USA 2024 · 94 min. · FSK: ab 16 Regie: Jade Halley Bartlett Drehbuch: Jade Halley Bartlett Kamera: Daniel Brothers Darsteller: Jenna Ortega, Martin Freeman, Gideon Adlon, Bashir Salahuddin, Dagmara Dominczyk u.a. |
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Von Vladimir Nabokov bis Henry Miller... | ||
(Foto: Studiocanal) |
So schlecht, wie die amerikanische Filmkritik Jade Halley Bartletts eigenwilligen Film über ein 18-jähriges Mädchen, das ihren Lehrer für kreatives Schreiben nicht nur literarisch in den Schatten stellt, einschätzt, ist Miller’s Girl nun wirklich nicht. Und man sollte sich wirklich fragen, ob all diese Kritiker vielleicht noch eines der Bücher gelesen haben, die in diesem Film eine so gewichtige Rolle spielen.
Natürlich kann man dem Film seine immer wieder abstrusen erotischen Sentenzen vorwerfen, einen eigenartigen dramaturgischen Bruch nach der Hälfte des Films, doch auf der anderen Seite hat das von Bartlett verfasste Drehbuch und ihre Inszenierung dann doch einiges zu bieten, was immer wieder überrascht und dann auch verblüfft. Vielleicht muss man dabei auch im Kopf haben, dass wir es hier mit so etwas wie einem Gegenentwurf zu Alexander Paynes Holdovers zu tun haben, einem Film, in dem es ebenfalls um einen gescheiterten College-Lehrer ging, der einem Schüler ein wenig näher kam, als es im Normalfall üblich ist. Und natürlich sind wir auch ganz, ganz weit weg von Lehrer-Utopie-Filmen wie Peter Weirs Club der toten Dichter (1989).
Nein, diese Formate muss man sich einfach mal wegdenken oder Spaß an der Reibung haben, denn Miller’s Girl ist eher mit Filmen des relativ jungen Genres des Young-Adult-Films und seiner literarischen Entsprechung zu vergleichen, die alle ein wenig an Foto-Love-Stories erinnern, aber dann auch ungeahnte Qualitäten und Tiefen besitzen, so wie das Tribute von Panem-Prequel The Ballad of Songbirds and Snakes (2023) oder Roger Kumbles wildes Beautiful Disaster (2023). Oder der Horror von Halina Reijns Bodies Bodies Bodies, der TikTok-Teens im hysterischen Ausnahmezustand auf einen Horror-Trip schickt.
Jade Halley Bartletts Variante hat sehr viel von diesen Filmen und doch eine ganze Menge Neues. Nicht nur durch die Hauptdarstellerin Jenna Ortega, die hier als Cairo Sweet (Nomen est Omen) ihre dunkel-süße Schmolligkeit und amoralische Überlegenheit so ausspielt, wie sie das schon in der Netflix-Serie und Addams Family-Adaption Wednesday gezeigt hat.
Nein, auch ihr Gegenüber, der gescheiterte Schriftsteller und Lehrer für kreatives Schreiben, der von Martin Freeman gespielte Jonathan Miller, läuft zu Höchstform auf. Nicht nur weil er sich in einem literarischen Duell mit seiner so viel jüngeren Schülerin befindet, sondern außerdem mit einem zunehmend sich dramatischer entwickelnden Lolita-Komplex zu kämpfen hat, weil Cairo Sweet die Bücher irgendwann nicht mehr reichen.
So bewegt sich der Film dann irgendwann fast schon experimentell von Vladimir Nabokov und dessen Lolita zu Henry Miller und Jonathan Miller (also ein weiteres Nomen est Omen) und nimmt über ein paar bizarr angelegte Nebenrollen – Jonathans erfolgreiche, jeden Tropfen Alkohol genießende Frau Beatrice, sein Kollege Boris und Cairos Freundin Winnie – tatsächlich eine immer wieder etwas rumpelige Fahrt auf, die von ungewöhnlichen Erkenntnissen nur so gepflastert ist. Das reicht von der Einsicht, dass selbst auf Friedhöfen Blumen wachsen, bis zu der Lebensweisheit, dass kleine Gespenster einander erkennen, über die Gefahr von Literatur und gleichermaßen Unwettern, die, wie bei Fontane, andeuten, was jeder insgeheim natürlich schon ahnt.
Das mag ein wenig ironisch klingen und vielleicht wie Tankstellen-Sushi schmecken, doch machen Bartletts Dialoge so wie ihre literarischen Eskapaden genauso Spaß wie die sich austobenden Schauspieler, die sich am Ende dann fast bei Tschechow und einem Krieg der Generationen und Lebenskulturen wiederfinden. Natürlich ist das nicht Russland, doch das Tennessee der Südstaaten, das hier im Zentrum steht, ist so schwül wie das alte Russland von Tschechow. Und alle Erkenntnis so vergeblich wie das Sterben.