Island 2019 · 92 min. · FSK: ab 6 Regie: Grímur Hákonarson Drehbuch: Grímur Hákonarson Kamera: Mart Taniel Darsteller: Arndís Hrönn Egilsdóttir, Sveinn Ólafur Gunnarsson, Daniel Hans Erlendsson, Hafdís Helga Helgadóttir u.a. |
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So ernüchternd wie wichtig (Foto: Alamode) |
»Die Geschichte wiederholt sich, und jedesmal kostet es mehr.« – Halldór Laxness
Wer die großen Romane des großen Halldór Laxness gelesen hat, eines der größten Nobelpreisträger aller Zeiten, der weiß, wie dreckig es Island für Jahrhunderte ging. Laxness schuf literarische Gestalten des individuellen Widerstands, die unvergessen sind: Bauern, die über Jahrzehnte Prozesse führen und Schriftgelehrte, die sich für die Identität Islands aufopfern (Salka Valka); Kleinbauern, die trotz übelster Widerstände für ihre Selbstständigkeit ringen (Sein eigener Herr) und ungebildete Bauernmädchen, die die korrupte Politik in der Hauptstadt in Frage stellen (Die Atomstation).
Kein Wunder also, dass diese reiche literarische Tradition des Widerstands sich nicht nur immer wieder in der isländischen Politik bemerkbar gemacht hat, sondern auch im isländischen Film. Sei es Benedikt Erlingssons politisches Manifest einer fiktiven Umlweltaktivistin in Gegen den Strom (2018) oder der ganz alltägliche Widerstand im Privaten in Hafsteinn Gunnar Sigurdssons Unter dem Baum (2017). Auch Grímur Hákonarsons Milchkrieg in Dalsmynni ist Teil dieser langen, nie ganz vernarbten Traditionslinie.
Wie schon Laxness begibt sich auch Hákonarson aufs Land. Er erzählt eine Geschichte, die sich von Reykjavik weit entfernt im Nordwesten Islands so tatsächlich zugetragen hat und für die Hákonarson nach ersten Recherchen eigentlich einen Dokumentarfilm vorgesehen hatte. Doch Fiktion ringt der Realität dann doch oft das mächtigere Narrativ ab, was sich auch in Hákonarsons Film schnell zeigt. Mit kühlen, unaufgeregten, spärlichen Dialogen folgt er der Milchbäuerin Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) in ihren Alltag, zeigt das harte Leben der Milchbauern auf Island, das seine Schatten auch auf das Beziehungsleben, die zunehmende körperliche und emotionale Distanz von Inga und ihrem Mann wirft. Doch durch den Unfalltod ihres Mannes ist Inga plötzlich nicht nur auf ihrem Hof alleingestellt, sondern auch im Kampf gegen die korrupten Machenschaften der Genossenschaft in der Kreisstadt, der sie sich mit ihrem Mann vor Jahren verpflichtet hatte, ihre Milch zu verkaufen und einen großzügigen Kredit für eine automatisierte Melkanlage aufzunehmen, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Hákonarson erzählt diesen Kampf in nüchternen Bildern, ohne dabei viel auf die Tragik des historischen Prozesses einzugehen. Denn schließlich waren es ja diese Genossenschaften, die für die Isländer eine erste Emanzipation von den dänischen Kolonialherren bedeuteten, es waren die Früchte eines langen wirtschaftlichen Widerstandsprozesses. Stattdessen konzentriert sich Hákonarson auf die Gnadenlosigkeit kapitalistischer Prozesse in unserer Gegenwart, in der eine Genossenschaft alles andere als ein »Zusammenschluss oder Verband von Personen (natürlichen oder juristischen) zu Zwecken der Erwerbstätigkeit oder der wirtschaftlichen oder sozialen Förderung der Mitglieder durch gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb« (Wikipedia) ist, sondern ein kühl kalkulierendes, kapitalistisches Unternehmen, das nicht davor zurückschreckt, widerständige Mitglieder auch durch Gewalt in ihre Schranken zu weisen.
Milchkrieg in Dalsmynni zeigt einmal mehr, dass selbst in kleinsten gesellschaftlichen Einheiten auch kleinste und selbst historisch tief verwurzelte soziale Errungenschaften keinen Bestand haben, dass das kapitalistische Credo des »ewigen Wachstums« schlechte wie gute Menschen korrumpiert, aber auch Widerstand alles andere als romantisch ist. Das macht Hákonarsons Film zu einem so ernüchternden wie wichtigen, weit über den Kulturraum der erzählten Geschichte hinaus gültigen Kommentar zum Stand unseres wirtschaftlichen und damit ja auch irgendwie menschlichen Idealismus.