allerdings ist die Welt der Guten und die der Bösen inzwischen völlig frei von Historie, Ideologie, ist frei von festen Bindungen, nur das Sterben spielt noch eine Rolle, vor allem das Sterben von Massen. Hier greift Hawk ein und erledigt den Job, den Ideologen und Politiker schon längst hätten erledigen müssen. Aber da diese Idee mehr denn je eine gescheiterte Idee ist, bleibt nur das reine Handeln, die pure Reaktion, liegt die Lösung jenseits aller Politik und Philosophie.
Und so ist Mission: Impossible – Fallout dann doch politisch und apolitisch zugleich und noch weit mehr als die letzten Teile auf das Wesentliche reduziert, steht die Choreographie der Gewalt mehr denn je im Vordergrund. Und wer sich auf dieses Ballett mit seinem perfekt arrangierten Score (Lorne Balfe) einlässt, mag dann und wann beglückt auch an den stampfenden Rhythmus einiger expressionistischer Gedichte erinnert werden, wird sich an den irrwitzigen Ideen körperlicher Eskalation berauschen können, aber wirklich überrascht dabei kaum werden, denn letztendlich ist es wie mit einem Ryanair Flug – man kriegt das, wofür man auch bezahlt hat und niemals mehr.
Und auch der finanzielle Erfolg dieses sechsten Teils überrascht dann kaum mehr, denn ein Film, der politisch und erzählerisch bewusst so wenig riskiert, der sich nur mehr auf die Poesie der Reaktion beschränkt, ist über alle kulturellen Grenzen hinweg tatsächlich fast universal auswertbar.
Zwei Momente in diesem sehr besonderen, immer wieder atemberaubenden, in jedem Fall unbedingt sehenswerten Action-Spionage-Thriller, ohne Zweifel »dem« Blockbuster dieses Sommers, stechen heraus. Sie stechen heraus, weil sie das Gegenteil von dem sind, was dieser Film sonst auch noch perfekt repräsentiert: Epiphanie, absolute Gegenwärtigkeit, Jetztzeit, Plötzlichkeit der Herausforderung und ihre Bewältigung im Augenblick des Ereignisses. Man könnte auch profaner sagen:
Das was jeder tun muss in unserer komplexen Zeit, in der Regeln nicht mehr gelten, Strategien über den Haufen geworfen werden, nur noch Taktiken, die reaktive Kunst des Zen-Buddhismus für Putzfrauen und Festivaldirektoren – Nutze die Kraft des Gegners! – weiterhilft.
Wie die Aushilfe in einem Call-Center wiederholt Ethan Hunt in diesem Film Mal für Mal den Satz »Wir arbeiten daran!« Und weiß nicht mal, woran.
Die Mission des Zuschauers ist in diesem Film, »should you choose to accept it«, sich ganz hineinzuwerfen in diesen Maelstrom von Film, nicht denken an Wiederkehr, nicht sagen halb und halb – Sandalen am Krater lassen und dann hinab! Eine Hymne auf Ethan Hunt.
Nur zweimal ist es anders, da bricht die Geschichte, der Zeittakt der Chronologie in den ewigen Augenblick der unmöglichen Missionen ein: Am Anfang, ein einziges Mal liegt der sonst immer rennende, immer wache Ethan Hunt und schläft. Eyes Wide Shut. Nur die Schlieren des 3D stören den Schlaf. Er träumt und es kann bei diesem Menschen kein guter Traum werden, von einer Hochzeit, seiner eigenen vor Jahren, mit Julia, Michelle Monahan, und das Jawort fällt mit einem Atomschlag und das ewige Leben mit dem Tod zusammen. Abre los Ojos. Dann ist er ganz da, aufrecht, wach, gerädert, dann klingelt es und ein Codedialog wird ausgetauscht: »A storm is coming.« – »I am the storm.«
Die zweite, besonders schöne Szene stammt aus der Mitte des Films, da ist der Sturm bereits in vollem Gang, schon längst weiß man nicht mehr, wo oben und unten ist, die Verfolgungsjagd durch die Pariser Innenstadt hat sich längst von allen Ursachen gelöst, ist zum zweckfreien Ballett geworden, wie zuletzt bei John Woo in dessen, dem zweitem Mission: Impossible-Film, da machen die Tanzenden eine kurze Pause. Ethan Hunt und seine Leute wollen einen Gefangenen in einen neuen Wagen umladen. Da kommt zufällig eine Polizistin vorbei, sie stört, auch die Verfolger, die sie kurzum niederschießen. Hunt, der das nicht verhindern konnte, tötet darum diese Schurken und geht dann hin zur Polizistin, stillt ihre Blutung, ruft einen Krankenwagen und entschuldigt sich in aller Form und in bestem Französisch bei ihr: »Je suis desolée.« Er ist ganz Mitleid, doch man sieht in diesem Mitleid noch etwas Zweites mitschwingen: Die Erinnerung an Claire Phelps, der im ersten von Brian De Palma inszenierten »Mission Impossible«-Film von Emmanuelle Béart gespielten Verräterin, die ihr Leben für Ethan opferte. Opfer und Mitleid, das sind die Themen auch hier, und die Fähigkeit zu beidem ist es, die die Guten von den Bösen trennt. Mitleid allein, so die erste Lektion, ist nicht genug.
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Zum Weltuntergang kommt es gleich am Anfang – Rom, Jerusalem und Mekka, die Hauptstädte der drei Weltreligionen sind durch parallele Atomschläge dem Erdboden gleichgemacht. Scheinbar – denn ein paar Minuten später, während man noch erstaunt ist, was sich Hollywood diesmal wieder alles traut, entpuppt sich das Katastrophen-Szenario als ein geschicktes Täuschungs-Manöver, um einen gefangenen Terroristen zu überlisten und ihm ein Codewort zu entlocken.
Man kann seinen Augen nicht trauen – das ist die, ausgerechnet für einen Kinofilm, immer wieder verblüffende Lektion aller »Mission-Impossible« Filme. Denn die geheime Spezialeinheit IMF (»Impossible Mission Force«) rund um den von Tom Cruise gespielten Ethan Hunt arbeitet zur Rettung der Welt, bevor sie, falls nötig, zu härteren Geräten greift, zunächst wie ein geschickter Hochstapler: Mit Soft Skills wie Lügen, Taschenspielertricks und Plastikmasken wie aus dem Koffer von Fantomas, die man sich übers Gesicht stülpt, um aus dem Ich im Nu einen Anderen zu machen – recht altmodische, aber effektive Mittel, die dafür sorgen, dass man im besten Fall völlig unbemerkt bleibt.
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Mission: Impossible enstand als eine Spionagefernsehserie der stylischen Sechziger-Jahre und damals mit ihrer sofort zum Pop-Kult gewordenen Musik so etwas wie die amerikanische Antwort auf Emma Peel und John Steed, die »mit Schirm, Charme und Melone« die Ehre des verblassenden Empire hochhielten. Seit 1995 gibt es »Mission Impossible« auch im Kino – und nach
einem Start mit sehr eigenwilligen Autorenfilmern wie Brian De Palma und John Woo auf dem Regiestuhl ist dies auch in seiner sechsten Kinofolge keine Weltzerstörungsorgie à la Roland Emmerich, sondern ein erstaunlich klassischer Action-Spionage-Thriller, in dem Körper auf hochkomplizierte Weise und möglichst elegant durch den Raum bewegt werden, und dieses Ballett der Muskeln und der Technik vor allem schön anzusehen ist.
Regie in dem von Hauptdarsteller Tom Cruise auch
koproduzierten Film führte Christopher McQuarrie. Jenseits von allem anderen geht es ein bisschen zu offenkundig auch darum, Tom Cruise als Athleten, als heroischen Alleskönner und dabei großen Schauspieler ins Licht zu rücken. Cruise, inzwischen immerhin 56, ist hier zwar erkennbar reifer geworden, zeigt die eine oder andere Gesichtsfalte, hat aber immer noch auch jungenhafte Züge und gibt hier auch etwas forciert den Frauenheld, der für deutlich jüngere Damen uneingeschränkt
attraktiv ist.
Technisch ist das zwar State of the Art, bis auf den vollkommen missglückten Einsatz des 3D-Formats, das für Schlieren und verzerrte, den Zuschauer irritierende Lichtreflexe sorgt, oder für Lichter, die irgendwo mitten im Raum stehen, wo sie nichts zu suchen haben. Mit 3D ist es, das beweist gerade auch dieser Film, vorbei: Zum Autorenkino passt 3D nicht, sondern zerstört immer wieder mühsam errichtete Emotionen, und ein gelungener Blockbuster braucht kein 3D, weil er schon in klassischen Kinodimensionen reißerisch genug ist, um den Zuschauer zu fesseln.
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In seinen Bilderwelten und seiner vergleichsweise anspruchsvollen und komplizierten Geschichte ist Mission: Impossible – Fallout aber fast ein Produkt des Kalten Kriegs: Über die Welt hat sich ein unsichtbares Netz aus Kriegen, Bündnissen, Bedrohungen und geheimen Operationen gelegt; Täuschung und Scharade herrscht überall, man kann niemandem mehr trauen, denn manche Menschen haben sich in dieses Netz so verstrickt, dass sie selber nicht mehr sicher wissen, wo sie stehen. Oder sie wechseln die Seiten wie die Hemden.
Am stärksten sind die Konflikte zwischen den Verbündeten, der IMF, der britischen MI-6 und der CIA: Während die IMF unter Führung von Alec Baldwin – »I came to the IMF because of you. Don’t let me regret it.« – vorsichtig und unsichtbar arbeitet, bekennt die brutale CIA-Direktorin (gespielt von der wunderbaren Angela Bassett, obwohl in der Wirklichkeit eine schwarze Frau als CIA-Chefin zur Zeit absolut undenkbar wäre) offen: »Sie benutzen ein Skalpell. Ich bevorzuge den Hammer!«
Diese ganze Konstellation hat Folgen, man trägt sie mit sich mit – und mit dem »Fallout« des Titels sind ebenjene Folgen und Nebenwirkungen, die Kollateralschäden des Lebens ebenso gemeint, wie der ganz praktische Fallout zweiter Atomsprengköpfe, die in die Hände von anarchistischen Apokalyptikern geraten sind, die sich »Die Apostel« nennen, und durch die Drohung mit dem Weltuntergang – »Je größer das Leid, desto größer der Frieden« – eine politische Umkehr einleiten wollen. »This is n’t Anarchy, this is revenge«.
Es sind grandiose Actionszenen, mit denen »Mission Impossible VI: Fallout« aufwartet: Ein Sturz mit Fallschirm aufs Grand Palais – um den Film danach fast zur Hälfte in der herrlichen Kulisse von Paris, der Heimat von Fantomas und Musidora, von Juve und Fandor spielen zu lassen, Dauerverfolgungsjagden, besonders gern mit dem Motorrad durch enge Gassen, später zu Fuß über den Dächern von London, am Ende mit Hubschraubern, durch die weiten Himmel des eisigen Himalaya, harte
Kampfkunst auf der Herren-Toilette oder an einer Hochgebirgssteilwand. Die Spannung liegt nicht in der Frage, ob Ethan Hunt es schafft, das Böse zu besiegen, sondern wie.
Mehr als einmal überschreitet das die Grenze zum Absurdismus: Mission: Impossible – Fallout ist klassische Action, aber auch Dada, und manchmal ist alles schon fast ein Experimentalfilm. Genau darin erinnert »Mission Impossible« an nichts mehr als an Louis
Feuillades Spielereien und die tiefen, ernsten, dunklen, und doch weltgewandten Helden, die er auf den Dächern von Paris herumturnen ließ.
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Hunt: »What makes me uncomfortable is your brother.«
White Widow: »Family – what can you do?«
Trotzdem sind die persönlich-psychologischen Teile der Handlung zentral. Es sind hier vor allem wunderbare Frauenfiguren, mit denen der Film aufwartet. Die dubiose CIA-Chefin, eine geheimnisvolle sardonisch-charmante »weiße Witwe« (Vanessa Kirby), die wie einst Princess Margaret vor allem Spaß im Leben will, und der man ein langes Leben in der MI-Serie wünscht, oder ein eigenes Filmchen. Allen voran ist es aber die schöne britische Doppel-Agentin Ilsa Faust, die bewusst von einer
Schwedin, von Rebecca Ferguson, gespielt wird, weil sie Ingrid Bergmans ikonischer Ilsa Lund in Casablanca nachempfunden ist. Sie ist die tiefsinnigste, weil zerrissenste Figur des Films.
Faust ist auch Musidora, im Catsuit faucht, springt und rast sie, als einzige ebenbürtig dem Helden, dem sie mehr als einmal das Leben rettet. Als Mensch ist sie ihm überlegen, eine
erwachsene Frau, die schon zuviel weiß und sich trotzdem in diesen Jungen verguckt, weil die etwas in ihm sieht, das wir noch zu entdecken haben. Vielleicht ist er ein Nachfahre Victor Laszlos, nur wer ist dann Rick? Wir erleben ein ziemlich erwachsenes Liebeskonzept am Schluss, eine Art Stabübergabe zwischen zwei Frauen und eine heilige Rede von Angela Bassett. Und so versuchen die Figuren dieses grandiosen, endlich einmal maßlosen Sommerblockbusters in all der rasenden
Gegenwärtigkeit, die dieser Film vor allem ist, und im sehr menschlichen und zeitgemäßem Zwang zur andauernden Improvisation, die Kontrolle zu wahren und die Bausteine ihrer Identität vor deren drohender Explosion zu retten. Auch das ein unmöglicher Auftrag, der hier möglich wird.