Frankreich 2022 · 112 min. · FSK: ab 16 Regie: Claire Denis Drehbuch: Christine Angot, Claire Denis Kamera: Eric Gautier Darsteller: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, Issa Perica, Bulle Ogier u.a. |
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It’s not easy... | ||
(Foto: Arsenal) |
»Sit here thinking with your head of fire
Go think the same thing and never tire
Imaginin ›the glow of her long clean hair
As she goes to sit on her own high chair‹«
– The Rolling Stones, It’s not easy
Es ist immer ein gutes Zeichen für die Qualität eines Films, wenn der Film in einem arbeitet, sich mehr und mehr entfaltet, auch noch Monate, nachdem man ihn gesehen hat. Claire Denis’ 2022 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnetes Beziehungsdrama Mit Liebe und Entschlossenheit ist so ein Film. Denn denke ich jetzt zum sehr, sehr späten Kinostart an diesen Film, ist alles wieder da, wie damals auf der Berlinale, so intensiv, dass es mich fast schwindeln macht.
Das liegt zum einen sicherlich an der fast schon archaischen Liebesgeschichte, die hier von Denis direkt aus dem Leben gegriffen scheint. Jean (Vincent Lindon) und Sara (Juliette Binoche) sind seit zehn Jahren zusammen und zufrieden mit ihrer Beziehung, das zeigen gleich die ersten so alltäglichen wie zärtlichen Bilder. Doch dann trifft Sarah plötzlich François (Grégoire Colin) auf der Straße, den ehemals besten Freund von Jean, mit dem sie früher eine Beziehung hatte. Als François, inspiriert durch dieses zufällige Treffen, wieder Kontakt mit Jean aufnimmt, und mit ihm zusammenarbeiten will, spürt Sara die alte Anziehung und beginnt die Beziehung mit Jean zu hinterfragen, ohne sich jedoch von ihm lösen zu wollen.
Diese fast schon mechanistische Beziehungstriade erzählt die 77-jährige Denis (High Life, Meine schöne innere Sonne) so poetisch wie nüchtern, aber konsequent emotional und mit zahlreichen erzählerischen Leerstellen, die auffälligerweise auch im Laufe der Erzählung nicht gefüllt werden und nur durch einen etwas zufällig wirkenden Vater-Sohn-Konflikt ergänzt werden. Das macht dennoch Sinn, denn es entspricht der Zufälligkeit des Lebensalltags an sich und dem emotionalen Aufmerksamkeitsfenster der Beteiligten, die nur über Momente des Vergessens und Ausblendens überhaupt fähig sind, weiterzumachen, sich auf neue Risiken und Alternativen ihres Beziehungskarussells einzulassen. Nicht anders, als es wohl jedem von uns geht, der in irgendeine Form der »Beziehungsarbeit« verstrickt ist. Weshalb ja für Außenstehende und beileibe nicht nur Therapeuten Beziehungskrisen oft etwas durchaus Absurdes an sich haben.
Gleichzeitig wird man bei all dem Ernst des Geschehens und wenn man Denis einmal live wie etwa auf der letzten Woche der Kritik erlebt hat, den Gedanken nicht los, dass sich Denis hier ein fast schon schelmisches Gedankenspiel erlaubt, was passiert wäre, wenn in dem wahrscheinlich bekanntesten Ménage-à-trois-Film, François Truffauts Jules und Jim, zwei der Hauptpersonen nicht gestorben, sondern alle drei zusammen alt geworden wären, mit immer wieder neuen Konstellationen und der Gewissheit, dass alte Liebe nicht rostet und auch die Generation über 50 noch zu Spaß, Leiden und vor allem Liebe fähig ist, ohne sich dabei gleich zu Grunde zu richten wie Emmanuelle Béart und François Cluzet in Claude Chabrols Spätwerk Die Hölle.
Um all das in einem Atemzug, in einem Leben zu bannen, gehört dann allerdings auch das Bekenntnis zu einer offenen Streitkultur, das in diesem toxisch-süßen Liebesreigen ein wirklicher Höhepunkt ist. Denn dieser finale, lautstarke Streit zwischen Jean und Sara, ein verbales Dauerfeuer der Superlative, ist sowohl von Binoche, der man diese aggressive, überfallartige, ausdrücklich nicht sympathische Explosivität gar nicht zugetraut hätte, überragend gespielt. Auch Lindon mit seiner subtil-aggressiven Hilflosigkeit spielt atemberaubend und beide zusammen entwickeln dabei fast so etwas wie ein ideales Rollenmodell dafür, um zu retten, was nicht mehr zu retten ist, was aber dennoch notwendig ist, um die Zukunft von allen Altlasten zu befreien und irgendwie weiterzumachen.
So eine Intensität und einen derartig wilden Mut zur emotionalen Dekonstruktion gab es im Kino schon lange nicht mehr zu sehen.
Claire Denis’ neuer Film Mit Liebe und Entschlossenheit ist einer der spannendsten Filme dieses Sommers. Denn wie immer macht die französische Filmemacherin einen Film, der nie ganz ausrechenbar ist, der fortwährend radikale Wendungen und Perspektivwechsel enthält und von dem man sich als Zuschauer auch nach Ende des Abspanns noch fragt, was man da genau gesehen hat.
Man könnte hier von der »Methode« Claire Denis’ sprechen. Es ist ein Verfahren, in dem die Regisseurin sich selbst und ihre Figuren dauernd riskiert. Alle begeben sich zusammen in eine Art Vorhölle, auf ein Seil, auf dem sie dann tanzen müssen.
Diese Regisseurin wirft sich in ihre Geschichten hinein. Denis’ Art, Filme zu machen und zu erzählen, ist eigentlich immer eine ähnliche; sie bekommt aber durch den jeweiligen Gegenstand immer etwas Neues und Überraschendes.
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Die Karriere mancher Filmemacher ist eng mit der ihrer jeweiligen Drehbuchautoren verknüpft, die die verschiedenen Phasen ihrer Laufbahn bestimmen. Bei Claire Denis, die einst als Assistentin von Wim Wenders begann, und mittlerweile über 70 Jahre alt ist, sich aber noch immer wieder neu erfindet und damit auch verjüngt, kann man das sehr gut beobachten.
Avec amour et acharnement, auf deutsch Mit Liebe und Entschlossenheit, ist
nach Meine schöne innere Sonne ihre zweite Zusammenarbeit mit der Drehbuchautorin Christine Angot.
In beiden Filmen spielt Juliette Binoche die Hauptrolle. Und beide Filme drehen sich um die Idee der Liebe, ihre Realität, ihre Bedeutung und die Umstände, die sie beeinflussen.
Auch in diesem Fall ist es aber überhaupt kein Thema, das sie nur illustriert oder von dem sie erzählt. In diesem Fall ist es auch kein Genre – wie früher in Vampir- oder Science-Fiction-Filmen.
Sondern es sind Personen, Figuren, Menschen, vielleicht noch ein Milieu. Dieses Milieu ist eines, das im französischen wie überhaupt europäischen Kino selten zu sehen ist: ein nicht sehr klassisches Bürgertum, Menschen, die zwar Kunst-Vernissagen besuchen, aber statt Anzug lieber
Lederjacken tragen, die nicht zu viel Geld haben, die in der Freizeit als Fußballtrainer arbeiten, oder im Nachtleben, die die Grenzen zur Kriminalität manchmal berühren, auch mal überschreiten.
Erwachsene Menschen, die in häufig wechselnden Beziehungen leben.
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Hier geht es um eine Frau, die Radiomoderatorin Sara (gespielt von Binoche), die François (Grégoire Colin) liebt, aber nicht mit ihm leben kann. Sie hat ihn einst verlassen, ist mit François’ bestem Freund Jean (gespielt von Vincent Lindon) zusammengezogen. Den wiederum hat François verraten; einige Jahre saß Jean im Gefängnis, musste das Sorgerecht für seinen Sohn abgeben. Was hat François damit zu tun?
Jetzt aber will François mit Jean eine Spielervermittlungsagentur
aufmachen.
Dann treffen Sara und François sich, nach acht, neun Jahren wieder. Ihre erste Frage: »Wo warst du die ganze Zeit?« Doppelsinnige Antwort: »Pas loin.« Nicht weit.
Die gemeinsame Vergangenheit prägt die Figuren, aber Denis gibt sich keine Mühe, das Geschehene im Einzelnen aufzurollen, zu rekapitulieren und zu enthüllen. Sie kümmert sich mehr um Sara, die jetzt mit Jean lebt, ihn im Grunde aber nicht liebt. Das ist ihr Dilemma: Mit dem Mann zu leben, den sie liebt, oder mit dem Mann, mit dem sie leben kann.
Denis erzählt dies aber nicht, sondern sie zeigt und filmt es. Und das ist das Wichtigste. Sie filmt den Blick von Jean, wenn er die schlafende Sara ansieht, und die zitternde Kamera-Einstellung zeigt uns alles, zeigt uns, dass diese erwachsenen Menschen alles von sich wissen. Geheimnisse sind etwas für Kinder.
Vor allem filmt Denis das Wiedersehen zwischen Sara und François, ihre Blicke, die sich kreuzen, die Nervosität dieses jahrelang aufgeschobenen Augenblicks, ihren langsamen Gang, zögernd, ängstlich, unwiderstehlich, der sie zueinander führt; die Hände, die sich strecken; die Körper, die sich nähern, obwohl sie wissen, dass auch dies nicht gut ausgehen kann.
Auch hier wiegen die Erinnerungen und die Anwesenheit von Jean schwer. Doch es dauert nicht lange, bis Sara und François diese Barrieren überwinden. Die Sehnsucht ist viel stärker, eine Sehnsucht, die Denis nicht ein einziges Mal in Worte zu fassen braucht. Denn wir verstehen auch so...
Einmal sehen wir Binoches Sara auf dem Nachhauseweg, wie sie zu sich selbst redet und dabei alles ausspricht: »Jetzt geht es wieder los: Die Liebe, die Angst.« Es ist der Horror und es ist das Glück zugleich.
Sara entlarvt sich, indem sie sich im Spiegel betrachtet und laut ausspricht, was sie denkt, ein zugegebenermaßen uneleganter Kunstgriff, der aber zu einem Film passt, der nie um den heißen Brei herumreden will, oder poetisieren, der stattdessen auf den Punkt kommen will: Die Liebe zu filmen und zu zeigen, dass sie sich manchmal auch gegen alle Konventionen und alle Vernunft durchsetzt.
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Es sind die Blicke der Frauen, die einem aus diesem Film vor allem in Erinnerung bleiben. Und zwar nicht nur die Blicke der Hauptdarstellerin Juliette Binoche, beziehungsweise ihrer Hauptfigur Sara, sondern auch die Blicke von der Figur, die nur in zwei, drei Szenen zu sehen ist, aber hier doch ziemlich prägnant wird als die Freundin ihres Lebensgefährten François.
Und die Blicke von Mati Diop, die auch Regisseurin ist und hier eine ganz klare Nebenfigur spielt und nur zwei
Auftritte hat. Aber diese zwei Auftritte haben es eben in sich.