USA/F 2016 · 133 min. · FSK: ab 12 Regie: John Madden Drehbuch: Jonathan Perera Kamera: Sebastian Blenkov Darsteller: Jessica Chastain, Mark Strong, Sam Waterston, Gugu Mbatha-Raw, Alison Pill u.a. |
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Hart und kritisch, aber auch idealistisch |
Da steht sie. Hellweiße Haut, flammend-rotes Haar. Verwundbar wirkt sie eigentlich nie, höchstens abends ein bisschen, wenn sie sich abgeschminkt hat. Sie ist eiskalt und abgebrüht, ein Workaholic, die sich ständig selbst optimiert, und ihre Arbeitskraft durch Aufputschdrogen und Medikamente noch weiter steigert. Ein Privatleben hat sie nicht, wenn sie Sex will, leistet sie sich einen Callboy, ihre Religion ist ihr Beruf. Sie arbeitet für eine Lobbyagentur in Amerikas Hauptstadt Washington, und sie ist eine perfekte Lobbyistin.
Man muss sie nicht mögen. Aber spätestens am Ende dieses Films wird man sie ungemein respektieren. Und das nicht nur, weil diese (von Jessica Chastain glänzend gespielte) Miss Elizabeth Sloane ihr Metier perfekt beherrscht: »The winner plots one step ahead of the opposition, and plays theirs trump-card just after they play theirs. Its about making sure, you surprise them and they don’t surprise you.« Es gehe darum, dem Gegner einen Schritt voraus zu sein, ihn zu überraschen, nicht überrascht zu werden. Sie ist eine Strategin der Macht, ein scheinbar eiskalter Engel – doch sie hat auch ein Gewissen: Als sie eines Tages für die Waffenlobby arbeiten soll, wirft sie den Job hin, und will nach der Welle von Schulmassakern mit Schnellfeuerwaffen für deren Verbot kämpfen. Jetzt hat sie ihre einstigen machtvollen Verbündeten zu unerbittlichen Gegnern. Beide Seiten kämpfen mit allen Bandagen.
Die Erfindung der Wahrheit – das ist einmal einer der leider seltenen Fälle, in dem der deutsche Titel viel besser, viel präziser ist, als der amerikanische Originaltitel, der harmlos-privatisierend Miss Sloane heißt.
Die ist ein Film über die Macht. Pardon: Über Verantwortung. Denn Macht sagt man in dieser Welt nur in den Hinterzimmern. Man sagt auch nicht Reichtum, sondern Wohlstand, man hat keinen »Einfluß«, sondern man genießt »Vertrauen«. Und so weiter.
Auch das Wort »Sprachregelung« ist für solche Sprachregelungen natürlich verpönt. Man sagt »Wording«. George Orwell nannte das »Neusprech«, den Jargon des Verschleierns und Schönfärbens aller Verhältnisse.
Wir leben, das wissen wir, in einer Demokratie.
Wir leben aber auch in einer PR-Gesellschaft. Public-Relation, also Öffentlichkeitsarbeit ist die Produktionsstätte des glänzenden Scheins, der lackierten schönen neuen Welten aus dem Broschüren der Industrie, den Imagefilmen der Parteien, aber auch aus den Erklärungen der Bundesregierung, den Prospekten der Ministerien. Überall geht es voran, ständig wird alles besser.
Die Erfindung der Wahrheit ist ein Film über die Macht der Lobbyagenturen, die nie gewählt wurden, deren Einfluss kaum kontrolliert wird – eine Schule des Lobbyismus:
»Lobbying is about foresight. About anticipating your opponents moves and advising counter-measures. The winner plots one step ahead of the opposition, and plays theirs trump-card just after they play theirs. Its about making sure, you surprise them and they don’t surprise you.«
Beim Lobbyismus gehe es um Voraussicht, darum die richtigen Gegenzüge bereits mitzudenken, bevor der Gegner reagiert hat.
Im Zentrum dieses dramatischen Schlagabtauschs stehen Polit-Lobbyisten, die Strippenzieher hinter den Kulissen hinter den Kulissen des politischen Betriebs.
Die Erfindung der Wahrheit ist eine schöne Überraschung. Denn dies ist ganz und gar nicht das, was man vom Briten John Madden, seit Shakespeare in Love und The Best Exotic Marigold Hotel einer der großen Weichspüler Hollywoods eigentlich erwartet hätte.
Dies ist ein harter,
kritischer Polit-Thriller in der Tradition von progressiven New-Hollywood-Filmen wie Die Unbestechlichen oder Network – ein Stück Aufklärung über unsere Wirklichkeit.
Dabei sollte man nicht übersehen, dass dies immer noch, bei aller bitteren Einsicht in den alltäglichen Manipulationsbetrieb der Macht, bei aller Skepsis gegenüber dem Zustand der Demokratie immer noch ein idealistischer Film ist, der auf die Gesetze und das Funktionieren des Rechtsstaats vertraut: Wie brüchig selbst dieses Grundvertrauen ist, zeigt Die Erfindung der Wahrheit eindrucksvoll. Dies ist das größte Verdienst dieses guten Films.